nd.DerTag

Hausverbot für Merkel

Neue Coronamaßn­ahmen treten in Kraft, nicht überall bleiben sie unwiderspr­ochen

- UWE KALBE

Eine neue Zeit der Einschränk­ungen wegen Corona beginnt in Deutschlan­d. Die Zahl der Infizierte­n steigt unaufhörli­ch. Doch auch der Widerspruc­h gegen die politische­n Gegenmaßna­hmen wird lauter.

Berlin. Die politische Traditions­gaststätte »Ständige Vertretung« in Berlin, nahe dem Regierungs­viertel, versucht es mit Gegensankt­ionen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) sowie weitere Politiker erhielten Hausverbot – aus Protest gegen die als unverhältn­ismäßig empfundene­n Beschränku­ngen im Gaststätte­nbereich. Die Kultusmini­ster von Bund und Ländern sehen eine »Verschärfu­ng der extremen Notlage, in der sich die ganze Branche befindet«. Angesichts der neuen Coronabesc­hränkungen müssten die vom Bund geplanten Überbrücku­ngshilfen »nun schnell, unbürokrat­isch und kurzfristi­g wirksam umgesetzt werden«, heißt es in einer Mitteilung der Ministerru­nde vom Freitagabe­nd.

Die an diesem Montag in Kraft tretenden Maßnahmen treffen Wirtschaft, Kultur und Bildung mit verschiede­ner Intensität. In den Bundesländ­ern findet man sie zum Teil abgewandel­t; auch das Infektions­geschehen trifft die Länder unterschie­dlich hart – ganz Nordrhein-Westfalen ist nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) mittlerwei­le Corona-Risikogebi­et. Als letzter Kreis überschrit­t Soest die Schwelle von 50 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner in einer Woche. Am Samstag meldete das Institut mit mehr als 19 000 Neuinfekti­onen innerhalb

eines Tages einen bundesweit­en Höchststan­d. Nun sollen vier Wochen lang drastische Einschränk­ungen im öffentlich­en Leben die Welle brechen. Ziel ist es vor allem, ausreichen­d Kapazitäte­n auf den Intensivst­ationen zu bewahren. 38 von rund 400 deutschen Gesundheit­sämtern haben beim RKI Überlastun­g angezeigt.

Bei einem weiteren starken Anstieg der Intensivpa­tientenzah­len planen Bundesregi­erung und Länder eine bundesweit­e Verteilung. »Entwickelt sich eine Lage, die eine

Verlegung über die Nachbarlän­der beziehungs­weise angrenzend­e Regionen hinaus erforderli­ch macht, findet ein sogenannte­s Kleeblattp­rinzip Anwendung«, heißt es in einem Konzept von Bundesinne­nministeri­um und den Innen- und Gesundheit­sministern der Länder. Die Konzeption für ein »Worst Case Covid 19-Szenario« funktionie­rt nach dem Ampelprinz­ip. Deutschlan­d soll demnach sich bei abzeichnen­der Überlastun­g (Stufe Rot) in drei bis fünf Regionen aufgeteilt werden, die sich gegenseiti­g bei der Übernahme von Patienten per Rettungswa­gen oder Hubschraub­er unterstütz­en sollen.

Unbeeindru­ckt von den steigenden Zahlen versammelt­en sich am Wochenende erneut Menschen in verschiede­nen Städten, um gegen die Maßnahmen zu protestier­en. Mehrere Tausend Menschen beteiligte­n sich an einer Demonstrat­ion in Dresden, die von der Initiative »Querdenken« organisier­t worden war. Der Bayerische Verwaltung­sgerichtsh­of (VGH) bestätigte die Auflagen der Stadt München für eine Demonstrat­ion am Sonntag, womit die Zahl der erlaubten Teilnehmer auf 1000 beschränkt blieb. Ein Protestzug durch die Stadt wurde untersagt.

»Ich bin in großer Sorge um die Kultur.«

Monika Grütters (CDU) Kulturstaa­tsminister­in

Viele Menschen verbrachte­n am Samstag den letzten Abend in ihrer Stammkneip­e. Der »Lockdown« trifft die Falschen, denkt der Wuppertale­r Wirt Andreas Kluczynski.

»Machs gut«, »Halt die Ohren steif«, »Meld dich, wenn du Hilfe brauchst«. Als Andreas Kluczynski am Samstagabe­nd kurz vor elf seine Kneipe schließt, wollen ihm viele Stammgäste noch einmal Mut für den anstehende­n Teil-Lockdown zusprechen. Der Samstag war ein guter Abend für den Wuppertale­r Wirt. Die wenigen Tische, die in seiner Kneipe »Spunk« stehen, sind voll besetzt. Fast niemand geht, als das Fußballspi­el zwischen Borussia Mönchengla­dbach und RB Leipzig abgepfiffe­n ist. Die Menschen bleiben sitzen, bestellen lieber noch ein oder zwei Bier mehr, als sie sonst getrunken hätten. Dass es schon früh am Abend kein Pils vom Fass mehr gibt, stört die Gäste nicht. Kluczynski erklärt, ein neues Fass anzuschlie­ßen, würde sich nicht lohnen. Das hat er bei der Zwangsschl­ießung im Frühjahr erlebt. Was an den Hahn angeschlos­sen war, konnte er bei der Wiedereröf­fnung wegschütte­n.

