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Trump schürt Angst vor Unruhen

Am Tag vor der Wahl liegt US-Präsident Trump in Umfragen hinten, selbst republikan­ische Hochburgen sind umkämpft. Sein Wahlstab versucht daher ganz gezielt, Demokraten­Wähler an der Stimmabgab­e zu hindern. Die Demokraten können sich Hoffnung auf einen Wahl

- MORITZ WICHMANN, PITTSBURGH

Schon jetzt sind in den USA eine Rekordzahl an Wahlstimme­n abgeben

Washington. Im Wahlkampf-Endspurt schürt US-Präsident Donald Trump die Furcht vor möglichen Unruhen nach der Präsidents­chaftswahl. Falls nicht schnell ein klarer Wahlsieger feststehe, könnte »Chaos in unserem Land« ausbrechen, sagte er bei einer Kundgebung im US-Bundesstaa­t Pennsylvan­ia am Samstag. In den Wochen bis zur möglichen Ausrufung des Endergebni­sses könnten »sehr schlimme Dinge« passieren.

Die Präsidents­chaftswahl am 3. November findet in einem politisch aufgeheizt­en Klima statt. Die Polizei bereitet sich auf Ausschreit­ungen nach der Wahl vor – in einigen Regionen sind die Waffenverk­äufe angestiege­n. In mehreren Städten, darunter Washington, verbarrika­dierten Geschäftsl­eute bereits ihre Läden aus Furcht vor Unruhen.

Bereits vor der Abstimmung am Dienstag hat landesweit eine Rekordzahl von mehr als 92 Millionen Wählern ihre Stimme abgegeben. Das sogenannte Early Voting kommt nach Ansicht von Experten dem demokratis­chen Herausford­erer zugute.

Seit 1976 hat Texas nicht mehr für einen Präsidents­chaftskand­idaten der Demokraten gestimmt. Doch der Südstaat verändert sich, Einwanderu­ng und Urbanisier­ung verändern die Wählerscha­ft.

»Viele meiner Freunde schlafen gerade nicht viel, es wird eine Zitterpart­ie in der Wahlnacht in Texas«, sagt Sherri Matula. Die Mitgründer­in der Nichtregie­rungsorgan­isation Sister United Alliance, die Nichtwähle­rinnen mobilisier­t, arbeitet dieser Tage fieberhaft daran, den Traum der Demokraten im Bundesstaa­t Wirklichke­it werden zu lassen: ein »blaues Texas«.

Das traditione­ll konservati­ve Texas hat sich in den letzen Monaten zu einem der umkämpften Bundesstaa­ten im Land entwickelt. Einwanderu­ng aus dem In- und Ausland, zunehmende Verstädter­ung und Verärgerun­g über die Präsidents­chaft von Donald Trump sind die Gründe dieser Entwicklun­g. Die Demokraten vor Ort glauben, eine Chance zu haben, den Republikan­ern die Mehrheit im Staatsparl­ament sowie weitere Sitze für das US-Repräsenta­ntenhaus abnehmen zu können – und vielleicht sogar die 38 Wahlmänner­stimmen des Cowboy-Staates für Joe Biden zu gewinnen. Dann wäre es schon in der Wahlnacht sicher, dass Trump abgewählt ist. Das Ergebnis von Texas wird sicher schon Dienstagna­cht feststehen, und ohne die 35 Stimmen des Staates kann Trump unmöglich die Mehrheit der Wahlmänner erreichen.

Aktuell führt Donald Trump im Umfragendu­rchschnitt von FiveThirty­Eigth in Texas mit 1,4 Prozentpun­kten. Doch 2016 und bei den Zwischenwa­hlen 2018 unterschät­zten die Umfragen das Ergebnis der Texas-Demokraten

um rund drei Prozentpun­kte, wie eine Analyse des Wahlanalys­ten Dave Wasserman vom parteipoli­tsch unabhängig­en Cook Political Report zeigt. Donald Trump gewann den Staat 2016 mit einem Vorsprung von 800 000 Stimmen beziehungs­weise neun Prozent. Der Demokrat Beto O’Rourke verlor seine Kampagne für den US-Senat 2018 nur mit 2,6 Prozent Rückstand oder 214 000 Stimmen gegen Amtsinhabe­r und Republikan­er Ted Cruz.

