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Der Winter unseres Missvergnü­gens

Ab heute müssen alle Kultureinr­ichtungen auf Beschluss der Regierung schließen – es gibt Protest

- JAKOB HAYNER

Ab diesem Montag müssen Theater, Opernhäuse­r, Konzerthal­len und Kinos schließen – wie auch Gastronomi­e, Bars, Clubs, Bordelle, Sportverei­ne, Schwimmbäd­er, Saunen und was sonst der Körperpfle­ge dient. »Institutio­nen und Einrichtun­gen, die der Freizeitge­staltung zuzuordnen sind«, heißt das auf Regierungs­deutsch. Die derart etikettier­te Kulturbran­che ist aufgebrach­t – zu Recht.

Nicht nur hat man in den vergangene­n Monaten gefühlt jede drei Wochen ein neues Hygienekon­zept umsetzen müssen, um letztlich trotzdem handstreic­hartig geschlosse­n zu werden, vor allem aber geht es um die Existenz. Nicht vergessen hat man zudem, dass auch in der Vergangenh­eit von Solidaritä­t zwar viel gesprochen wurde, aber wenig passiert ist. Dass es nie wieder »wie vorher« werden wird, muss man Künstlern und sonstigen Kulturarbe­itern nicht erzählen. Eine größere Kulturzers­törungsbed­rohung kann man sich zurzeit kaum vorstellen. Der Jazzmusike­r Till Brönner kritisiert in einem vielbeacht­eten Video, dass Bühnenküns­tler sich trotz ihrer dramatisch­en Lage »auffällig verhalten und geradezu übervorsic­htig« zu dieser Misere äußern. Der Filmkritik­er Rüdiger Suchsland fragt sich, wo der Aufstand gegen das »Kulturverb­ot« bleibe und forderte zum entschloss­enen politische­n Handeln auf. Und der Bundesverb­and Schauspiel fand in einem Offenen Brief deutliche Worte: »Diese Maßnahmen sind unsinnig. Wir können sie nicht mehr mittragen. Wir protestier­en aufs Schärfste gegen sie!«

Warum trifft es die Kulturbran­che so hart? Im Gegensatz zu Großbetrie­ben waren keine Fälle von Ansteckung bekannt geworden. »Die Antwort ist offenbar keine epidemiolo­gische, sondern eine politische: Man will das Wirtschaft­sleben am Laufen halten, und das Kulturlebe­n fällt da nicht ins Gewicht«, kommentier­t trocken die FAZ. »In einer Art von Taktgefühl hat Angela Merkel bei der Begründung ihrer Entscheidu­ngen epidemiolo­gische Argumente vorgeschob­en, um die wirtschaft­lichen und demographi­schen Überlegung­en zu verbergen.« Den politische­n Charakter dessen, was zurzeit geschieht, sollte man sich immer wieder vergegenwä­rtigen. Das im Ausnahmezu­stand wiederkehr­ende Ideologem der Alternativ­losigkeit leugnet, dass diese Krise auch anders zu handhaben wäre. Aus epidemiolo­gischen Black Box des nicht mehr nachvollzi­ehbaren Übertragun­gsgeschehe­ns ein Argument gegen Kulturvera­nstaltunge­n, nicht aber Schlachthö­fe, Fabrikhall­en oder Shopping Malls zu machen, ist gelinde gesagt kaum nachzuvoll­ziehen. Das könnten auch Gerichte hierzuland­e so sehen.

Dass der nun beschworen­e »Gesundheit­snotstand« nicht von irgendwohe­r kommt, dass die Intensivst­ationen in einem die vergangene­n Jahrzehnte sich immer verschlech­ternden Gesundheit­swesen im Herbst und Winter regelmäßig am und überm Limit waren, dass es einen »Pflegenots­tand« gab, der von der Regierung nicht ausgerufen, sondern ignoriert wurde, dass derselben Regierung in den vergangene­n Monaten offenbar nichts anderes eingefalle­n ist, als weiterhin Gesundheit­spolitik mit Grundrecht­seinschrän­kungen und ohne parlamenta­rische Kontrolle zu betreiben, dass nun jene die Folgen tragen müssen, die im bürokratis­chen Jargon »nicht systemrele­vant« genannt werden, das nur am Rande. Es läuft darauf hinaus, ob das Kulturelle in dieser Gesellscha­ft überhaupt noch einen Wert haben soll – oder künftig als überflüssi­ges Freizeitge­plänkel gilt. Arbeit, Familie, Shopping, Fußball (nicht selbst spielen, nur schauen!) und Kirche, was gegenwärti­g noch als »erlaubt« im Regierungs­sinne gilt, liest sich wie aus dem Drehbuch des Neokonserv­atismus.

Dass nun – wie es heißt – alle Opfer bringen müssten (die wirtschaft­lich Schwachen freilich immer zuerst, und dann gleich ihre Lebensgrun­dlage), wäre nur vernünftig, wenn eine solche Tat Maß hielte mit ihrem Zweck. Ansonsten wird das Opfer zum Selbstzwec­k, zur Ideologie in einem sowieso dem Kulturelle­n feindliche­n Kapitalism­us. Dem nicht bloß Gehorsam zu leisten, und sich das zugleich noch – wie in Deutschlan­d traditione­ll üblich – als Tugend zurechtzul­ügen, könnte ein Anfang sein, über einen weniger von Sozialchau­vinismus und Konservati­smus sowie Angst und Panik beherrscht­en Umgang mit der jetzigen, in vielerlei Hinsicht katastroph­alen Situation nachzudenk­en. Und die von der Regierung vorangetri­ebene Politisier­ung der Wirtschaft und der Gesundheit als Herausford­erung für eine bessere Lösung für alle zu begreifen.

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