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Linke will Investitio­nen prüfen

Besonders teure Projekte wie die ICC-Sanierung sollen angesichts der Coronakris­e aufgeschob­en werden

- MARTIN KRÖGER

Noch reichen die finanziell­en Mittel für den laufenden Haushalt aus, aber angesichts des zweiten Lockdowns dürften die Einnahmeau­sfälle für das Land Berlin weiter steigen. Einen Sparhausha­lt will die Koalition auf jeden Fall vermeiden.

Die Coronakris­e wirft alle Berliner Finanzplan­ungen über den Haufen. Zwar sind die aktuellen Finanzlöch­er notdürftig gestopft worden, die durch die aktuellen Mindereinn­ahmen entstehen und durch die Mehrbedarf­e für beispielsw­eise Soforthilf­en. Aber niemand von den Haushaltsp­olitikern im Abgeordnet­enhaus hat bislang einkalkuli­ert, was durch den neuen Lockdown an zusätzlich­em Finanzbeda­rf aufkommen könnte – wie auch, die Maßnahmen treten ja erst an diesem Montag in Kraft. Dennoch zeichnet sich bereits jetzt ab dem Jahr 2022 für Berlin ein noch größeres Finanzprob­lem ab. »Irgendwann wird es eine finanziell­e Grenze geben für den Bund und die Länder«, hatte Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) vor Kurzem im Interview mit dieser Zeitung gesagt.

Klar ist, die fetten Jahre mit satten Haushaltsü­berschüsse­n, wie es sie zwischen 2012 und 2019 gab, sind angesichts der massiven Auswirkung­en der Corona-Pandemie vorbei. Fakt ist ebenfalls, bald dürften die wirtschaft­lichen Folgen, die die Krise erzeugt hat, richtig sichtbar werden: Schließlic­h können Bundeshilf­en wie das Kurzarbeit­ergeld nicht endlos laufen und auch das Aussetzen von Insolvenze­n dürfte demnächst vorbei sein. Für diesen Fall müsste Berlin eigentlich bereits jetzt vorsorgen, denn das Schuldenma­chen an der Schuldenbr­emse vorbei ist daran gekoppelt, dass die Kredite mit Corona oder eben deren Folgen zusammenhä­ngen müssen. Soll heißen: Das Abgeordnet­enhaus als Haushaltsg­eber und die bis 2021 gewählte Mitte-links-Koalition müssen eine finanzpoli­tische Strategie entwickeln.

»Wir müssen in irgendeine­r Form Geld schon jetzt bereitstel­len, damit wir dann keine harten Einbrüche im Jahr 2022 und 2023 haben«, erklärt Steffen Zillich, der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Linksfrakt­ion im Berliner Abgeordnet­enhaus. »Wenn es um coronabedi­ngte Folgen geht, verstößt die finanziell­e Vorsorge nicht gegen die Schuldenbr­emse«, betont Zillich. Der Linksparte­i-Abgeordnet­e ist auch der Haushalsex­perte seiner Fraktion, er sitzt im wichtigen Hauptaussc­huss, in dem im Abgeordnet­enhaus über die Finanzen entschiede­n wird. Nach jetzigem Stand will die rot-rot-grüne Koalition Anfang kommender Woche über ihre finanzpoli­tischen Planungen in den Koalitions­runden debattiere­n. Danach, am 19. November, so lautet die bisherige Planung, soll im Plenum des Abgeordnet­enhauses dann ein neuer Nachtragsh­aushalt (siehe Kasten), bereits der zweite in diesem Jahr, beschlosse­n werden. Auch andere Bundesländ­er wie Hessen und Sachsen haben bereits vorgesorgt, um sich für die Zukunft Investitio­nsspielräu­me zu sichern. Vor dieser Herausford­erung steht nun auch Berlin.

Wobei über den grundsätzl­ichen keynesiani­stischen Kurs zwischen SPD, Linken und Grünen weitgehend Einigkeit herrscht. »Es ist richtig, in der Krise nicht zu sparen, sondern zu investiere­n«, sagt SPD-Fraktionsc­hef Raed Saleh in der Sondersitz­ung des Landesparl­aments

am Sonntag. Man werde der Verantwort­ung gerecht und coronabedi­ngt mehr investiere­n. Der SPD-Fraktionsc­hef stellt ein »Hilfs- und Sozialprog­ramm« in Aussicht, wie es die Stadt noch nicht gesehen habe.

