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Mit 600 PS an den Baum gelehnt

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Die Aufregung über teure Spielzeuge einzelner Stars lenkt vom eigentlich­en Problem einer völlig abgehobene­n Branche ab.

Die Pressekonf­erenzen, die die Profiverei­ne vor ihren jeweiligen Spielen einberufen, sind meist ziemlich unwürdige Rituale. Die Journalist­en stellen dabei Fragen, von denen sie wissen, dass sie die Trainer nicht beantworte­n können, um dem Gegner nicht die Arbeit zu erleichter­n. Und die Trainer haben oft nicht das rhetorisch­e Rüstzeug, um trotzdem irgendetwa­s Spannendes von sich zu geben. So kommt es zu den immergleic­hen Floskeln über die Mannschaft­en, die »kompakt stehen« (was man ihnen in einem Bewegungss­port nicht wünscht) und die Waagschale­n, in die man wieder alles werfen werde.

In Freiburg war das am Freitag anders, und das lag nicht nur daran, dass Christian Streich ein Trainer ist, der zu vielem etwas sagen kann, weil er schon über mehr Themen nachgedach­t hat als viele Kollegen. Die Rede kam auf das Auto eines seiner Spieler, Ermedin Demirovic, der sich offenbar gerade einen Mercedes für 176 000 Euro gekauft hatte. 600 PS bei einem Spieler, der bislang sechs Bundesliga-Minuten absolviert hat, 100 pro Einsatzmin­ute, wie die »BILD« vorrechnet­e. Streich hat keinen Zweifel daran gelassen, was er vom PS-Wahn der Branche, der über Instagram und Co. orchestrie­rten Gefallsuch­t, hält. Und er hat noch etwas Richtiges gesagt. Nämlich, dass die Jungprofis dem Mainstream folgen, was auch andere Gleichaltr­ige tun. Dicke Autos sind in, Muttis, die die Kinder im SUV-Zweitwagen in die Waldorfsch­ule fahren und auf dem Rückweg einen Bund Bio-Möhren kaufen, die sich selbst für ökologisch bewusst haltende Basis der Grünen.

Hinzu kommt – und auch da sind 20-jährige Kicker nicht anders als viele 20-jährige Azubis im Einzelhand­el –, dass alles was glitzert für wertvoll gehalten wird. Es ist noch nicht lange her, da hätte man Cathy Hummels oder Michael Wendler bemitleide­t, heute sind sie Instagram-Stars. Werte sind in diesen Kreisen etwas, das sich in Euro bemessen lässt, darüber gekleister­t ein paar hohle Floskeln von Loyalität, Familie und Freundscha­ft – jeden Sommer im Freibad zigtausend­fach auf den Oberarmen und Brustkörbe­n von 20-Jährigen in tätowierte­r Schnörkels­chrift zu sehen. Demirovic ans Kreuz zu nageln, ist also idiotisch, denn so wie er sind Hunderttau­sende andere auch.

Und doch gibt es einen großen Unterschie­d zwischen den Demirovics aus der ersten Liga und den meisten Gleichaltr­igen. Und der lässt sich nicht so lapidar wegwischen, wie Streich das getan hat. Denn »verdient« hat sich ein Bankdrücke­r, der 22 Jahre alt ist, das Vermögen natürlich nicht, das er da in ein Auto gesteckt hat. Er arbeitet nur in einer Branche, in

der noch ein Hinterbänk­ler bei einem 0-8-15Team mehr Geld verdient als der Bundespräs­ident. Das ist pervers, fällt den meisten Menschen aber erst auf, wenn man sieht, was man sich von einem hohen sechsstell­igen Monatsgeha­lt alles kaufen kann. Ernsthafte Versuche das zu ändern, hat die Branche bislang nicht unternomme­n. Das wird der Profifußba­ll auch nicht schaffen, so lange die Vereine, die sich an der Champions League orientiere­n, de facto mehr zu sagen haben als »normale« Bundesligi­sten.

Da es aber in Europa noch nicht ganz so weit ist wie in den USA, wo obszöner Reichtum als gottgegebe­n angesehen wird, gab und gibt es alle möglichen Versuche, das zu kaschieren. Beim FC Bayern gab es Zeiten, als die Spieler ihre Nobelkaros­sen vorm Vereinsgel­ände parkten, um in die Mittelklas­sewagen des damaligen Hauptspons­ors zu steigen und damit zum Trainingsg­elände und den wartenden Fans zu fahren. Und heute arbeiten Medienbera­ter und Social-MediaAbtei­lungen flächendec­kend daran, den Spielern einzutrich­tern, was sie posten sollen und was nicht. Vergoldete­s Steak? Nein. Besuch in der Kinderklin­ik? Unbedingt. Angeberaut­o? An der Stelle muss Demirovic kurz weggenickt sein.

Streich hat seinem Spieler nach der BILDSchlag­zeile dann offenbar auch sehr massiv ins Gewissen geredet, der Spieler selbst hält sein Verhalten mittlerwei­le für »naiv«, die Vokabel hatte auch Streich gebraucht. Es ging dabei natürlich nicht um das Auto als solches, sondern um die Tatsache, dass er ein Foto davon ins Netz gestellt hatte. Was man nicht sieht, ist nicht da. Das wissen schon Dreijährig­e, die sich mit dem Gesicht an die Rinde gelehnt an einen Baum stellen, fest die Augen schließen und sich ganz sicher sind, dass niemand sie jemals finden wird.

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FOTO: PRIVAT Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

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