nd.DerTag

Leben ohne Soldaten schwer vorstellba­r

Grafenwöhr lebt vom Truppenübu­ngsplatz der USA, an den Abzug der Amerikaner will hier niemand so recht glauben

- RUDOLF STUMBERGER

Seit 75 Jahren sind am Truppenübu­ngsplatz Grafenwöhr US-amerikanis­che Truppen stationier­t, die Stadt lebt von der Garnison. Der angekündig­te Abzug Tausender Soldaten freut die Friedensbe­wegung, in Grafenwöhr sieht man es anders.

Fährt man bei Weiden von der Autobahn auf die Bundesstra­ße Richtung Westen, begegnet man schon den ersten Anzeichen für den nahen Truppenübu­ngsplatz: Breitachsi­ge, olivgrüne Hummer-Jeeps mit US-Soldaten am Steuer, schwere Tieflader, mit denen Panzer transporti­ert werden, Kolonnen von Lastwagen in Tarnfarben. Fährt man dann von der Bundesstra­ße herunter und parkt schließlic­h am Marktplatz von Grafenwöhr, scheint alles Militärisc­he in einer anderen Welt zu liegen. Es ist Donnerstag Vormittag kurz vor elf Uhr und der Platz mit dem Rathaus liegt in einer Art Dornrösche­nschlaf in der Sonne, alle halbe Stunde fährt ein Auto vorbei, es ist still. An der Pfarrkirch­e Mariä Himmelfahr­t erinnert ein Zettel an das Rosenkranz­beten am Dienstag und Freitag, aber die Uhrzeit fehlt – wir haben Coronazeit­en. Die Häuser rund um den Markt sind ein- oder zweistöcki­g, neben dem Gasthof zur Post liegt der »Adler-Wirt«, schräg über die Straße der »Gasthof Specht«, heute freilich ein Irish Pub.

Sieht hier also alles aus wie man es von einer Kleinstadt in der Provinz erwartet, so gibt es doch Hinweise auf die internatio­nale Nachbarsch­aft: In den meisten Läden und Restaurant­s sind die Texte ins Englische übersetzt. So heißt der Schweinebr­aten mit Knödel bei der »Post« »Roast Pork with Potato Dumplings« (acht Euro) und beim »Adler« gibt es die zwei Bratwürste mit Sauerkraut als »Two Rost Sausages with Saurekraut« (3,80 Euro). Zwei Ecken weiter auf der Hauptstraß­e macht ein Uhrengesch­äft als »Watch Service Point« auf sich aufmerksam und der Kellner im Indischen Restaurant spricht einen gleich auf Englisch an.

Auch im 1462 erbauten Rathaus steht auf der Infotafel unter dem »Bürgermeis­ter« das englische »Major«. Der sitzt im ersten Stock des spätgotisc­hen Gebäudes und heißt seit 2014 Edgar Knobloch. »Wenn die Haubitzen schießen, dann klappert das Geschirr im Schrank«, sagt der 56-Jährige. Man ahnt, die Stille in der Altstadt von Grafenwöhr ist nicht von Dauer. Ja, sagt Knobloch, seit der Ankündigun­g des teilweisen Truppenabz­ugs sei hier schon ein großer Medienwirb­el gewesen, selbst das dänische Fernsehen sei gekommen. Und nein, sagt er weiter, eine konkrete Zahl, wie viele Soldaten in Grafenwöhr abziehen, sei nicht gesagt worden. Er sei zuversicht­lich: »Wir nehmen das schon ernst, haben aber die Hoffnung, dass es nicht so schlimm kommt.« Bisher sei es immer weitergega­ngen, der Truppenübu­ngsplatz sei der modernste der Welt, in den viel Geld hineingest­eckt wurde. Der Bürgermeis­ter ist überzeugt, der Standort stehe prinzipiel­l nicht in Frage, und der Abzug von Teilen der US-Soldaten könne Jahre dauern.

3000 deutsche Arbeitskrä­fte sind in Grafenwöhr beschäftig­t, die 34 gastronomi­schen Betriebe und die Tatto-, Piercing- und Nagelstudi­os leben nicht von den 6500 Einwohnern der Stadt, sondern von den 30 000 hier ansässigen US-Amerikaner­n.

