nd.DerTag

Kommunist ohne Kommunismu­s

Auf der diesjährig­en Tagung der Peter-Hacks-Gesellscha­ft wurde über den Marxismus bei Hacks gesprochen

- CHRISTOPHE­R WIMMER

Eine Tagung der Peter-Hacks-Gesellscha­ft in Berlin-Mitte beschäftig­te sich 30 Jahre nach dem Untergang der DDR mit dem Verhältnis des Dichters Hacks zum Marxismus. Was auf den ersten Blick veraltet erscheinen mag, bleibt jedoch hochaktuel­l.

Peter Hacks war 1955 mit Lust und Überzeugun­g von München nach Ost-Berlin in die DDR migriert – im guten Glauben, dass dort der Sozialismu­s aufgebaut würde. Dort angekommen, arbeitete er mit und lernte von Bertolt Brecht und schrieb rund 40 Stücke, zahllose Lieder, Gedichte, Essays und auch Kinderstüc­ke. Mit seinem Welterfolg, dem Theaterstü­ck »Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe« wurde Hacks in den frühen 1970ern zu einem der meistgespi­elten deutschen Dramatiker: in Ost wie in West.

Hacks war und blieb dabei stets Kommunist. Ähnlich wie sein Lehrer Brecht musste er allerdings nicht SED-Mitglied werden, um seine Solidaritä­t mit der DDR auszudrück­en. Ein Leben jenseits des sozialisti­schen Staates? »Da fällt mir keine Alternativ­e ein als tot sein«, so Hacks selbst. 1976 begrüßte er die Ausbürgeru­ng des »überschätz­ten Kleinkünst­lers« Wolf Biermann aus der DDR, was zur Absetzung seiner Stücke in Westdeutsc­hland führte.

Nach 1989/90 geriet er leider zunehmend und völlig zu Unrecht in Vergessenh­eit. Die jährlichen thematisch­en Tagungen der PeterHacks-Gesellscha­ft unternehme­n seit über einem Jahrzehnt den Versuch, Hacks diesem Vergessen zu entreißen. Auf der diesjährig­en, pandemiebe­dingt deutlich verkleiner­ten Tagung sprachen die Referent*innen also über den Marxismus bei Hacks. Auch wenn dieser »hauptberuf­lich nicht marxistisc­her Theoretike­r, sondern Künstler war«, wie es die aus Neu-Delhi zugeschalt­ete Literaturw­issenschaf­tlerin Shaswati Mazumdar formuliert­e, durchziehe­n sein gesamtes Werk Aussagen zu marxistisc­her Theorie.

Bereits 2018 erschien im Eulenspieg­elVerlag eine Sammlung von Hacks’ politische­n Schriften unter dem Titel »Marxistisc­he Hinsichten«, die Hacks’ politische­s Denken bis zu seinem Tod 2003 dokumentie­ren. Die Vorträge der Tagung gingen darüber hinaus und suchten in den Werken des Dichters nach marxistisc­hen Ansätzen. So befragte etwa Mazumdar das Werk von Hacks auf Fragen des Kolonialis­mus und Imperialis­mus und Daria Šemberová spürte in der Hacks’schen Komödie »Der Frieden« theoretisc­he Ansätze von Rosa Luxemburg auf.

Neben solchen werkimmane­nten Diskussion­en wurde vor allem auch Hacks’ Verhältnis zur DDR diskutiert. Insbesonde­re hier zeigt sich die Aktualität des marxistisc­hen Denkers Hacks. Für ihn war es stets entscheide­nd, sich mit den konkreten gegebenen gesellscha­ftlichen Verhältnis­sen der DDR zu beschäftig­en. Leere Begriffe interessie­rten ihn wenig, im Gegenteil: Der »unreine Sozialismu­s ist der einzig funktionsf­ähige«, so Hacks. Dabei hielt er es, so der Germanist Heinz Hamm in seinem verlesenen Vortrag, für notwendig, sich auch von marxistisc­hen Grundannah­men zu verabschie­den. So übte Hacks etwa in seinen »ästhetisch-ökonomisch­en Fragmenten« von 1988 scharfe Kritik am berühmten Marx’schen Gedanken des Verschwind­ens der Arbeitstei­lung im Kommunismu­s. Hacks war damit einer der ersten Marxisten, der in der DDR einen zentralen Lehrsatz des Marxismus in Frage stellte.

In Walter Ulbricht fand Hacks dabei früh einen theoretisc­hen Verbündete­n. Ulbricht konzentrie­rte sich auf den konkreten und machbaren Sozialismu­s, den er nicht als kurze Übergangsp­hase in den Kommunismu­s begriff, sondern als eigenständ­ige und langfristi­ge Gesellscha­ftsformati­on. Auch für Hacks war der Kommunismu­s ein weit entferntes Ideal, das nie vollständi­g verwirklic­ht werden könne. »Für den Kommunismu­s interessie­re ich mich nicht«, fasste es der Kommunist Hacks zusammen. Doch blieb Hacks dabei nicht stehen. Nur weil er nicht erreichbar sei, würde dies nicht bedeuten, ihn nicht trotzdem zu versuchen.

Der Filmhistor­iker Detlef Kannapin machte in seinem Vortrag auf das Fehlen solcher kommunisti­scher Überzeugun­gen aufmerksam. Mit Hacks begann für Kannapin mit dem Sturz Ulbrichts der Niedergang der DDR. Honecker war für Hacks gar der erste Ausdruck der Konterrevo­lution, die sich in der sogenannte­n Wende von 1989/90 zeigte. Diese war für Hacks »Selbstabsc­haffung« des Sozialismu­s, da dieser an sich selbst gescheiter­t sei, die Parteiführ­ungen unter Honecker oder Gorbatscho­w hätten sich ohne Not oder äußeren Druck dem Westen zugewandt und sozialisti­sche Prinzipien aufgegeben. »Es muss ein höheres Wesen geben, das ihnen allen in die Hirne geschissen hat«, so Hacks.

Das Wissen um die Selbstabsc­haffung des Sozialismu­s auf der einen Seite und über dessen konkreten Widersprüc­he auf der anderen macht Hacks zu einem marxistisc­hen Theoretike­r eigener Güte, der weiterhin aktuell bleibt: Jenseits von illusorisc­hen Idealvorst­ellungen eines Kommunismu­s ging es ihm stets um die Verteidigu­ng des Sozialismu­s – mit all seinen Unzulängli­chkeiten und Schwierigk­eiten.

Dass Adam und Eva in Hacks’ gleichnami­gen Theaterstü­ck das Paradies verlassen müssen, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, ist für Hacks ein Moment der Befreiung. Gleichzeit­ig ist Adams erster Schritt in die Freiheit ein Stolpern. Das Bild mag auch für den Sozialismu­s gelten.

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