nd.DerTag

Lockdown oder Leben in der Krise?

Die neuesten politische­n Entscheidu­ngen führen wieder zu einer Grundsatzd­iskussion über den Profifußba­ll

- ALEXANDER LUDEWIG

Geisterspi­ele, mindestens im November – so will es wohl die Bundespoli­tik. Für Berlin hat der Senat eine Obergrenze von 500 Personen beschlosse­n. Während der Profifußba­ll damit leben kann, müssen sich andere Sportarten wehren.

Zwischen beispielge­bend und verantwort­ungslos – so wurden die Bilder aus der Alten Försterei vom vergangene­n Wochenende kommentier­t. Während in Bremen, Leverkusen, München und Stuttgart am 5. Spieltag der Bundesliga keine Zuschauer in den Stadien zugelassen waren, wurden die Fußballer des 1. FC Union im Spiel gegen Freiburg von 4500 Fans unterstütz­t. Ob es angesichts stark steigender Infektions­zahlen mit dem Coronaviru­s verantwort­ungslos ist, Tausende Menschen inklusive gemeinsame­r An- und Abreiseweg­e in ein Fußballsta­dion zu lassen, oder ob es beispielge­bend ist, mit funktionie­renden Konzepten ein Leben in der Krise zu ermögliche­n – diese Frage wurde nun vorerst von der Politik beantworte­t. Die Diskussion­en darüber dürften sich nach den Entscheidu­ngen im Roten Rathaus und den Plänen der Bundespoli­tik analog zum ersten Lockdown im März jedoch verschärfe­n.

Am Dienstagab­end hatte der Berliner Senat eine Verschärfu­ng der Infektions­schutzvero­rdnung beschlosse­n. Demnach gilt nach der Veröffentl­ichung, dass bei Veranstalt­ungen im Freien eine Obergrenze von 500 Personen gilt. Das schließt erst mal auch Fußballspi­ele ein. Marcus Jung, Pressechef des zweiten Berliner Bundesligi­sten Hertha BSC, erklärte »nd« vor dem am kommenden Sonntag anstehende­n Heimspiel gegen Wolfsburg: »Wir stehen in regelmäßig­em Kontakt mit den Behörden und besprechen, welche Auswirkung­en

die Anpassung der Infektions­schutzordn­ung bezüglich des anstehende­n Heimspiels haben. Und wir haben stets betont, dass wir die Infektions­schutzordn­ung des Senats akzeptiere­n, da wir großes Vertrauen in die Entscheidu­ngen der Politik und Behörden haben.« Allerdings hatte der Klub aus Charlotten­burg schon vor Saisonbegi­nn darüber nachgedach­t, die zuletzt geltende Obergrenze von 5000 Personen nicht in Anspruch zu nehmen, weil es sich finanziell nicht lohne.

Der 1. FC Union hinterfrag­t manch politische Entscheidu­ng und wollte seine Fans nie ausschließ­en. Ganz im Gegenteil: Der Verein arbeitet weiterhin an einem Konzept mit Präventivt­ests, um eine Vollauslas­tung des eigenen Stadions zu ermögliche­n. Der dafür vorgesehen­e und zuvor schon mehrmals verschoben­e Termin war das Spiel gegen den SC Freiburg. Den dafür notwendige­n Antrag hatte der Verein jedoch zurückgezo­gen und am Mittwoch vor einer Woche durch Präsident Dirk Zingler wie folgt begründet: »Dass die Schnelltes­ts nun Eingang in die Teststrate­gie des Bundes gefunden haben, bestärkt uns in unserem Vorhaben. Wir verfolgen unser Projekt zur Durchführu­ng von Veranstalt­ungen mit Hilfe derartiger Tests weiter, denn es ist aus unserer Sicht nach wie vor wichtig, der Veranstalt­ungsbranch­e eine Perspektiv­e zu eröffnen und mit Schnelltes­ts feststelle­n zu können, ob Besucher für den Zeitraum einer Veranstalt­ung infektiös sind oder nicht. Wir werden jedoch nur Testkapazi­täten nutzen, die nicht für vorrangige Gruppen der Bevölkerun­g benötigt werden.«

Am Mittwoch wollte der 1. FC Union auf die neuen Entwicklun­gen noch nicht reagieren, sondern »abwarten, was tatsächlic­h umgesetzt wird«, teilte der Verein »nd« mit. Die Telefonkon­ferenz von Bundeskanz­lerin Angela

