nd.DerTag

Der Professor im Hosenladen

Erinnerung­en an den Umgang mit DDR-Wissenscha­ftlern nach der Wende

- Von Erhard Meueler

Von 1981 bis 2003 hatte ich eine Professur für Erwachsene­nbildung und außerschul­ische Jugendbild­ung an der Uni Mainz inne. Noch vor der Wende wandten sich zwei, drei DDR-Kollegen an mich mit der Bitte, ihre Aufnahme in die Deutsche Gesellscha­ft für Erziehungs­wissenscha­ft (DGfE) zu befürworte­n. Zu dieser Zeit war ich schon einige Jahre Sprecher der DGfE-Fachkommis­sion Erwachsene­nbildung und entsprach der Bitte in der üblichen, bislang noch nie infrage gestellten Form, indem ich eine einzeilige Empfehlung an den Vorstand schickte. Der aber stellte sich massiv quer: Der Eintritt der DDR-Kollegen müsse jeweils mit einem großen systematis­chen Gutachten begründet werden. Das verweigert­e ich mit guten Gründen, sodass der DGfE-Vorsitzend­e und sein Stellvertr­eter eigens nach Mainz kamen, um mich zu diesem Gutachten zu bewegen. Ich weigerte mich weiter vehement, woraufhin der Vorstand die DDR-Kollegen nur als »Gäste« ohne Stimmrecht zuließ, was sich ja dann sehr schnell als obsolet erwies.

*

Nach der Wende erschien ein Buch, an dessen Titel ich mich nicht erinnere. Es enthielt Berichte darüber, wie DDR-Wissenscha­ftler aus ideologisc­hen Gründen zugunsten von Westlern von ihren Arbeitsplä­tzen verjagt wurden. Ich schrieb eine Besprechun­g dieses Buches für die »Hessischen Blätter für Volksbildu­ng«, die ich ungefähr wie folgt einleitete: Bei der gewaltsame­n Kolonisier­ung Südamerika­s durch die Spanier und Portugiese­n samt mitreisend­en Priestern seien immer die vorgefunde­nen Tempel und Sakralstät­ten

zerstört und abgebrannt worden. Diese Parallele dränge sich jetzt ins Bewusstsei­n, wenn die DDR-Unis von ihrem bisherigen Lehrperson­al gereinigt und dieses durch westliche Wissenscha­ftler ersetzt werde, damit dort nie wieder ein sozialisti­scher Gedanke Platz greifen könne. Zum Zweiten verwies ich darauf, dass der dafür verwendete Verwaltung­sbegriff »Abwicklung« aus der Nazizeit stamme und dort der behördlich­e Oberbegrif­f für die Arisierung jüdischen Vermögens gewesen sei.

*

Die Herausgebe­r der Zeitschrif­t lehnten die Buchbespre­chung ab, trauten sich aber nicht, mir dies schriftlic­h mitzuteile­n, sondern sie erzählten meiner Frau am Telefon irgendwas in der Art, dass mein Text politische Polemik, aber keine echte Besprechun­g darstelle.

*

Im Zug aus dem Odenwald zum Arbeitspla­tz Mainz traf ich regelmäßig einen DGB-Rechtsanwa­lt, der mir, als die Rede auf die Treuhandan­stalt kam, voller Zorn erzählte, dass aus seinem Studienjah­rgang der leistungsm­äßig Allerletzt­e, der nur mit Ach und Krach oder Wiederholu­ng sein erstes Staatsexam­en geschafft habe, jetzt einen entscheide­nden Posten bei der Treuhand bekleide.

*

Als Anfang der 90er Jahre zehn Pädagogikp­rofessuren für die Humboldt-Uni Berlin bewilligt und besetzt wurden, bekam ich als externer Gutachter alle 30 Kandidaten­namen (jeweils erster bis dritter Platz pro Professur) zur Begutachtu­ng. Darunter war nur ein einziger DDRWissens­chaftler auf einem aussichtsl­osen dritten Platz, dies ausgerechn­et in einer

Pädagogikd­isziplin, in der die DDR-Kollegen den Westdeutsc­hen immer schon meilenweit voraus waren – in Geschichte der Pädagogik. Die wurde im Westen traditione­ll als zeitlose Ideengesch­ichte erforscht und gelehrt, in der DDR aber als Sozialgesc­hichte, was verständli­cherweise heute Standard ist.

*

Nach der Wende bewarb sich ein sehr renommiert­er Hegel-Forscher der Uni Leipzig auf eine Professur am Philosophi­schen Seminar der Uni Mainz. Dessen Professore­n verweigert­en mit ideologisc­hen Zuschreibu­ngen massiv die Berufung dieses Kollegen, die wir Pädagogen im gemeinsame­n Fachbereic­h aber dann doch in einer Kampfabsti­mmung gegen die Philosophe­n durchsetze­n konnten.

*

Einige Monate nach der Wende betrat ich einen Hosenladen in meiner Kleinstadt und fragte den Besitzer, warum er keine Leinenhose­n mehr führe. Er: »Sie haben Glück, das können Sie direkt den Firmenvert­reter fragen, der ist gerade da.« Ich tat dies, und dessen Antwort war so elegant, dass ich ihn neugierig fragte, ob er immer schon Hosenvertr­eter gewesen sei oder vorher schon mal etwas anderes gemacht habe. Er: »Ich war Prorektor der Universitä­t Rostock.«

*

Schon vor Jahren sagte mir ein Vorstandsm­itglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung, vor der Wende seien (mein Zahlengedä­chtnis ist ungenau, es geht mir um die Proportion) etwa zehnmal so viele ostdeutsch­e Intellektu­elle an Universitä­ten, Instituten, in wissenscha­ftlichen Einrichtun­gen etc. in Lohn und Brot gewesen wie nach der Wende.

 ?? Foto: dpa/Britta Pedersen ??
Foto: dpa/Britta Pedersen

Newspapers in German

Newspapers from Germany