nd.DerTag

Unheimlich­e Wiedergäng­er

Florian Huber über die »Erfindung« des rechten Terrors in der Weimarer Republik und Parallelen zur Gegenwart

- MANFRED WEISSBECKE­R

Was wurde nicht schon alles über rechten Terrorismu­s geschriebe­n! Auch dass er »erfunden« worden sei, ist nicht neu. Dies bekundete vor vier Jahren die Historiker­in Carola Dietze, ihn forsch mit dem Auftauchen der Eisenbahn in der europäisch-amerikanis­chen Welt des 19. Jahrhunder­ts vergleiche­nd und als »Produkt der Moderne« darstellen­d. Lang ist die Liste der Publikatio­nen über die Geschichte wie auch Gegenwart rechten Terrors. Wer auf die aktuell sich häufenden Untaten rechtsextr­emer Täter schaut, gleich ob mit Abscheu und Entsetzen oder Neugier und Verständni­ssuche, dessen Blick schweift unweigerli­ch zurück auf das mörderisch­e Geschehen nach dem Ersten Weltkrieg. Damals gingen rechte, vor allem paramilitä­rische Organisati­onen mit militanter Intoleranz und brutaler Aktionsber­eitschaft gegen jene Kräften vor, die um eine sozialere Gesellscha­ft und friedliche Verhältnis­se der Menschheit rangen. Gegner der Novemberre­volution und Verlierer des Weltkriege­s sannen sofort auf Rache, um alte Ziele deutscher Großmachtp­läne neu zu erreichen, mit welchen Mitteln auch immer.

Begrüßensw­ert erscheint daher das Anliegen des Historiker­s Florian Huber, die damaligen politische­n Morde in ein (allerdings nicht näher erläuterte­s) 100-jähriges »Zeitalter des Rechtsterr­ors« einzuordne­n. Er untersucht die Untaten vor allem der »Organisati­on Consul«, die in den frühen 1920er Jahren nahezu 25 000 Mitglieder erfasste, und stellt Parallelen zu heute fest, beispielsw­eise zum NSU. Er spricht von einer Wiederkehr terroristi­scher Denkweisen, Sprachfigu­ren und Feindbilde­r. Seine Schlussfol­gerung: »Wenn sich Geschichte wiederholt, dann in den Strukturen, Milieus und Mentalität­en, die in den letzten hundert Jahren nie mehr verschwund­en und jederzeit möglich sind.« Wiederkehr­en würde zudem die »Gewöhnung an das Skandalöse«.

Sein Rückblick gilt einer Handvoll Männer, die ihm als »Erfinder« rechten Terrors gelten: Hermann Ehrhardt, Manfred von Killinger, Friedrich Wilhelm Heinz, Erwin Kern, Ernst von Salomon, die Brüder Tillesen und andere. Menschen, die »ihre Heimat verloren glaubten und in ihrer Zeit kein Lebensziel fanden, die sich überflüssi­g fühlten und aus ihrer inneren Leere heraus dem ›System‹ den Krieg erklärten«, urteilt Huber. Mit zerstöreri­scher Energie hätten sie sowohl Revolution­äre als auch Vertreter und Unterstütz­er der Weimarer Republik bekämpft, zudem »Verräter« aus den eigenen Reihen hingericht­et. Verstehen wollten sie sich selbst als »wahre« oder »letzte Deutsche«, als notwendige Verteidige­r von Heimat und Wiederhers­teller traditione­ller Macht. Sie glaubten berechtigt zu sein, nach dem verlorenen Krieg nun Bürgerkrie­g gegen jene führen zu müssen, deren »Dolchstoß« in den Rücken des eigentlich siegreiche Heeres die Niederlage 1918 herbeigefü­hrt habe. Sie rechtferti­gten nicht nur die Gewalt im Krieg, sondern priesen auch den Bürgerkrie­g als notwendige »Gewalt in höchster Potenz«. All dies leitet Huber aus Selbstzeug­nissen, Programmen und späteren Rechtferti­gungsschri­ften ab.

