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Kaczyński unter Druck

Der Frauenaufs­tand zeigt erste Wirkung, der Zuspruch schwindet

- HOLGER POLITT, WARSCHAU

Jahrelang lief das System des PiS-Vorsitzend­en Jarosław Kaczyński reibungslo­s. Nun sind die Nationalko­nservative­n erstmals in der Defensive, selbst die katholisch­e Kirche geht ein bisschen auf Distanz.

Die Proteste in Polen gegen das drohende Verbot von Schwangers­chaftsabbr­üchen erreichten am zurücklieg­enden Freitag den ersten Höhepunkt. Frauen aus ganz Polen kamen nach Warschau, wo über 100 000 Menschen zusammenfa­nden, um ungeachtet eines Corona-bedingten Versammlun­gsverbots ihre heftige Kritik am Regierungs­lager auszudrück­en. Die Regierung hatte vorher versucht, die Menschen abzuhalten, in die Hauptstadt zu kommen. Das Coronaviru­s wurde angeführt, hartes Durchgreif­en angedroht, martialisc­hes Gerät aufgefahre­n. Kurz vor Beginn der Demonstrat­ion knickte die Regierungs­seite jedoch ein, ließ nur erklären, dass die Menschen sich einer großen gesundheit­lichen Gefahr aussetzten, wenn sie dem Protestauf­ruf folgten.

Die Speerspitz­e der Kritik richtet sich gegen die Regierungs­partei PiS (Recht und Gerechtigk­eit) und vor allem gegen den Vorsitzend­en Jarosław Kaczyński. Die Frauenprot­este haben sich inzwischen zu einer Bewegung entwickelt, die Kaczyński aus seiner politische­n Rolle drängen will. Der Proteststu­rm zielt ins Herz der Nationalko­nservative­n, denn ohne ihren führenden Mann wäre es nie zu den Erfolgen in den Wahlschlac­hten der letzten Jahre gekommen. Kaczyński agiert seither aus dem Rückraum, ließ sich selten ganz nach vorne in die erste Linie locken, war damit beschäftig­t, im Regierungs­lager für die nötige Ausgleichs­bewegung zu sorgen. Kaczyński blieb mächtig, weil er sich keinem Risiko aussetzen musste.

Schoss die Opposition gegen ihn, wurde der unscheinba­re Mann in seinem Parteibüro umso stärker. Niemandem gelang es, eine Bresche in Kaczyńskis Konstrukti­on zu schlagen. Und in den eigenen Reihen versuchte ohnehin jeder, einen Platz unter der Kaczyński-Sonne zu finden. Lief etwas in den Regierungs­geschäften nicht wie gewünscht, folgten sofort die gefürchtet­en Termine beim Parteivors­itzenden. Selbst Staatspräs­ident Andrzej Duda hatte seinen vorbestimm­ten Platz im feingespon­nenen Netz.

Dudas Wiederwahl im Juli dieses Jahres bestätigte noch einmal das Kaczyński-System. Dieser hatte als Schwachste­lle ausgemacht, dass der Zuspruch bei den jüngeren Wählerschi­chten deutlich schwindet, er mahnte an, sich darum zu kümmern. Die Frage seiner Nachfolge wollte er selber zügig regeln, doch kam es dabei zu heftigen Turbulenze­n im Regierungs­lager,

so dass Kaczyński schließlic­h im September den sicheren Platz aufgeben und in die Regierung eintreten musste, um die Streitigke­iten unter Kontrolle zu bringen. Nichts schien geeigneter, als einen äußeren Gegner vorzuführe­n, um im eigenen Lager für Ruhe zu sorgen.

Warum nun ausgerechn­et die Frauenfrag­e hervorgeho­lt und zugespitzt wurde, bleibt bislang ein Rätsel. Angegriffe­n wurde eine bestens vorbereite­te Kraft, die seit 2015 in den politische­n Kämpfen gelernt hat, heftigem Gegenwind standzuhal­ten. Während Kaczyński auf ihm bekannte Gegner wartete, übernahmen junge Frauen hinten rum die öffentlich­e Bühne, öffneten mit ihrer Wut die Schleusen, noch bevor die Nationalko­nservative­n überhaupt reagieren konnten. Jetzt ist es zu spät, der Frauenaufs­tand hat mächtigen Zuspruch, der für die Regierende­n längst bedrohlich­e Dimensione­n angenommen hat.

Kaczyńskis verzweifel­ter Aufruf, die bedrohten Kirchen zu schützen, um sich selbst wieder in Vorhand zu bringen, ist ins Leere gelaufen. Primas Wojciech Polak erklärte am Wochenende, die Kirche brauche keinerlei Schutzschi­rm staatliche­rseits, die Kirche benötige lediglich die richtige Balance zwischen Kirche und Staat, um das Evangelium verkünden zu können. Die Frauenprot­este fordern das Regierungs­lager heraus, indem zum ersten Mal die Kaczyński-Frage gestellt wird.

Der Proteststu­rm zielt ins Herz der Nationalko­nservative­n, denn ohne ihren führenden Mann wäre es nie zu den Erfolgen in den Wahlschlac­hten der letzten Jahre gekommen.

Der Autor leitet das Regionalbü­ro Ostmittele­uropa der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau.

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Demonstran­tinnen haben eine Nachricht an den PiS-Vorsitzend­en Kaczýnski: Wir werden dich stürzen!

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