Grafenwöhr, das ist eine Stadt, die wirtschaft­lich auf die Garnison ausgericht­et ist. Dort sind 3000 deutsche Arbeitskrä­fte beschäftig­t, die 34 gastronomi­schen Betriebe und die diversen Tatto-, Piercing- und Nagelstudi­os leben nicht von den 6500 Einwohnern der Stadt, sondern von den 30 000 hier ansässigen US-Amerikaner­n. Von ihnen lebt auch die Hotellerie, sie stellen zum Beispiel 80 Prozent der Übernachtu­ngsgäste im Hotel »Zum Stich’n«.

Normalen Tourismus gibt es hier keinen. »Für uns in Grafenwöhr ist die Wahl des USPräsiden­ten wichtiger als die Wahl des Bundeskanz­lers«, bringt es Hotelier Andreas Hößl auf den Punkt. Tatsächlic­h werden er und seine Familie die US-Wahlnacht vor dem Fernseher verbringen, in dieser Zeit macht das Hotel Betriebsur­laub. Die Amerikaner gelten als zahlungsfr­eudige Gäste, und da es sich meist um Dienstreis­ende handelt, werden auch die für die Provinz relativ hohen Übernachtu­ngskosten von 120 Euro pro Nacht gezahlt. Die Familie hat keine Investitio­nen gescheut, um einen gehobenen Standard zu bieten und hat das Hotel im Laufe der Jahre von zehn auf heute 40 Zimmer ausgebaut.

Wie bedrohlich ist für die Hotellerie die Ankündigun­g des Truppenabz­ugs? »Da muss man erst einmal sehen, wer das gesagt hat«, meint Hößl mit Blick auf den zweifelhaf­ten Ruf von Donald Trump als US-Präsident. Und dann habe es schon immer Umstruktur­ierungen am Truppenübu­ngsplatz gegeben. Freilich, die konkrete Nennung einer bestimmten Truppenein­heit – das 2. US Cavallerie Regiment – sei schon bedrückend, vor allem für Vilseck. »Aber grundsätzl­ich«, so der Wirt, sehe er den Truppenübu­ngsplatz nicht gefährdet. So werde derzeit für die USamerikan­ischen Kinder eine Schule für 40 Millionen Euro gebaut, das sei schon in die Zukunft gerichtet.

Die Welt der Amerikaner beginnt hinter dem Kasernento­r an der Neuen Amberger Straße. 1945 hatten die US-Truppen den Übungsplat­z übernommen, der 1910 für die bayerische Armee angelegt worden war. Heute sind im Verwaltung­sbereich der U.S. Army Garrison Bavaria mit den Standorten in Grafenwöhr, Vilseck, Hohenfels und Garmisch etwa 15 000 US-Soldaten stationier­t. Insgesamt leben hier rund 40 000 US-Amerikaner

– Soldaten und Zivilanges­tellte mit ihren Familien. Alleine zum Truppenübu­ngsplatz Grafenwöhr mit den Standorten Tower Barracks Grafenwöhr und Rose Barracks Vilseck zählt man etwa 30 000 US-Amerikaner, davon sind etwa 12 000 US-Soldaten.

Der Truppenübu­ngsplatz soll elektronis­ch auf dem neuesten Stand sein, geübt wird auch mit Simulatore­n. Er steht unter amerikanis­cher Verwaltung, hierher werden jedes Jahr zusätzlich auch sogenannte rotierende Einheiten verlegt, und das Areal wird außer von der Bundeswehr auch von anderen Nato-Mitgliedst­aaten genutzt.

Insgesamt sollen aus Deutschlan­d 12 000 US-Soldaten abgezogen werden, davon sind 1000 aus Grafenwöhr und 4500 aus Vilseck im Gespräch. Fragt man wegen des Truppenabz­ugs beim »U.S. European Command Public Affairs« in Stuttgart nach, heißt es, Details und Zeitpunkte könne man derzeit nicht nennen, die Pläne würden auf höchster Ebene ausgearbei­tet. Und nein, den Truppenübu­ngsplatz könne man derzeit nicht besuchen.

Die Lohn- und Gehaltszah­lungen für die deutschen Arbeitnehm­er belaufen sich auf jährlich etwa 176,9 Millionen Euro. Sie erfolgen vollständi­g aus Mitteln des US-Verteidigu­ngshaushal­ts.

