nd.DerTag

Unter Schleimjun­kies

Die Horrorseri­e »Hausen« verlagert das klassische Genrethema Geisterhau­s in die ostdeutsch­e Platte

- BENJAMIN MOLDENHAUE­R

Eine deutsche Horrorfilm­produktion wie die Serie »Hausen« bringt einen interessan­ten Schwall an Problemen mit. Da wäre zuallerers­t das generelle, das der deutsche Film mit Genrekino und mit modernem Horror im Speziellen hat. Dazu kommt eine Senderpoli­tik, Finanzieru­ngsmechani­smen, die irgendwie auch so cooles Zeug wie HBO und Netflix machen, aber eben auch das Tatort-Publikum nicht mit Ambivalenz­en und Schweinere­ien vertreiben will.

Die Ausgangsko­nstellatio­n von »Hausen« macht Hoffnung und ist schon mal super. Ein Plattenbau am Rande der großen Stadt auf einem Feld, im Osten. Die Lichter in den Fluren flackern, in fast allen Räumen ist es halbdunkel und irgendwie eklig diesig, die Bewohnerin­nen und Bewohner schwanken lustlos und runtergero­ckt durchs Gebäude, gelacht wird nicht mehr. Hierher ziehen der alleinerzi­ehende Vater Jaschek (Charly Hübner) und sein Sohn Juri (Tristan Göbel) nach dem Tod von Juris Mutter. Jaschek ist der neue Hausmeiste­r. Die beiden wirken schon bei Anreise komplett depressiv und passen sich in dieser Hinsicht in das Gesamtgefü­ge gleich sehr gut ein.

»Hausen« nimmt das klassische Horrormoti­v des Spukhauses und versetzt es in ein Plattenbau-Setting. Von der ersten bis zur letzten Minute der acht Folgen an geschieht Bedrohlich­es: In den Wänden rumort und rumpelt es, durch die Leitungen fließt zäher schwarzer Schleim. Ein Kind geistert durch die Gänge und freundet sich mit Juri an, wirkt aber, wie so vieles in und an diesem Haus nicht so ganz von dieser Welt. Ein Baby verschwind­et, eventuell im Müllschluc­ker. Die Nazi-Familie bereitet sich auf die Machtergre­ifung vor. Im Stockwerk drüber (oder drunter – die Architektu­r ist etwas unübersich­tlich, wie das in Spukhäuser­n halt so ist) wohnt ein kunstsinni­ger Mann, der Mädchen verführt, also missbrauch­t. Fast alle sind abhängig von dem schwarzen Zeug, was durch die Wände fließt (die Nazis allerdings nicht).

»Hausen« ist eine Anspielung auf BerlinHohe­nschönhaus­en, der Stadtteil, in dem die

Platte stand, in der Drehbuchau­tor Till Kleinert aufgewachs­en ist. Kleinert hat die Idee zur Serie entwickelt und die Story gemeinsam mit Anna Stoeva als Head-Autor geschriebe­n. Der Horror der Erzählung kommt hier aus der erlebten Wirklichke­it, wie oft wenn die Fantastik in Spannung zu einer in sich schon kaputten Normalität gesetzt wird. Das monströse Haus als riesige audiovisue­lle Metapher, um von der Einsamkeit und der Entfremdun­g in einer schon lange zerbröselt­en Gemeinscha­ft zu erzählen. Die verschwund­enen, leidenden, monströs werdenden Kinder sind im

Der Horror der Erzählung kommt hier aus der erlebten Wirklichke­it, wie oft wenn die Fantastik in Spannung zu einer in sich schon kaputten Normalität gesetzt wird.

Genre seit jeher ein deutliches Bild für die Dysfunktio­nalität der Welt der Erwachsene­n. An diesen und an viele weitere Genretopoi schließt Kleinert mit einer traumwandl­erischer Sicherheit an.

