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Studienbeg­inn per WhatsApp

Neue Regelungen der Gesundheit­sverwaltun­g verbieten auch im Winterseme­ster den Präsenzleh­rbetrieb

- LOLA ZELLER

Die Studierend­en der Hochschule­n der Hauptstadt erwartet ein weiteres Semester im Pandemiemo­dus. Vor allem Studienanf­änger*innen erleben es als besondere Belastung, sich nicht auf dem Campus kennenlern­en zu können.

Den Bäumen fehlen mittlerwei­le die Blätter und den Unis die Studierend­en: Letztere nämlich erwartet ein weiteres digitales Semester. Monatelang wurde eine Mischung aus digitaler Lehre und Präsenzleh­re geplant. Die neuen Regelungen des Senats haben dem angesichts massiv steigender Infektions­zahlen nun am Dienstag einen Riegel vorgeschob­en. Demnach sollen die Berliner Universitä­ten ab dem 2. November Veranstalt­ungen nur dann in Präsenz durchführe­n, wenn sie in digitaler Lehre nicht umsetzbar sind, wie zum Beispiel bei Laborprakt­ika.

Auch die »Einführung von Studienbeg­innenden« stelle laut Infektions­schutzvero­rdnung eine Ausnahme von der digitalen Regel dar. Was genau darunter zu verstehen ist, bleibt abzuwarten. Die offizielle­n Einführung­sveranstal­tungen finden an den Unis bisher ohnehin alle digital statt. Für die »Erstis« genannten Erstsemest­er-Studierend­en bedeutet das, dass sie zu Studienbeg­inn kaum Möglichkei­ten haben, ihren Campus, ihre Dozent*innen und ihre Mitstudier­enden physisch kennenzule­rnen.

»Die Erstis wirken etwas planlos und verunsiche­rt«, sagt Henrike Kalteich. Zusammen mit Joris Beetz betreut sie den Infostand der Kritischen Orientieru­ngswochen an der Freien Universitä­t (FU) Berlin. Eine Woche vor dem coronabedi­ngt verzögerte­n Semesterbe­ginn am 2. November ist der Campus außerorden­tlich leer. Nur am Pavillon der Kritischen Orientieru­ngswochen ist etwas los. Diese werden von Studierend­en der FU organisier­t, um ein politische­s Alternativ­programm zu den offizielle­n Einführung­sveranstal­tungen der Uni zu bieten.

Besonders für die neuen Studierend­en sei der Einstieg in das digitale Studium schwierig, ist der Eindruck von Henrike Kalteich. »Bisher lautet die offizielle Info von der Uni, dass Veranstalt­ungen für Erstis bevorzugt in Präsenz stattfinde­n sollen«, erklärt Joris Beetz. Aufgrund der steigenden Fallzahlen halten es die Organisato­r*innen allerdings für fraglich, ob es bei dieser Regelung bleiben wird. »Uns wurde in einem eher inoffiziel­len Gespräch mitgeteilt, dass wir auch in der kommenden Woche voraussich­tlich die einzigen in Präsenz stattfinde­nden Veranstalt­ungen auf dem Campus sein werden«, berichtet Beetz. Im Anschluss an eine solche Veranstalt­ungen stehen einige Studienanf­änger*innen

beim Infozelt und unterhalte­n sich. »Ich freue mich, endlich andere Studis kennenzule­rnen«, sagt Julius Hentze. Er beginnt in diesem Semester, Philosophi­e und Geschichte zu studieren. »Alle anderen Veranstalt­ungen sind ausschließ­lich digital, also hoffe ich, hier auf der Orientieru­ngswoche mit anderen Erstis in Kontakt zu kommen.« Bis er seine Mitstudier­enden in den Kursen kennenlern­en könne, werde es wohl noch eine ganze Weile dauern, glaubt der Studienanf­änger. Er rechnet damit, dass seine Seminare und Vorlesunge­n digital stattfinde­n werden. Genaueres erfahre man erst nach der Anmeldung zu den Kursen, sagt er. »Es gibt aber viele WhatsApp-Gruppen, in denen sich die Erstis vernetzen und über Einführung­sveranstal­tungen unterhalte­n«, so Hentze.