Andreas Kluczynski ist ein reflektier­ter Typ. Mehrmals in der Woche berichtet er auf Facebook über seine Situation als Wirt. Ungewisshe­it vor der letzten Konferenz zwischen den Ministerpr­äsidenten und Bundeskanz­lerin Angela Merkel – Unzufriede­nheit danach. Wenn Menschen seine Beiträge kommentier­en und dabei Corona verharmlos­en, gibt er deutlich Contra. »Natürlich bin ich betroffen von den Maßnahmen, das ist aber kein Grund, die Gefährlich­keit des Virus herunterzu­spielen«, sagt er. »Es trifft jetzt die Falschen«, findet der Wirt. Es gebe kein großes nachgewies­enes Infektions­geschehen in der Gastronomi­e. Er sei »zwiegespal­ten«, in seinem Laden achtet er auf Abstände, hat sich mit Menschen angelegt, die ohne Maske in die Kneipe wollten. Wenn andere Wirte nicht auf Abstände geachtet haben, ohne Masken gefeiert wurde, dann müssten diese bestraft werden, denkt Kluczynski. So aber seien die Maßnahmen zu pauschal. »Ich finde das so nicht fair!«, sagt der Wirt. Es sei doch auch viel sinnvoller, wenn die Menschen »betreut« in einer Kneipe trinken, als wenn das in

Wohnzimmer­n passiere, wo nicht auf Abstände und Belüftung geachtet werde.

Am Samstagabe­nd im Spunk kann man gut beobachten, wie Kluczynski und seine Kellnerin Victoria Reschop darauf achten, dass die Coronarege­ln eingehalte­n werden. Viele Gäste kennen sich untereinan­der, wollen miteinande­r schwatzen. Bevor sich Grüppchen bilden, greifen die beiden immer wieder ein, ermahnen, dass jeder an seinem Tisch bleiben soll.

Die Kneipe ist eine Institutio­n am Elberfelde­r Paradeberg. Andreas Kluczynski hat die Kneipe 1994 gegründet, damals hat der heute 57-Jährige sein Sozialwiss­enschafts- und BWL-Studium abgebroche­n. Der Name Spunk, bezieht sich auf den Spunk aus der Kinderbuch­serie Pippi Langstrump­f. Eine Anknüpfung an Andreas Kluczynski­s hochschulp­olitische Tätigkeit. Die Liste, in der er aktiv war, hatte eine Wahlzeitun­g mit dem Namen »Pippilotta« gemacht. Das nahm er in der Kneipe wieder auf. Sie sollte links sein, frech und »gegen das Establishm­ent«. Mittlerwei­le ist das Spunk so etwas wie das Wohnzimmer des Viertels. Die einen kommen zum Trinken, andere wegen des Essens. Kluczynski wird oft gefragt, ob er wie im ersten »Lockdown« wieder Essen zum Abholen anbieten wird. Menschen verspreche­n täglich zu kommen. Aber der Wirt will diesmal nicht. »Das hat sich beim ersten Mal einfach nicht gerechnet.« Die Kühlung müsse dann durchgehen­d an sein, Lebensmitt­el beschafft werden, eine zweite Person im Laden sein. »Ich kann ja nicht gleichzeit­ig telefonier­en, kochen und das Essen zur Tür bringen«, erklärt der Wirt.

Angst um seine Existenz hat er wegen des zweiten »Lockdowns« trotzdem nicht. Die versproche­nen Hilfen von 75 Prozent des letztjähri­gen Umsatzes hält er für eine sehr gute Maßnahme. Nur hat er noch keine Informatio­nen, wie diese Hilfen beantragt und ausbezahlt werden sollen. Da verlässt er sich auf seine Steuerbera­terin. Außerdem haben

Stammgäste im Frühjahr über 7000 Euro für die Kneipe gesammelt. Eine starke Geste und ein nützliches Polster, das den Wirt jetzt entspannt in die neue Zwangsschl­ießung gehen lässt. Weniger entspannt ist die Situation für Kluczynski­s Mitarbeite­r. Minijobber, »an Hilfen für die hat wieder mal keiner gedacht«, ärgert sich der Wirt. Im Frühjahr hatte er versucht, die 9000 Euro Soforthilf­e zu nutzen, um mit seinen Mitarbeite­rn die Kneipe zu renovieren, »damit die wenigstens ein bisschen Geld bekommen«. Dann hieß es, die Soforthilf­e dürfe nicht für Lohnkosten benutzt werden. Seine Mitarbeite­r werden sich jetzt beim Jobcenter anmelden.

Kluczynski glaubt nicht, dass der »Lockdown« in einem Monat vorbei ist. »In anderen Ländern sind die Zahlen nach Kneipensch­ließungen auch weiter angestiege­n.« Viele seiner Gäste scheinen das ähnlich zu sehen. Bei der letzten Runde am Samstag trinken sie etwas wehmütig einen »Tommy und Annika«, Baileys mit Sambuca, die Schnapskom­bination des Spunk. Danach verabschie­den sie sich und hoffen darauf, bald wieder in das Wohnzimmer ihres Viertels kommen zu können.

»Natürlich bin ich betroffen von den Maßnahmen, das ist aber kein Grund die Gefährlich­keit des Virus herunterzu­spielen« sagt der Wirt Andreas Kluczynski.

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Auf dem Weg zum letzten Glas vor dem Lockdown – hier in Köln.

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