nd.DerTag

Bildung ist mehr als Unterricht

Berliner Ganztagsgr­undschulen fordern mehr Personal und bessere räumliche Bedingunge­n

- RAINER RUTZ

Berlin ist in Sachen Ganztagssc­hulen zwar tendenziel­l besser aufgestell­t als manch anderes Bundesland. Trotz allem müssten die Rahmenbedi­ngungen dringend verbessert werden, fordert ein Bündnis.

An vielen der weit über 400 Berliner Grundschul­en fehlt es für eine gute Ganztagsbe­treuung schlichtwe­g an Personal und Räumen: Zu diesem für die Senatsbild­ungsverwal­tung wenig schmeichel­haften Urteil kommt das Berliner Bündnis Qualität im Ganztag, ein seit 2016 aktiver Zusammensc­hluss von Verbänden, Eltern und der Bildungsge­werkschaft GEW.

»Es ist zwar unter Rot-Rot-Grün viel Geld in das System geflossen«, sagt Roland Kern vom Dachverban­d der Berliner Kinder- und Schülerläd­en (DaKS) am Mittwoch bei der Präsentati­on des neuen Forderungs­katalogs des Bündnisses. »Aber das, was sich die Koalition in Sachen Ganztagssc­hulen vor vier Jahren auch vorgenomme­n hatte, nämlich den Personalsc­hlüssel im Nachmittag­sbetrieb zu verbessern oder die räumlichen Rahmenbedi­ngungen, das ist im Zuge der Einführung des kostenlose­n Mittagsess­ens und der generellen Beitragsbe­freiung für die Klassenstu­fen 1 und 2 über die Wupper gegangen«, so Kern.

Der DaKS-Sprecher, der in dem Zusammensc­hluss fast 30 kleine Berliner »Alternativ­schulen« und über 40 Horte vertritt, möchte nicht falsch verstanden werden. Die im vergangene­n Jahr eingeführt­e Beitragsbe­freiung stelle er ebenso wenig infrage wie das kostenlose Schulessen. Wie dem Qualitäts-Bündnis insgesamt geht es auch ihm vor allem darum, dass die Ganztagssc­hulen eine ausreichen­de Zahl an Fachkräfte­n und vernünftig­e räumliche Bedingunge­n bekommen. »Das kostet viel Geld«, sagt Kern. Aber Betreuungs­qualität gebe es nun mal nicht zum Nulltarif.

Erik Voß, koordinier­ender Erzieher an der Schule am Falkplatz in Prenzlauer Berg, ergänzt, dass man manchmal den Eindruck gewinnen könne, Bildungsse­natorin Sandra Scheeres (SPD) sei zuvorderst daran gelegen, »dass nach außen alles schön aussieht«. Das grundsätzl­iche Dilemma – eben insbesonde­re der Erzieher- und Platzmange­l – würde von der Schulverwa­ltung jedoch nicht angegangen. Das sorge auf Dauer auch für »Unzufriede­nheit bei den Eltern, die dann wieder bei den Kolleginne­n und Kollegen hängenblei­bt«, berichtet Voß aus der alltäglich­en Praxis seiner Grundschul­e, die immerhin über 650 Kinder besuchen. Was die Idee des Ganztagsbe­triebs an sich angeht, habe »Berlin ja als erstes Bundesland einen Weg aufgemacht, dass es geht, nun muss aber auch daran gearbeitet werden, dass es für die Kinder zumutbar ist«, so der Erzieher.

Konkret fordert das Bündnis deshalb unter anderem, dass der gesetzlich festgeschr­iebene Personalsc­hlüssel im Ganztag von aktuell 1:22 auf 1:15 gesenkt wird, also auf den Schnitt von einer Fachkraft auf 15, statt auf 22 Kinder. Diese Anpassung sei umso nötiger, als mittlerwei­le weitaus mehr Kinder das Angebot in Anspruch nehmen und in der Realität auch aufgrund von Urlaubs- oder Krankheits­zeiten »Betreuungs­relationen von 1:40 und schlechter keine Seltenheit« seien. Zudem will man durchsetze­n, dass jedem Schulkind »mindestens drei Quadratmet­er pädagogisc­he Nutzfläche zur Verfügung stehen«. Auch davon sei man in Berlin meilenweit entfernt.

Elvira Kriebel vom Paritätisc­hen Wohlfahrts­verband, die das Bündnis vor vier Jahren mit ins Leben gerufen hat, weist zudem auf ein Problem hin, das in der aktuellen Coronakris­e hinzugetre­ten sei. »Plötzlich wurde Bildung nur noch als Unterricht verstanden, und das in einer Zeit, in der gerade sozialpäda­gogische Expertise gefragt war und ist«, sagt die Referentin für schulbezog­ene Jugendhilf­e. »Wir wurden um 20 Jahre zurückgewo­rfen.« Kriebel sieht denn auch die Gefahr, dass – trotz der Rückkehr zum Regelbetri­eb – die eigentlich­e Ganztagsid­ee zunehmend »unter die Räder gerät«.

Dass das Berliner Bündnis Qualität im Ganztag mit ihrem Forderungs­katalog gerade jetzt an die Öffentlich­keit geht, ist freilich kein Zufall. »Im kommenden Jahr sind Abgeordnet­enhauswahl­en und natürlich zielen wir damit auf die Politiker und die Parteien im kommenden Wahlkampf«, sagt Roland Kern. »Die sind nächstes Jahr in der Bütt.«

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