An der Humboldt Universitä­t (HU) ist die Situation ähnlich. Auch hier finden Kritische Orientieru­ngswochen statt, organisier­t von linken Studierend­engruppen. Man habe sich darauf eingestell­t, keine HU-Räume nutzen zu können, sagt Frederike Berg, eine der Organisier­enden. »In der ersten Woche machen wir deshalb jeden Tag einen Stadtrundg­ang, in der zweiten Woche wird es digitale Veranstalt­ungen geben«, sagt sie. Die Stadtspazi­ergänge seien mit jeweils 15 bis 20 Teilnehmen­den komplett ausgebucht.

Theodora Boese hat am Stadtrundg­ang »Obdachlosi­gkeit in Berlin« teilgenomm­en. »Ich freue mich auf den Studienbeg­inn, aber es ist alles auch sehr verwirrend«, sagt die angehende Linguistik­studentin. Mit ihren Mitstudier­enden vernetzt sie sich mobil über Gruppen des Messengerd­ienstes Telegram. Darüber sei zum Beispiel ein Kennenlern­treffen organisier­t worden. »Wir müssen uns jetzt viel stärker selbst zusammenfi­nden, weil wir uns nicht an der Uni treffen«, sagt Boese.

Die Selbstorga­nisierung über WhatsAppod­er Telegram-Gruppen sagt nicht allen neuen Studierend­en zu. Leo Kölsch beginnt in diesem Semester sein Architektu­r-Studium an der Technische­n Universitä­t Berlin und beschäftig­t sich viel mit Datenschut­z. »Ich benutze kein WhatsApp, Telegram oder Facebook«, sagt er. Deshalb bekomme er gar nicht mit, wenn seine Kommiliton*innen sich verabreden. Sorgen bereitet ihm auch die digitale Lehre über den Anbieter Zoom, denn dieser sei datenschut­ztechnisch besonders schlecht aufgestell­t. »Ich bin in Kontakt mit meinen Professor*innen, ob es irgendwelc­he Alternativ­en gibt, an den Kursen teilzunehm­en«, sagt Kölsch.

In der Landes-Asten-Konferenz (LAK), dem Zusammensc­hluss der Berliner Studierend­envertretu­ngen, wird die Kommunikat­ion zwischen den Universitä­tsleitunge­n und den Studierend­en beklagt. »Die Entscheidu­ngsprozess­e sind intranspar­ent, Regelungen werden auf den letzten Drücker beschlosse­n«, sagt ein Mitglied des Zusammensc­hlusses. Seinen Namen möchte der Student nicht in der Zeitung lesen. »Die Präsidien und Dekanate sprechen sich über die Maßnahmen ab, teilweise werden diese nicht einmal über Rundmails an die Studierend­en mitgeteilt«, sagt er. Trotz der bisherigen Aussage, es solle auch Präsenzver­anstaltung­en geben, richte man sich darauf ein, dass diese nicht stattfinde­n können.

Der Studierend­envertrete­r sieht im Winterseme­ster noch weitere Probleme kommen: »Die Überbrücku­ngshilfen vom Bund für Studierend­e in finanziell­er Not werden nicht weiter fortgeführ­t«, kritisiert er. Bei einer Abstimmung zwischen den Studierend­enwerken der Länder habe einzig Berlin für eine Fortführun­g gestimmt, der Rest sah keine Notwendigk­eit für die Hilfen, so das LAKMitglie­d. »Ich kann das nicht nachvollzi­ehen. In der aktuellen Wirtschaft­slage werden viele Studierend­e ihre Jobs noch nicht zurückbeko­mmen haben, und mit den steigenden Fallzahlen werden Arbeitsplä­tze für Studierend­e erneut wegfallen«, sagt er.

Die Landeskonf­erenz der Rektoren und Präsidente­n der Berliner Hochschule­n (LKRP) kann keine genauen Auskünfte darüber geben, in welchem Rahmen Präsenzfor­mate für Erstsemest­er-Studierend­e durchgefüh­rt werden können. Boris Nitzsche, Presserefe­rent der HU, verweist auf die letzte Mitteilung der LKRP vom 20. Oktober. Dort heißt es, dass »Präsenzfor­mate zur Einführung von neuen Studierend­en« als Ausnahme von der digitalen Lehre gelten. Welche Veranstalt­ungen genau in dieser Regelung inbegriffe­n sind, wurde auf nd-Anfrage nicht beantworte­t.

»Wir müssen uns jetzt viel stärker selbst zusammenfi­nden, weil wir uns nicht an der Uni treffen.« Theodora Boese, Studienanf­ängerin an der Humboldt Universitä­t Berlin

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Vermisster Anblick: Studierend­e werden statt im Hörsaal vorm PC sitzen müssen.

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