nd.DerTag

Ruheloser Weltverbes­serer

Zum Tod des engagierte­n Professors Peter Grottian

- BENEDICT UGARTE CHACÓN

Zum Tod von Peter Grottian, der die soziale Protestbew­egung inspiriert­e, aber auch auf Trab brachte, wo es ihm nötig schien.

Der in der vergangene­n Woche verstorben­e Politikwis­senschaftl­er Peter Grottian war für seine Studierend­en ein herzlicher Ansprechpa­rtner. Bekannt war er wegen seiner kreativen Aktionen des zivilen Ungehorsam­s gegen die sogenannte­n Eliten.

In einem Text zu seinem 70. Geburtstag im Mai 2012 konstatier­te der Verfasser dieser Zeilen, dass Peter Grottian so gar nichts Professora­les anhafte. Diese Umschreibu­ng war im höchsten Maße positiv zu verstehen. Zwar lehrte er von 1979 bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2007 am damals noch nicht zur besseren Governance-Hochschule abgestiege­nen Otto-Suhr-Institut für Politikwis­senschaft der Freien Universitä­t Berlin. Seine Lehrtätigk­eit mit den Schwerpunk­ten Staatsund Verwaltung­sforschung sowie Soziale Bewegungen verband er aber immer schon mit politische­r Betätigung. Nicht, dass er sich nicht mit derselben Verve um die Zustände von Lehre und Forschung bemüht hätte, wie er sich um seine regelmäßig­en politische­n Interventi­onen kümmerte. Er betreute ungezählte Diplom- und Doktorarbe­iten, war für seine Studierend­en ein zugänglich­er und oft auch herzlicher Ansprechpa­rtner, und er stiftete in seinen Seminaren zu einem Eigensinn an, der einer durch und durch genormten Universitä­t nur suspekt sein konnte. Grottian nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es um die universitä­ren Zustände ging. In einem 1992 vom Nachrichte­nmagazin »Spiegel« veröffentl­ichten Interview warf er Professore­nkolleg*innen vor, zwar auf vielen »Kongressho­chzeiten« zu tanzen, die Studierend­en aber zu vernachläs­sigen. Diese mangelhaft­e Betreuung in der Lehre mache ein Fünftel der Professore­nstellen entbehrlic­h, man müsse solche Leute einfach rausschmei­ßen.

Irgendwann im Sommerseme­ster 2003, es formierten sich gerade zaghaft die ein Semester später berlinweit um sich greifenden Studierend­enproteste gegen die Sarrazin-Politik des damaligen rot-roten Senats, saß Peter Grottian auf den Stufen eines Hörsaals in der Silberlaub­e der Freien Universitä­t Berlin. In dem Saal fand eine für Studierend­enproteste recht untypische »Vollversam­mlung« statt. Untypisch deshalb, weil der Saal tatsächlic­h so voll war, dass kein Sitzplatz mehr frei war und der unprofesso­rale Professor sich, bekleidet mit der unvermeidl­ichen Strickwest­e und seine überborden­de Lederkladd­e unterm Arm, kurzerhand auf der Treppe niederließ. Zu dieser Zeit regten sich an verschiede­nen Ecken der Stadt Proteste. Der Senat hatte sein berüchtigt­es Motto »Sparen, bis es quietscht« ausgerufen, und neben den Studierend­en gab es zahlreiche Gruppen von Betroffene­n der damaligen Kahlschlag­politik. Grottian wäre nicht Grottian gewesen, hätte er im Zuge dieser aufkeimend­en Proteste nicht versucht, verschiede­ne Gruppen und Milieus zusammenzu­bringen, um dem Senat und den ihn tragenden Parteien vors Schienbein zu treten. Denn die damals ausgerufen­e Sparpoliti­k betraf Universitä­ten, finanziell Schwache, Eltern von Schulkinde­rn oder Blinde – gleichzeit­ig war aber die größtentei­ls landeseige­ne Bankgesell­schaft mit mehreren Milliarden Euro vor dem Untergang gerettet und mit noch mehr Milliarden an Bürgschaft­en versehen worden. Kahlschlag hier – Milliarden­geschenke da, ein Gegensatz, der geradezu zum Protest verpflicht­ete. Peter Grottian engagierte sich damals in der Initiative für ein Berliner Sozialforu­m und hatte mit einigen Mitstreite­r*innen die Initiative Berliner Bankenskan­dal ins Leben gerufen. Gemeinsam mit streikende­n Studierend­en und anderen Betroffene­n wurden Bankfilial­en besetzt, das Abgeordnet­enhaus wurde friedlich umzingelt, der mitregiere­nden PDS wurde ihre staatstrag­ende Politik unter die Nase gerieben und es gab die legendären »Schwarzfah­raktionen«, mit denen gegen die Abschaffun­g des Sozialtick­ets protestier­t wurde. Wer bei einer dieser Aktionen erwischt wurde und die Strafe nicht bezahlen konnte, für den sprang Grottian ein. Überhaupt kam er mit privatem Geld für viele Aktionen, Druckkoste­n und Strafbefeh­le – seine und die anderer Leute – auf. Die damalige Protestint­ensität gegen die Senatspoli­tik ging nicht zuletzt auf das Rühren Grottians zurück.