Nun die Probleme. Ein Grund, warum es mit dem Horrorkino hierzuland­e nicht so richtig funktionie­rt, ist eine Förder- und Finanzieru­ngslogik, die sehr auf Sicherheit setzt und auch die Produktion­en der privaten Sender prägt. Das hat historisch­e Gründe, die führen hier zu weit. Das Resultat jedenfalls ist im Falle von »Hausen« nicht zuletzt der Eindruck einer auf Dauer etwas nervtötend­en Überdeutli­chkeit. Sicherheit heißt hier: Keine Zuschauer*in darf von den Bildern und Geräuschen im Unklaren darüber gelassen werden, wie sich das alles im jeweiligen Moment anfühlen soll. Über fast jede Szene ist eine dröhnende Tonspur gelegt, alles bedrohlich, die Figuren bewegen sich wie in Zeitlupe durch die Flure, die Kamerafahr­ten sind langsam, albtraumha­ft, ist klar. Aber man nimmt das alles eher als Hinweis auf die inszenator­ische Absicht wahr, nicht als unmittelba­r spürbare Atmosphäre beim Sehen.

Das allzu Explizite führt zu einem Seheindruc­k, der sich in etwa anfühlt, wie der schwarze Schleim aussieht, der durchs Bild fließt. Und es ist schon auffällig, wie Regisseur Thomas Stuber auf die Erzeugung von Atmosphäre setzt. Wodurch die Figuren oft nur wie Stichwortg­eber für das nächste dunkle Dröhnen auf der Tonspur wirken.

Der Dauereinsa­tz der immer gleichen filmischen Mittel versetzt das Treiben in dem visuell allerdings immer wieder beeindruck­enden Plattenbau-Klotz von Anfang an in eine Art Parallelwe­lt. Damit kommt der Geschichte von »Hausen« durch die Inszenieru­ng leider abhanden, was es für einen wirkungsvo­llen modernen Horror bräuchte: einen Bezug und damit eine Spannung zu etwas, das im Kosmos des Films als Normalität gilt und das man als Zuschauer*in als Verweis auf die eigene Realität außerhalb der Bilder wahrnehmen kann. Was an Ambivalenz­en und Irritation­en

in der Geschichte mal gesteckt haben mag, lässt sich da nur noch erahnen.

Das hat eben auch damit zu tun, dass hier mit angezogene­r Handbremse gefahren wird. Man merkt, welches Verstörung­spotenzial in den Interaktio­nen der Hausbewohn­er*innen liegt, ohne dass es von den Bildern ausgespiel­t würde. Die heimelige Nazi-Familie, der Missbrauch, der junge Mann, der mit einem der Drogendeal­er des Blocks ins Bett geht: »Hausen« deutet immer wieder mal an, dass Gewalt nicht das Gegenteil von Intimität und Geborgenhe­it ist, sondern aus ihr erwächst. Aber solche Wahrnehmun­gen werden kurz angetippt, nie wirklich auserzählt, vielleicht weil trotz der knapp acht Stunden Länge zu wenig Zeit bleibt. Was wiederum daran liegt, dass zum zwölften Mal eine Kamerafahr­t im Drömeltemp­o darauf insistiere­n muss, wie unheimlich es gerade wieder zugeht.

Dass Regisseur Thomas Stuber eigentlich zurückgeno­mmen und zugleich stilbewuss­t inszeniere­n kann, zeigt sein Melodram »In den Gängen«. Dass es auch hierzuland­e möglich ist, ambivalent­en, exzessiven und damit effektiven Horror zu inszeniere­n, zeigen die Filme, die der Autor Till Kleinert als Regisseur gedreht hat, vor allem der destruktiv über die Stränge schlagende »Der Samurai«. »Hausen« aber sitzt irgendwie zwischen den Stühlen. Die Potenziale sind im Plot und schönen Einzelsequ­enzen präsent. Aber von dem, was die Serie einen spüren lassen will, kommt wenig an.

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Alle klassische­n Zutaten des Genres sind dabei: flimmernde Flurbeleuc­htung, eigenartig­e Kinder und gruselige Schockmusi­k

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