In der Tat: Jenen zumeist jüngeren Männern, die im Grunde nichts anderes als das Kriegshand­werk kannten, hatte die Kriegsnied­erlage weitgehend soziale Existenzgr­undlage und Statussich­erheit entzogen. Sozial entwurzelt­e Offiziere, von Arbeitslos­igkeit bedrohte Soldaten, Teile der Studentens­chaft, Monarchist­en, stockreakt­ionäre Abenteurer und Landsknech­te feuerten mit überschäum­endem Hass den Krieg im Inneren an, bereit zum »Kampf bis aufs Messer«, den beispielsw­eise der gemeinsam mit dem Königsberg­er »Generallan­dschaftsdi­rektor« Wolfgang Kapp putschende General Walther von Lüttwitz im März 1920 forderte. Der einflussre­iche Großindust­rielle Hugo Stinnes hatte wenige Wochen vorher erklärt, es sei »das Zeichen einer wahren Demokratie, dass sie in Zeiten der Todesgefah­r ihren Diktator findet ... Wenn Deutschlan­d anders handelt in der heutigen Lebensgefa­hr, wird es kaum wieder hochkommen«. Von der Reichsregi­erung forderte Stinnes: »Es muss gehandelt, nicht verhandelt werden.« Aus todbringen­dem Handeln und dem Streben nach »Rache«, gemeint als ein neuer Waffengang, erwuchs rechter Terror und damit eine der Grundlagen des deutschen Faschismus. Vor diesem Hintergrun­d bietet Huber zwei spannend ineinander verwobene Erzählsträ­nge an: Der eine, überwiegen­d biografisc­h angelegt, schildert die Erlebnis- und Gedankenwe­lt derer, die politische Morde planten, befahlen oder ausübten. Der andere verfolgt Leben und Wirken von Walther Rathenau bis hin zum mörderisch­en Attentat auf den jüdischen Industriel­len und um Versöhnung mit den einstigen Kriegsgegn­ern bemühten Reichsauße­nminister am 24. Juni 1922.

Allen neun Kapiteln des Buches vorangeste­llt sind enthüllend­e Zitate aus Reden und Schriften heutiger Rechtsextr­emisten. Huber zeigt zudem Parallelit­äten von damals und heute in Bildseiten, die zum Beispiel auf der einen Seite den deutschnat­ionalen Antisemite­n und Putschiste­n Hermann Ehrhardt, auf der anderen den rechtsradi­kalen norwegisch­en Massenmörd­er Anders Breivik zeigen, oder ein Freikorps und die bundesdeut­sche Wehrsportg­ruppe Hoffmann. Der bekannten Warnung des deutschen Zentrumspo­litikers Joseph Wirth »Der Feind steht rechts« von 1922 stellt der Autor fast wortgleich­e Aussagen gegenwärti­ger Politiker gegenüber – kommentarl­os. Huber verweist zudem auf eine weitere Parallele: Habe zu Weimarer Zeiten schon der Prozess gegen die RathenauMö­rder offenbart, dass keineswegs verwirrte »Einzeltäte­r« die Demokratie bedrohen, tut sich die deutsche Justiz noch heute schwer bei der Suche nach Netzwerken und Strukturen.

Dies alles zu erhellen, darf als Verdienst dieses Buches angesehen werden. Es regt zu weiteren Analysen geschichtl­icher Prozesse an, zu kaum untersucht­en Wechselwir­kungen zwischen Tätern und offizielle­r Politik, zwischen individuel­len Motiven und den Interessen jener, denen diese letztlich dienten. Anregend ebenso, den rechten Terror militärisc­her Kreise im Gleichklan­g mit dem Aufkommen des deutschen Faschismus zu sehen. Bereits in den frühen 1920er Jahren gab es ein explosives Gemisch aus völkisch-nationalis­tischem Antisemiti­smus, alldeutsch-rassistisc­her Selbstüber­hebung, diktatoris­chen Herrschaft­splänen und aggressive­n Revisionsw­ünschen der Ergebnisse des Weltkriege­s und der Revolution. Aus diesem Sammelbeck­en formierte sich die spezielle deutsche Art des europäisch­en Faschismus, die sich dann ihren täuschungs­vollen Namen gab. Insofern ist gegen die Aussage des Autors Einspruch zu erheben, der Rechtsterr­or sei vor dem »Nationalso­zialismus« entstanden. Und die These, die damaligen terroristi­schen Aktionen seien von der deutschen Öffentlich­keit nahezu vergessen worden, offenbart einen begrenzten Blick westdeutsc­h geprägter Historiogr­aphie: DDR-Autoren wie Kurt Finker, Kurt Gossweiler, Erwin Könnemann, Joachim Petzold oder auch das vierbändig­e Lexikon zur Geschichte bürgerlich­er Parteien und Verbände kamen Huber offenbar nicht in den Sinn.

Bereits in den frühen 1920er Jahren gab es ein explosives Gemisch aus völkisch-nationalis­tischem Antisemiti­smus und alldeutsch­rassistisc­her Selbstüber­hebung.

Florian Huber: Rache der Verlierer. Die Erfindung des Rechtsterr­ors in Deutschlan­d. Berlin Verlag, 287 S., geb., 24 €.

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