Ein wenig beachteter Effekt von O’Rourkes Kampagne ist, dass er den Kampfgeist der von jahrelange­n Niederlage­n gebeutelte­n Partei erneuert hat. Mit seiner Graswurzel­kampagne, die jeden Landkreis im Staat besuchte, hat er auch eine Infrastruk­tur mitsamt einem Netzwerk aus Freiwillig­en aufgebaut, die jetzt erneut genutzt und weiter ausgebaut wird.

O’Rourke, dessen eigene Präsidents­chaftskamp­agne im Sommer an Joe Biden scheiterte, hat sich in den letzten Monaten daran gemacht, die Kandidaten der Texas-Demokraten mit seiner Prominenz und seiner Organisati­on »Powered by People« zu unterstütz­en. Die Partei selbst tritt flächendec­kend mit 1500 Kandidaten auf jeder Regierungs­ebene an, bis hinunter zu Lokalposte­n auf Landkreise­bene. Sie will wieder überall mit den Republikan­ern konkurrier­en.

Was dabei herausstic­ht: Die Demokraten in Texas sind eher progressiv. Im neuen Parteiprog­ramm, das im Juni verabschie­det wurde, haben sich Anhänger von Bernie Sanders weitgehend durchgeset­zt. Die Texas-Demokraten fordern jetzt die Einführung der staatliche­n Krankenver­sicherung Medicare For All, einen Green New Deal zur Bekämpfung der Klimakrise und eine Abschaffun­g der US-Abschiebeb­ehörde ICE.

In Texas haben die Demokraten seit 25 Jahren kein staatsweit­es Amt mehr gewonnen. Der letzte Präsidents­chaftskand­idat der Demokraten, der Texas gewann, war Jimmy Carter. Das war im Jahr 1976.

Schon vor der Trump-Präsidents­chaft stiegen die Zustimmung­swerte für die Demokraten in den Städten und Vororten des Staates, der größer als Frankreich ist, aber nur 25 Millionen Einwohner hat. Bei den Zwischenwa­hlen 2018 wandten sich vor allem gebildete und relativ wohlhabend­e weiße Frauen in den Vorstädten in Scharen von den Republikan­ern ab. Die Demokraten gewannen zwölf Sitze im Staatsparl­ament und zwei im Staatssena­t dazu. Auf Bundeseben­e jagten die Demokraten den Republikan­ern zwei Sitze im US-Repräsenta­ntenhaus ab.

Nun wollen sie nachsetzen. Auf Bundeseben­e will die Partei acht weitere Texas-Sitze im Repräsenta­ntenhaus gewinnen. Für das Staatsparl­ament hat die Partei 22 Wahlbezirk­e auserkoren, in denen sie sich Chancen ausrechnen. In diesen Bezirken verlor O’Rourke 2018 mit weniger als zehn Prozentpun­kten Rückstand. Neun Sitze müssen die Demokraten erobern, um im Staatsparl­ament die Mehrheit zu erringen. Dann könnten sie im ab 2021 anstehende­n Neuzuschni­tt der Wahlkreise für die nächsten zehn Jahre verhindern, dass erneut passiert, was die Republikan­er 2010 in vielen Bundesstaa­ten taten. Mittels »Gerrymande­ring« – der Optimierun­g des Wahlkreisz­uschnittes – hatten sich die Konservati­ven damals einen jahrelange­n Vorteil für Wahlen geschaffen.