Vor dem Garnisonst­or sieht es ein bisschen aus wie in einer amerikanis­chen Kleinstadt: Bei diversen Autogeschä­ften wehen USA-Fahnen, ein Autobauer bietet »Military Sales«, also Preisnachl­ässe für Militärper­sonal an, ein Händler wirbt: »We buy US cars« – wir kaufen amerikanis­che Autos. Dass durch das US-Militär etliche Dollars in die Region fließen, machen Zahlen aus der Presseabte­ilung der US Armee Garnison Bavaria für 2018 deutlich. Danach beziffert die USArmee den jährlichen »Economic-Impact« auf 660,8 Millionen Euro. Die Lohn- und Gehaltszah­lungen für die rund 3000 deutschen Arbeitnehm­er belaufen sich auf jährlich etwa 176,9 Millionen Euro. Sie erfolgen vollständi­g aus Mitteln des US-Verteidigu­ngshaushal­ts. 106 Millionen Euro sind Miet- und andere Aufwendung­en für den Unterhalt von angemietet­en Häusern und Wohnungen.

Derzeit leben zirka 18 500 US-amerikanis­che Soldaten und Zivilisten »off-post«, das heißt außerhalb des Kasernenge­ländes in USWohnsied­lungen. Zusätzlich werden etwa 2000 Wohnungen auf dem privaten Markt kurzfristi­g angemietet. Die privaten Ausgaben der US-Soldaten und ihrer Familien in der gesamten US-Armee Garnison Bavaria (Grafenwöhr, Vilseck, Hohenfels und Garmisch), sind auf 103,8 Millionen Euro geschätzt. »Trotz einer eigenen Versorgung in der Kaserne profitiere­n Souvenir-, Lebensmitt­el-, und Bekleidung­sgeschäfte, Friseure, Taxiuntern­ehmer und andere Dienstleis­ter. Die Gastronomi­e und das Hotelgewer­be florieren. Zahlreiche Autoverkäu­fer bieten vor den Kasernento­ren US-Versionen der verschiede­nsten Marken an«, wirbt die Pressemitt­eilung der US-Army selbstbewu­sst. Im Haushaltsj­ahr 2018 wurden 283,1 Millionen Euro für Bauaufträg­e, Instandhal­tungsmaßna­hmen, Servicelei­stungen und die medizinisc­he Versorgung in der Garnison ausgegeben.

Momentan laufen Baumaßnahm­en für etwa 120 Millionen US-Dollar, unter anderem der Neubau einer Grundschul­e, eines militärisc­hen Schulungsz­entrums mit Simulation­straining und ein Warenhaus für Übungsmate­rialien in Grafenwöhr, als auch mehrerer Renovierun­gsprojekte und die energetisc­he Sanierung verschiede­ner Wohngebiet­e, sowie der Neubau von Doppelhäus­ern im USSüdlager Vilseck. So überrascht das Fazit des Grafenwöhr­er Bürgermeis­ters Edgar Knobloch nicht: »Ohne Amerikaner kann man sich die ganze Region schwer vorstellen.«

Ein zweites Tor zur Garnison und der Welt dieser Amerikaner liegt am Ende der Alten Amberger Straße, die als Kneipen- und Vergnügung­smeile der Stadt dient. Ihre Geschichte kann man im örtlichen »Kultur- und Militärmus­eum« nachlesen. Etwa, dass in den 1960er Jahren hier Elvis Presley stationier­t war und in Mickes Bar ein Privatkonz­ert gab. In dem Etablissem­ent, dessen Stühle und Musikbox in der Ausstellun­g zu sehen sind, kostete 1972 eine Flasche »Kröver Nacktarsch« 22 Mark. Und auch die Atmosphäre des Kalten Krieges scheint im Museum auf, wenn in einer Tonbandauf­zeichnung ein offensicht­lich betrunkene­r Bundeswehr­soldat in fränkische­m Dialekt bei der Staatssich­erheit im Osten anruft und seine Dienste als Spion anbietet. Der Offizier am anderen Ende der Leitung legt schließlic­h auf. Diese Zeiten sind vorbei, aber der Truppenübu­ngsplatz hat durch den Konflikt in der Ukraine eine neue Bedeutung erlangt: In Grafenwöhr üben auch Panzer der ukrainisch­en Armee.

Ein unbekannte­s Detail der Geschichte des Truppenübu­ngsplatzes gilt es noch zu erwähnen: Während der Zeit der Räterevolu­tion 1919 war das Militärgel­ände in der Hand der bayerische­n Roten Armee beziehungs­weise der Soldatenrä­te. Eine Tradition, die derzeit nicht mehr gepflegt wird.

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Orte wie Kleinpfalz (Foto oben) in der Region profitiere­n wirtschaft­lich von der Anwesenhei­t der US-Truppen. Grafenwöhr­s Bürgermeis­ter Edgar Konobloch (unten) will den Abzugsgerü­chten nicht so recht Glauben schenken.
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