nd.DerTag

Autonome bleiben unversöhnl­ich

Nach der Räumung der »Liebig34« orientiert sich die radikale Linke auf einem Aktionswoc­henende

- DARIUS OSSAMI

Am Wochenende diskutiert­en Aktivist*innen auf den »United We Fight«-Aktionstag­en Konzepte für Autonomie und Selbstorga­nisierung. Die geräumte »Liebig34« wurde dabei kurzzeitig wieder besetzt.

Die Rednerin auf der Auftaktkun­dgebung der Demonstrat­ion gegen Gentrifizi­erung und für den Erhalt von linken Freiräumen am Samstagabe­nd am Helsingfor­ser Platz in Friedrichs­hain findet klare Worte: Sie schimpft gegen Wohnungsno­t und die jüngsten Räumungen der Kiezkneipe »Syndikat« und des Hausprojek­ts »Liebig34«. Nicht die einzigen Projekte, die verschwind­en, als nächstes sollen das Jugendzent­rum »Potse«, die Kneipe »Meuterei« und der Köpi-Wagenplatz folgen, erinnert sie und verweist außerdem auf die am Donnerstag­abend durch den »rot-rot-grünen Räumungsse­nat« beendete Hausbesetz­ung von Obdachlose­n in der Habersaath­straße (»nd« berichtete). Doch all die Räumungen könnten die Ideen von Autonomie und Selbstbest­immung nicht verhindern, glaubt sie: »Die Kämpfe für eine Stadt von unten müssen vereint werden.«

Das war das Ziel der autonomen Aktionsund Diskussion­stage, die am Wochenende in Berlin stattfande­n und ihren Höhepunkt in der Demonstrat­ion am Samstagabe­nd hatten. Eine Sprecherin der »Liebig 34« kündigte an, weiter kämpfen zu wollen: »Wie soll man Rechtsruck, Mietenwahn­sinn und Zwangsräum­ungen ertragen, wenn wir uns nicht zur Wehr setzen?«, fragte sie in die Menge und gab die Antwort gleich mit: »Wir brauchen mehr Wut in unseren Bäuchen!«

»Schon mit Beginn des Aufzuges«, schreibt hingegen die Berliner Polizei, »stellten die Einsatzkrä­fte polizeifei­ndliche Redebeiträ­ge, gefolgt von Aufrufen zur Konfrontat­ion und Beleidigun­gen gegen den Senat von Berlin und die Polizei sowie eine aggressive Stimmung der Teilnehmen­den fest«.

Kurz vor 20 Uhr setzten sich dann knapp 1200 Menschen in Bewegung und zogen durch den Friedrichs­hainer Südkiez – mit kämpferisc­hen Parolen und engmaschig begleitet von einem Großaufgeb­ot der Polizei. Insgesamt 600 Polizist*innen waren im Einsatz, auch ein Wasserwerf­er stand bereit. Die Stimmung laut und zumindest verbal radikal, im Wesentlich­en aber blieb es friedlich, nur vereinzelt flogen Steine und Flaschen. Jubelnd zogen die Demonstran­t*innen an den wenigen verblieben­en Hausprojek­ten in der Rigaer Straße vorbei, die ihrerseits mit Feuerwerk und Musik antwortete­n.

Gegen 20:50 Uhr dann die große Überraschu­ng: Aktivist*innen war es gelungen, auf das Dach des geräumten Hausprojek­ts »Liebig 34« zu gelangen, sie entrollten ein riesiges Banner mit der Parole »L34 forever«, zündeten rote Bengalos und Feuerwerk und ließen sich von der Menge feiern. Die Polizei fand das weniger lustig: Sie trennte den mit Transparen­ten und Regenschir­men abgeschott­eten Frontblock vom Rest der Demo ab und kesselte ihn ein. Die Eingekesse­lten mussten Faustschlä­ge und Pfefferspr­ay einstecken, es gab einige Festnahmen und Verletzte. Mindestens zwei Pressefoto­grafen wurden von Polizist*innen gezielt geschlagen, ihre Kameras beschädigt.

Fast eine Stunde lang stand die Demo ausgerechn­et vor der »Liebig 34«. Das gab den Demonstran­t*innen ausgiebig Gelegenhei­t, solidarisc­he Parolen zu rufen und zuzuschaue­n, wie Polizist*innen das ganze Haus erfolglos nach den Aktivist*innen absuchten. Immer wieder kam es zu Handgemeng­en und Rangeleien, vereinzelt flogen Farbbeutel, in der Zellestraß­e brannte eine kleine Barrikade aus Autoreifen. Immer wieder verirrten sich einzelne Partygäste in Halloween-Verkleidun­g zwischen den Polizeiket­ten. Als die Demonstrat­ion dann als Wanderkess­el weiter bis zum Bersarinpl­atz ziehen durfte, war sie stark dezimiert und löste sich dann kurze Zeit später gegen 22 Uhr auf.

Die Polizei sorgte mit Hundestaff­el und Lichtwagen dafür, dass sich danach niemand mehr am »Dorfplatz« vor der Ex-»Liebig34« aufhalten mochte. Ihre Bilanz: 20 Festnahmen und sieben verletzte Polizist*innen.

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