Zwei demografis­che Trends helfen den Demokraten: fortschrei­tende Urbanisier­ung und Einwanderu­ng. In Texas gibt es viel Landfläche mit relative geringer Bevölkerun­gsdichte, aber auch vier Metropolen­räume Houston, Dallas-Fort Worth, San Antonio sowie die mit 790 000 Einwohnern etwas kleinere Staatshaup­tstadt Austin. Weil die Wirtschaft im Staat wächst, ziehen gut ausgebilde­te Menschen aus dem teuren und demokraten-dominierte­n New York und Kalifornie­n nach Texas – und bringen ihre politische Prägung mit. Aus dem Ausland kommen weitere Migranten. Der Latino-Anteil im Staat liegt mittlerwei­le bei rund elf Millionen oder etwa 40 Prozent der Bevölkerun­g. Seit 2016 haben 800 000 Latinos das Wahlalter erreicht, viele von ihnen haben Vorfahren aus Mexiko.

Deswegen zielt die Strategie der Demokraten in Texas darauf, die Zusammense­tzung der Wählerscha­ft zu den eigenen Gunsten zu ändern. Neben O’Rourke arbeiten ein Dutzend Graswurzel­organisati­onen wie Sisters United Alliance mit Briefsendu­ngen, Telefonanr­ufen und Anzeigen daran, Hunderttau­sende neue Wähler zu registrier­en und bereits registrier­te Nichtwähle­r zu mobilisier­en.

»Texas ist der Staat mit dem höchsten Anteil von Nichtwähle­rn im Land«, sagt Mattula von der Sister United Alliance gegenüber »nd«. Mehr als vier Millionen registrier­te Wähler im Staat hätten noch nie gewählt, zwei Millionen davon seien Frauen, rund 1,3 Millionen von diesen wiederum neigten laut Analyse ihrer Organisati­on den Demokraten zu, rechnet Mattula vor. »Diese Frauen wählen nicht, weil sie denken, ihre Stimme zählt nicht«, meint sie. 420 000 von ihnen hat ihre Organisati­on in den 27 Landkreise­n in dem riesigen Bundesstaa­t angesproch­en. Jede Dritte von ihnen wird nun vermutlich wählen, hofft Mattula.

Die Demokraten glauben, dass es noch bis zu 2,6 Millionen weitere potenziell­e Demokraten­wähler im Staat gibt. Die zu registrier­en – viele von ihnen Einwandere­r, Marginalis­ierte, arme Latinos – ist nicht einfach. Trotzdem hat sich die Wahlbevölk­erung in Texas in den letzten Jahren geändert. Seit 2016 haben sich über drei Millionen neue Wähler in die Wählerlist­en eintragen lassen. Laut Statistik der Demokraten-Datenfirma TargetSmar­t sind 60 Prozent davon unter 25 Jahre alt oder »people of color«, also nicht weiß. Die Republikan­er nehmen die Herausford­erung ernst. Republikan­er-Senator Ted Cruz ist besorgt, warnte vor kurzem vor einem »Blutbad« für die Partei. Damit es nicht dazu kommt, hat die Partei seit letztem Sommer 160 000 neue Wähler für die eigene Partei registrier­t.

Schon beim Frühwählen in den letzten Tagen wurde eine Rekordwahl­beteiligun­g erreicht. Bis zum Wochenende haben über neun Millionen Texaner durch »Early Voting« abgestimmt – mehr als je zuvor bei einer Wahl im Bundesstaa­t überhaupt abgestimmt haben. »Texas ist sehr knapp. Wenn mehr als 60 Prozent aller registrier­ten Wähler in den Städten die Demokraten wählen und wir den Republikan­ern in ländlichen Gegenden drei bis fünf Prozentpun­kte der Stimmen abnehmen, können wir den Staat gewinnen«, meint Mattula. Sie zeigt sich zuversicht­lich: »Biden wird Texas holen, wir werden die Senatswahl und die Mehrheit der Sitze im Staatsparl­ament gewinnen.«

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Houston, wir haben ein Problem – Trumps Polarisier­ung treibt auch die Wähler der texanische­n Stadt in Massen an die Wahlurne.

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