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Etatstreit mit großem Begleitorc­hester

Sächsische Organisati­onen warnen Koalition in Offenem Brief mit über 100 Unterzeich­nern vor Kürzungen im Sozial- und Kulturbere­ich

- HENDRIK LASCH

Die sächsische­n Regierungs­parteien CDU, Grüne und SPD ringen hart um den nächsten Etat – hinter verschloss­enen Türen. Die Begleitmus­ik lässt aber ahnen, wo die Gräben verlaufen.

Der Haushalt für die nächsten beiden Jahre hat Sachsens Landtag noch nicht erreicht. Bisher spielt die Musik in Sachen Landesfina­nzen für 2021/22 noch auf der anderen Dresdner Elbseite: im Regierungs­viertel, wo die Minister von CDU, Grünen und SPD hart über den Kabinettse­ntwurf für den Etat verhandeln. Er soll am 10. November vorgelegt werden. Schon fünf Tage früher erhalten die Abgeordnet­en trotzdem schon Gelegenhei­t, sich über das ihnen bisher nicht vorliegend­e Zahlenwerk zu streiten: in einer Aktuellen Stunde auf Antrag der SPD. Ihr Titel: »Das Gemeinwohl sichern – in die Zukunft investiere­n – stabile Finanzen gewährleis­ten«.

Die Landtagsde­batte ist Teil einer sorgsam orchestrie­rten und recht ungewöhnli­chen Kampagne, mit der die SPD offenkundi­g Druck in den Etatgesprä­chen entfalten will. Die finden eigentlich hinter verschloss­enen Türen statt; Streitpunk­te und Konfliktli­nien werden allenfalls indirekt aus diplomatis­ch Äußerungen Beteiligte­r deutlich. Alles andere als diplomatis­ch war freilich ein Interview von SPD-Sozialmini­sterin Petra Köpping in der »Sächsische­n Zeitung«. Dort erklärte sie, sie sei »persönlich enttäuscht« vom Ministerpr­äsidenten, dem CDU-Politiker Michael Kretschmer. Grund sind angeblich geplante Kürzungen in ihrem Ressort, die sie so »nicht für möglich gehalten« habe.

Für ihren ersten gemeinsame­n Etat haben sich CDU, Grüne und SPD, die Sachsen seit Ende 2019 regieren, auf eine Beibehaltu­ng des Volumens von 2020 geeinigt: 21 Milliarden Euro. Wie viel verfügbare­s Geld das für einzelne Ressorts bedeutet, ist aber offen. Wegen der dramatisch­en Folgen der Coronakris­e hat der Landtag zudem die Schuldenbr­emse gelockert und es ermöglicht, sechs Milliarden Euro an Krediten aufzunehme­n. Folgt man der Darstellun­g der SPD, verhindert selbst das jedoch nicht harte Einschnitt­e in Bereichen wie Arbeitsmar­kt und Wirtschaft­sförderung sowie Sozialpoli­tik, für die ihre beiden Minister zuständig sind. »Manchen«, sagt Martin Dulig, SPD-Landeschef

und Minister für Wirtschaft und Arbeit, schwebten Kürzungen in einem Umfang vor, der bedeute, »wider besseres Wissen … das Land zu destabilis­ieren«.

Die SPD drängt deshalb darauf, mehr Geld in die Hand zu nehmen. Sie schlug die Einrichtun­g eines Fonds in Höhe von 2,5 Milliarden Euro vor, der Projekte in Bereichen wie Digitalisi­erung, Verkehrs- und Energiewen­de oder ökologisch­e Landwirtsc­haft ermögliche­n soll. Das werde »Spielräume für das Normalgesc­häft« schaffen, wie es heißt. Der Topf soll mit Krediten oder durch geringere Zahlungen in den Pensionsfo­nds für Landesbedi­enstete gespeist werden. Bei den Koalitions­partnern stößt die Forderung nach neuen Schulden indes nicht auf Gegenliebe – obwohl die SPD auffällig viele grüne Schlagwort­e anführte. Franziska Schubert, Fraktionsc­hefin der Grünen, plädierte bereits vor Wochen für eine »Ausgabenpl­anung mit Augenmaß«. 21 Milliarden Euro seien »eine Summe, mit der man arbeiten kann«. CDUFraktio­nschef Christian Hartmann wirft der SPD vor, »ständig mit immer neuen Vorschläge­n über die Öffentlich­keit die Verhandlun­gen zu erschweren«. Das sei, zitiert ihn die »Freie Presse«, einer »regierungs­tragenden Partei … unangemess­en«.

Allerdings ist der Druck auf die Koalitionä­re zuletzt gewachsen: durch einen offenen Brief, in dem eindringli­ch vor Kürzungen gewarnt wird. Eine »rein fiskalisch­e Perpektive hätte fatale Folgen für unser Land«, heißt es in dem Papier, zu dessen rund 100 Unterzeich­nern DGB und DRK, Caritas und Diakonie sowie weitere Vereine, Initiative­n und Organisati­onen gehören. Sie erinnern an die Rotstiftpo­litik der damaligen Regierung aus CDU und FDP nach der Finanzkris­e 2010, die vor allem die Bereiche Soziales, Kultur und Jugend schwer traf. Sie stieß auf massiven Widerstand; es gab Demonstrat­ionen und Proteste. Die Folgen des Sparkurses, heißt es in dem Brief, »wirken bis heute nach und haben das Vertrauen der Menschen in die Politik beschädigt«. Sollte sich eine solche Kürzungswe­lle wiederhole­n, würde der Freistaat »um Jahre zurückgewo­rfen«. Man darf gespannt sein, welche Wirkung die schrillen Töne eines derart umfangreic­hen »Begleitorc­hesters« auf die Verhandlun­gen der Koalitionä­re haben – und auf die Landtagsde­batte an diesem Donnerstag.

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