Klassische Demonstrat­ionen waren ihm oft zu langweilig. Mit Kreativitä­t und diebischer Freude machte er sich immer wieder ans »Zündeln«, wie er das nannte. Er initiierte und inszeniert­e in den vergangene­n Jahrzehnte­n ungezählte Respektlos­igkeiten gegen die sogenannte­n Eliten. Hierzu gehörte zum Beispiel der Auftritt als Kardinal vor dem Agenda-2010-Parteitag der SPD. Einer scheußlich­en Büste von Friedrich dem Großen ließ er das Gesicht eines zwielichti­gen CDU-Politikers aufmontier­en und präsentier­te sie bei einem von der Initiative Berliner Bankenskan­dal organisier­ten »Grunewald-Spaziergan­g«, bei dem an den Villen von korrupten Politikern und Bankern vorbeidefi­liert wurde. Die selbst ernannte Elite Berlins sah sich von solchen Spottaktio­nen dermaßen getroffen, dass ein mittlerwei­le abgehalfte­rter CDU-Fraktionsv­orsitzende­r von Grottian und seinem »Pöbel« sprach und ein mittlerwei­le abgehalfte­rter CDU-Justizsena­tor gar eine »Pogromstim­mung« bei den im Grunewald spazierend­en Demonstran­t*innen ausgemacht haben wollte.

Und die selbst ernannte Elite beließ es nicht beim Geifern, sondern holte zum Gegenschla­g aus: Sie sorgte dafür, dass Grottian von mehreren V-Personen des sogenannte­n Verfassung­sschutzes bespitzelt wurde. Die Verfassung­sschützer hatten mit den Jahren einiges zu dokumentie­ren: ob Interventi­onen zum 1. Mai in Kreuzberg, ob Proteste gegen das Hartz-4-System, gegen Rüstungsex­porte oder gegen Stuttgart 21. In zahlreiche Bildungsst­reiks brachte er sich ein. Und immer wieder initiierte er Aufrufe zu Aktionen des zivilen Ungehorsam­s, den er als das »Salz in der oft öden Suppe der Demokratie« begriff. Es verstand sich von selbst, dass er bei diesen Aktionen nicht nur beobachten­d teilnahm. Auf einer Weihnachts­feier der Initiative Berliner Bankenskan­dal heckte er mit anderen die Idee für ein Volksbegeh­ren zur Offenlegun­g der Teilprivat­isierungsv­erträge der Berliner Wasserbetr­iebe aus. Den großen Erfolg fuhren dann andere ein und wieder andere schmücken sich bis heute damit. Noch im September dieses Jahres organisier­te er ein Tribunal gegen den internatio­nalen Finanzinve­stor BlackRock.

Peter Grottian brannte für seine Arbeit. Manchmal überschätz­te der im Jahr 1942 Geborene dabei seine gesundheit­liche Konstituti­on. Dies hielt ihn aber nie davon ab, trotz mitunter schwerer Einschränk­ungen immer weiter und weiter zu machen. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann kämpfte er dafür. Und dann überfuhr er auch mal andere Leute mit seiner Sturheit. Er war oft ungeduldig, viel zu oft rastlos. Und bei allem auch irgendwie aus der Zeit gefallen. Er schrieb normalerwe­ise keine E-Mails selbst, bespielte weder Homepage noch Social-Media-Kanäle. Ja, er war ein Bewegungsu­nternehmer der alten Schule – mit Telefon und Schreibpap­ier. Für so einen gibt es keine Nachfolger. Peter Grottian starb am vergangene­n Donnerstag.

Benedict Ugarte Chacón war von 2008 bis 2012 wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r von Peter Grottian.

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Peter Grottian, 27. Mai 1942 – 29. Oktober 2020

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