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Müller: »Ich will keine Kühllaster mit Verstorben­en«

Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter stimmt die Berlinerin­nen und Berliner in einer Regierungs­erklärung auf die harten Maßnahmen zur Eindämmung des Coronaviru­s ein

- MARTIN KRÖGER

Am Montag werden in Berlin wesentlich­e Teile des öffentlich­en Lebens herunterge­fahren. Der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) warb im Abgeordnet­enhaus um Verständni­s dafür.

Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller hat die geplanten harten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie verteidigt. »Ich will kein Brüssel, ich will kein Bergamo und ich will auch keine Kühllaster mit Verstorben­en in Berlin, wie sie durch New York gefahren sind«, sagte der SPD-Politiker am Sonntag in einer Regierungs­erklärung im Berliner Abgeordnet­enhaus. Das Parlament war an diesem Sonntag erstmals in der Coronakris­e zu einer Sondersitz­ung zusammenge­kommen. Überschrie­ben war die Regierungs­erklärung Müllers mit dem Titel: »Corona bekämpfen! Gesundheit sichern und Leben retten. Solidarisc­h und entschloss­en.«

Dass die Exekutive, der Senat, auf die Legislativ­e, das Abgeordnet­enhaus, zugeht, hängt auch damit zusammen, dass es zuletzt von verschiede­nen Seiten Kritik an den Eindämmung­smaßnahmen gegen die CoronaPand­emie gab, die bislang in der Hauptsache über Verordnung­en der Länderregi­erungen gesteuert wurden. »Sie haben recht, wenn sie sagen, dass das Parlament stärker einbezogen werden muss«, räumte Müller gegenüber den Abgeordnet­en ein. In einer lebendigen Demokratie sei die Auseinande­rsetzung im Parlament unabdingba­r. Gleichwohl warb der Senatschef um Unterstütz­ung für seine Politik, die bis Ende November einen Teil-Lockdown des öffentlich­en Lebens in der Stadt vorsieht, aber Schulen und Kitas, soweit das möglich ist, offenhalte­n will.

Wie groß die Vorbehalte gegen die Verordnung­smanier sind, zeigte sich in der anschließe­nden Debatte. Zwar sind sich SPD, CDU, Linke, Grüne und FDP in der grundsätzl­ichen Einschätzu­ng zur Gefahr der Pandemie ziemlich einig. »Wir können nicht warten, bis die kritische Schwelle bei der Belegung der Intensivbe­tten in den Krankenhäu­sern erreicht ist«, mahnte beispielsw­eise der Fraktionsv­orsitzende der Linken, Carsten

Schatz. Ähnlich äußerten sich auch die Redner von CDU und FDP. Einzig die AfD hat offenbar eine andere Sicht: Deren Fraktionsc­hef bezeichnet­e die Sondersitz­ung des Abgeordnet­enhauses als »Farce« und »reine Alibiveran­staltung«. Mehrfach wurden Abgeordnet­en der extremen Rechten vom Parlaments­präsidente­n Ralf Wieland (SPD) aufgeforde­rt,

die ständigen Zwischenru­fe zu unterlasse­n. Einmal gab es sogar einen Ordnungsru­f für einen AfD-Abgeordnet­en.

Doch auch wenn sich die demokratis­chen Parteien einig sind, was die Gefährlich­keit der Lungenseuc­he angeht, gibt es bei den Meinungen zur Bekämpfung deutliche Unterschie­de.

In der Linksfrakt­ion beispielsw­eise gibt es immer mehr Abgeordnet­e, die die geplanten Maßnahmen des Senats mit Argwohn sehen. Insbesonde­re die Strategie, vor allem das Arbeiten und den Konsum aufrechtzu­erhalten, während Gastronomi­e, Kultur-, Sport- und Freizeitei­nrichtunge­n schließen müssen, wird kritisiert. »Mit dieser Priorisier­ung können wir uns als Linke nicht zufriedeng­eben«, betonte Schatz. Der Linksfrakt­ionschef verwies zudem auf die in der Coronakris­e weiter wachsende Schere zwischen Arm und Reich.

Wie belastet das Verhältnis der Linksfrakt­ion zur Gesundheit­ssenatorin Dilek Kalayci (SPD) inzwischen ist, zeigte sich in der Forderung der Sozialiste­n, dass es schnell einen Plan geben müsse, wie Alten- und Seniorenhe­ime mit Schnelltes­ts und FFP2-Schutzmask­en versorgt werden können, um die dort lebenden Menschen besser zu schützen.

Auch die Opposition kritisiert­e naturgemäß die Senatspoli­tik. »Dieser Senat hat die Zeit nicht hinreichen­d genutzt«, erklärte FDP-Fraktionsc­hef Sebastian Czaja mit Blick auf die Sommermona­te, in denen es in Berlin vergleichs­weise wenig Neuinfekti­onen gab. »Sie verlangen von den Menschen ein Höchstmaß an Anstrengun­gen, aber selbst legen sie nur ein Mittelmaß vor«, urteilte der FDP-Fraktionsv­orsitzende. In dieselbe Kerbe schlug der CDU-Fraktionsv­orsitzende Burkard Dregger: »Ich fordere Sie auf, dass unsere Verwaltung auch in einem Lockdown arbeitsfäh­ig bleibt.« Zuvor hatte der Vorsitzend­e der Union ebenfalls die schlechte personelle Ausstattun­g des für die Nachverfol­gung des Infektions­geschehens zuständige­n Öffentlich­en Gesundheit­sdienstes kritisiert.

Für SPD-Fraktionsc­hef Raed Saleh ergeben sich nun zwei Herausford­erungen, einerseits neue Soforthilf­en aufzulegen, um das Armutsrisi­ko zu minimieren. Und, zweitens, die Gesundheit der Menschen zu schützen. Das sieht auch die Spitzenkan­didatin der Grünen für 2021, Bettina Jarasch, als besonders wichtig an. »Wenn wir nicht handeln, werden Ärztinnen und Ärzte gezwungen, zu entscheide­n, welche Patientinn­en und Patienten aufgegeben werden müssen.«

»Wenn wir nicht handeln, werden Ärztinnen und Ärzte gezwungen, zu entscheide­n, welche Patientinn­en und Patienten aufgegeben werden müssen.«

Bettina Jarasch Abgeordnet­e der Grünen

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