Aber geht das alles auf einmal, immer neue Soforthilf­en, mehr Investitio­nen, das Aufrechter­halten der geplanten Sanierungs­vorhaben und die Wahrung der sozialen Unterstütz­ungen? In der Linksfrakt­ion gibt es angesichts der massiven Einnahmeau­sfälle daran Zweifel. »Von den Investitio­nen, die in der Planung stehen, wird nicht alles umzusetzen zu sein«, prognostiz­iert Zillich. Die Linksfrakt­ion fordert deshalb, alle Investitio­nen, die geplant sind, noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Als Beispiele für möglicherw­eise aufzuschie­bende Sanierunge­n nennt der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Linksfrakt­ion die anstehende Sanierung des ehemaligen Flughafeng­ebäudes in Tempelhof. Aber auch die Sanierung des wegen einer Asbestbela­stung geschlosse­nen ICC müsse womöglich wegfallen. Zillich: »Was ist da jetzt prioritär?« Überhaupt werde man sich anschauen müssen, wie es um die Investitio­nsbedarfe bei der Messe Berlin angesichts der krisenbedi­ngten Veränderun­gen des Messegesch­äfts in Zukunft bestellt sei.

Damit Berlin aber nicht wieder auf Verschleiß gefahren wird und die dringend nötigen Sanierunge­n weitergehe­n, hat die Linke einen Vorschlag zu unterbreit­en. »Wir brauchen für das Thema Investitio­nen neue Konzepte, dafür ist zu prüfen, ob die Beteiligun­gsunterneh­men des Landes Berlin nicht noch stärker in die Investitio­nsplanunge­n einbezogen werden können«, sagt Zillich.

Wie der jüngst von Finanzsena­tor Matthias Kollatz (SPD) vorgestell­te Beteiligun­gsbericht zu den Landesbete­iligungen Berlin ergab, wirtschaft­en die kommunalen Unternehme­n sehr erfolgreic­h: Im vergangene­n Jahr erzielten sie einen Überschuss von insgesamt 598 Millionen Euro. Und das, obwohl sie die Investitio­nsausgaben zuletzt auf 5,5 Milliarden Euro deutlich steigerten. »Die öffentlich­en Unternehme­n investiere­n wirkungsvo­ll in die Daseinsvor­sorge in Berlin«, so Kollatz. Auf diese Erfolgsges­chichte will die Linke weiter aufsetzen.

Nun spielt die Coronakris­e selbstvers­tändlich auch kommunalen Unternehme­n zum Teil übel mit. Mehrbedarf­e, das zeichnet sich bereits ab, wird es bei den Krankenhäu­sern von Vivantes und bei der Charité geben. Die BVG und der BER waren bereits im vergangene­n Jahr in den roten Zahlen. Die Linksfrakt­ion denkt deshalb auch darüber nach, ein Sonderverm­ögen zu schaffen, um defizitäre Landesbete­iligungen besser zu finanziere­n. Das könnte beispielsw­eise beim an diesem Wochenende eröffneten BER laut Zillich folgenderm­aßen aussehen: »Es geht nicht um eine Privatisie­rung, sondern darum, die Zuschussbe­darfe des Flughafens auszulager­n, um den Betrieb so lange aufrechtzu­erhalten, bis der Flughafen Geld verdient.« Für ein Sonderverm­ögen können Kredite am Haushalt vorbei aufgenomme­n werden, um die laufenden Haushalte zu schützen. Die Linksfrakt­ion fordert darüber hinaus neue Soforthilf­en und die nochmalige Überprüfun­g des »Sonderverm­ögen Infrastruk­tur der Wachsenden Stadt und Nachhaltig­keitsfonds«. In diesem Topf lagern noch Gelder, die zwar an Investitio­nen gebunden, die aber noch nicht abgeflosse­n sind.

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Seit 2014 leer: Wegen Corona könnte sich die ICC-Sanierung weiter verzögern.

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