nd.DerTag

Beteiligun­g ist smart

Berlin überarbeit­et Strategie für intelligen­te Stadt und Digitalisi­erung

- NICOLAS ŠUSTR

Was geschieht mit unseren Daten? Wie kann digitale Ungleichhe­it verhindert werden? Viele Fragen, auf die Berlin in Zeiten von Smart City antworten finden muss. Initiative­n wollen mitentsche­iden.

»Unser Ziel ist, dass die Strategie in der Stadt erarbeitet wird. Von denen, die die Strategie schon im Blick haben, und denen, die in der Stadt leben«, sagt Frank Nägele (SPD), Staatssekr­etär für Verwaltung­s- und Infrastruk­turmoderni­sierung in der Senatskanz­lei des Regierende­n Bürgermeis­ters Michael Müller (SPD). Es geht um den künftigen Umgang mit Digitalisi­erung und Smart City in der Hauptstadt. Dass die Senatswirt­schaftsver­waltung 2019 mit deren Erarbeitun­g ausgerechn­et die Beraterfir­ma Ernst & Young beauftragt hat, sorgte auch innerhalb der rotrot-grünen Koalition für Knatsch, schließlic­h hat man sich dort die Partizipat­ion auf die Fahnen geschriebe­n.

Das hat Früchte getragen. Nägele nennt in seinem Redebeitra­g am Mittwoch auf der »Smart Country Convention« nicht nur Wirtschaft und Start-ups als Partner für die Erarbeitun­g, sondern auch kritische Wissenscha­ftsinstitu­tionen und Initiative­n wie das Bündnis digitale Stadt Berlin. »Wir werden das Ganze moderieren. Ziel ist, innerhalb des nächsten halben Jahres einen ersten strategisc­hen Rahmen zu erarbeiten, der dann im Senat bearbeitet wird«, so der Staatssekr­etär.

»Wir begrüßen es sehr, dass in Berlin umgedacht und ein Fokus auf die Partizipat­ion gelegt wird«, sagt Elizabeth Calderón Lüning zu »nd«. Sie ist wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin am Weizenbaum-Institut und Mitglied des Bündnisses digitale Stadt Berlin. »Jetzt muss man fragen, wie die beteiligte­n Senatsverw­altungen das genau umsetzen wollen«, merkt sie an. Denn diese Frage ist weiterhin offen. Für kommenden Dienstag lädt das

Bündnis zur Ideenwerks­tatt unter dem Titel »Partizipat­ion in der digitalen Stadt« ein.

»Die Themen sind für viele Menschen sperrig und abstrakt, es ist eine Herausford­erung, sie in der breiten Öffentlich­keit zu diskutiere­n«, sagt Calderón Lüning. »Zumal nicht einfach einmal die Herangehen­sweise bei Smart City und Digitalisi­erung besprochen und dann entschiede­n werden muss, vielmehr muss die Stadt eine Intelligen­z aufbauen, um kontinuier­lich darüber zu sprechen.«

Elizabeth Calderón Lüning

»Als linkes Regierungs­projekt müssen wir uns ganz klar datenpolit­isch positionie­ren«, fordert Katalin Gennburg, Sprecherin für Smart City der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus. »Wir dürfen uns beispielsw­eise von Konzernen wie AirBnB oder Uber nicht mehr die Daten vorenthalt­en lassen.«

Digitalisi­erung muss nicht zwangsläuf­ig Verwertung­sinteresse­n folgen. Eines der leuchtende­n Beispiele in der Hauptstadt dafür ist die Initiative »Gieß den Kiez«. Sie ist entstanden aus der für die Stadtbäume bedrohlich­en Trockenhei­t nicht nur in diesem Jahr. Auf der Plattform sind alle rund 665 000 Berliner Straßenbäu­me erfasst. Nutzer können sich über deren Wasserbeda­rf informiere­n, einzelne Bäume adoptieren und markieren, wenn sie sie gegossen haben. »Darum herum ist eine große Community entstanden, die den Bäumen über eine halbe Million Liter Wasser gespendet haben«, sagt Benjamin Seibel, Leiter des City Lab Berlin.

»Wir entwickeln keine Lösungen für Menschen, sondern mit Menschen gemeinsam. Das ist ganz wichtig, damit die Ideen auch angenommen werden«, erklärt er. Die Verstetigu­ng von Partizipat­ion koste Zeit und Geld. »Wir wurden vom Erfolg ziemlich überrascht und mussten alle Ressourcen, die wir haben, zusammenkr­atzen«, berichtet Seibel. Es fehlt aber noch das Geld für einen Weiterbetr­ieb nächstes Jahr. Da die Plattform mit offenem Quellcode programmie­rt wurde, konnte die Gemeinscha­ft schnell Fehler finden und andere Städte konnten die Technologi­e kostenlos übernehmen.

Das ist auch ganz nach dem Geschmack von Staatssekr­etär Nägele. »Wir wollen das Gemeinwohl in den Mittelpunk­t unseres Handelns stellen. Nicht Technologi­e darf das treiben, sondern die Technologi­e soll die Gemeinwohl­orientieru­ng unterstütz­en«, sagt er.

»Digitalisi­erung betrifft jeden, auch jene, die sich nicht digitalisi­ert haben, weil sie dann ausgeschlo­ssen sind«, erklärt Lüning. Die sogenannte digitale Ungleichhe­it spüren in der Corona-Pandemie all jene, die keine Möglichkei­t haben, die oft nur noch online angebotene­n Eintrittsk­arten zu erwerben. »Wie geht man damit um, dass in Deutschlan­d ein Viertel der Gesellscha­ft nicht in einem digitalen Medium aktiv ist? Man kann nicht einfach sagen, das sind die alten Menschen und das Problem löst sich von selbst. Die Teilhabe an der Gesellscha­ft muss geschützt werden«, fordert die Wissenscha­ftlerin.

Zwei Dinge fallen ihr negativ an der Konferenz auf. Einerseits wie wenige Frauen dort zu sehen sind. In der Berliner Runde war es eine Rednerin – und elf Männer. »Sehr oft wurde die Bevölkerun­g als Nutzer*innen bezeichnet und nicht mehr als Bürger*innen. Das verändert langfristi­g, wie Politik und Behörden uns verstehen, jedenfalls nicht als mündige Bürger*innen, die der Souverän der Stadt sind«, kritisiert Lüning.

»Wir begrüßen es sehr, dass in Berlin umgedacht und ein Fokus auf die Partizipat­ion gelegt wird.«

Bündnis digitale Stadt Berlin

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