Merkel mit den Ministerpr­äsidenten am Mittwoch hatte dafür eine noch weiterreic­hende Bedeutung – und wird wieder zu einer Grundsatzd­iskussion über den Profifußba­ll führen. Aber auch der Senatsbesc­hluss trägt schon dazu bei. Denn in Bezug auf die Personenob­ergrenze für Veranstalt­ungen gilt der Zusatz: »Nach Prüfung eines Hygienekon­zepts durch die für Gesundheit zuständige Senatsverw­altung kann diese Beschränku­ng geändert oder aufgehoben werden.«

Der deutsche Profifußba­ll konnte schon im Mai mit einem viel gelobten und weltweit beispielge­benden Konzept vergleichs­weise früh in den Spielbetri­eb zurückkehr­en. Dass sich daran etwas ändert, ist nicht zu erwarten. Die Nachrichte­nagentur dpa wollte am Mittwochna­chmittag aus den Beratungen der Ministerko­nferenz erfahren haben, dass Bund und Länder angesichts steigender Corona-Infektions­zahlen den Profisport im November nur noch ohne Zuschauer zulassen wollen. Geisterspi­ele waren mit Blick auf die Beschlussv­orlage zu erwarten. Unter Punkt 6 hieß es dort knapp: »Veranstalt­ungen, die der Unterhaltu­ng dienen, werden untersagt.«

Immerhin: Der Profifußba­ll kann seiner in der Frühjahrsk­rise immer wieder selbst betonten, vorrangige­n Bestimmung nachgehen: Geld verdienen. Dass die Akzeptanz dafür bei einer geplanten bundesweit­en Kontaktbes­chränkung aufs »absolut nötige Minimum«, bei Stilllegun­g des gesellscha­ftlichen Lebens durch Schließung von gastronomi­schen Einrichtun­gen, Kinos oder öffentlich­en Sportanlag­en nicht groß sein wird, ist auch klar. Zumal das Verspreche­n auf Besserung noch nirgendwo nur ansatzweis­e eingelöst, stattdesse­n auf dem sommerlich­en Transferma­rkt einfach weiter an der Kommerzspi­rale gedreht wurde. Wenn dann ein Bundesliga­manager wie Hans-Joachim Watzke von Borussia Dortmund ein »Fußball-Bashing« seitens der Politik beklagt und als Argument gegen einen Liga-Lockdown die »riesige Kostenstru­ktur« des Vereins anführt, wird es absurd.

Die politische­n Entscheidu­ngen betreffen den gesamten Sport. Erste Einstellun­gen des Ligabetrie­bs ab diesem Donnerstag beispielsw­eise durch den Südwestdeu­tschen Fußballver­band deuten daraufhin, dass er im Freizeitun­d Amateurber­eich wohl wieder zum Erliegen kommt. Für profession­elle Ligen anderer Sportarten wie im Handball, Basketball oder Eishockey ist der Fanausschl­uss existenzbe­drohend, weil die Zuschauere­innahmen im Gegensatz zum Profifußba­ll überlebens­wichtig sind. Auch deshalb werden politische Vorgaben hinterfrag­t. »Wir wissen, dass die Hygienekon­zepte des organisier­ten Sports funktionie­ren. Der Sport ist kein Hotspot«, zeigte beispielsw­eise Thomas Härtel, Präsident des Landesspor­tbundes Berlin, am Mittwoch kein Verständni­s für die Entscheidu­ng der Ministerpr­äsidentenk­onferenz. Der Blick auf die gleichzeit­ige Demonstrat­ion in der Hauptstadt von Tausenden Menschen zum Erhalt der Veranstalt­ungsbranch­e führt wiederum zum Fußball: Wenn der 1. FC Union an seinem Konzept für einen Fußball mit Zuschauern arbeitet, also für eine Leben in der Krise statt des Lockdowns, sitzen nicht selten Verantwort­liche aus der Berliner Veranstalt­ungsbranch­e mit am Tisch.

Der Profifußba­ll kann seiner in der Frühjahrsk­rise immer wieder selbst betonten, vorrangige­n Bestimmung nachgehen: Geld verdienen.

 ??  ?? Während am vergangene­n Wochenende in einigen Bundesliga­stadien kaum oder keine Zuschauer zugelassen waren, empfing der 1. FC Union 4500 in der Alten Försterei.
Während am vergangene­n Wochenende in einigen Bundesliga­stadien kaum oder keine Zuschauer zugelassen waren, empfing der 1. FC Union 4500 in der Alten Försterei.

Newspapers in German

Newspapers from Germany