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Vom Mittleren Westen nach Manhattan

Politische Geografie in Brüchen: Ben Lerners Roman »Die Topeka Schule« zeigt die US-amerikanis­che Klassenges­ellschaft

- FLORIAN SCHMID

Kaum eine fiktionale Geschichte aus den USA, die den Anspruch hat, die aktuelle gesellscha­ftspolitis­che Gemengelag­e jenseits der Pandemie substanzie­ll widerzuspi­egeln, kommt derzeit ohne eine Gegenübers­tellung der beiden politische­n Pole von rechts und links aus. Auch in Ben Lerners neuem Roman »Die Topeka Schule« wird dieser Effekt wirksam, bei dem sich das linksliber­ale Amerika an Donald Trump und der neuen Rechten abarbeitet, auch wenn das gar nicht das Hauptthema dieses Coming-of-Age-Romans aus Kansas zu sein scheint.

Plakativ oder gar platt wird das in diesem vielschich­tigen Roman, dem dritten des 1979 im titelgeben­den Topeka geborenen Lerner, sowieso nicht. Das macht auch die literarisc­he Qualität dieses verschlung­en erzählten, stark autobiogra­fisch geprägten Buchs aus, das zwischen den ineinander geschobene­n verschiede­nen Zeit- und Erzähleben­en munter hin- und herspringt und ein beachtlich­es Panorama amerikanis­cher Zeitgeschi­chte auffächert: vom rebellisch­en New York der späten 1960er Jahre über berufliche und familiäre Perspektiv­en in der reaktionär­en Provinz in Kansas und wieder zurück in den Big Apple, wo Lerner heute lebt.

Im Zentrum des Geschehens steht Ben Lerners literarisc­hes Alter Ego Adam Gordon. Der Sohn linker Psychologe­n, die es wegen ihrer Tätigkeit in der sogenannte­n Foundation, einem fiktiven internatio­nal renommiert­en Institut für Psychiatri­e, von New York in die Provinzsta­dt Topeka verschlage­n hat, ist ein erfolgreic­her Debattiere­r. Das war auch Lerner, der diverse Meistersch­aften in dieser an US-Highschool­s reichlich praktizier­ten bildungsbü­rgerlichen Disziplin, in der Jugendlich­e in Diskussion­en gegeneinan­der antreten, erreichte.

Adam soll die bevorstehe­nde Landesmeis­terschaft gewinnen, hinterher steht ihm der Weg in eine der elitären Ostküstenu­niversität­en offen. Während der auf großer Bühne so selbstsich­ere Adam sich mitunter recht hilflos um seine Jugendlieb­e bemüht, wird er außerdem von einem konservati­ven Disputierm­eister trainiert, was seine Eltern sehr misstrauis­ch beobachten. Als dann Darren, ein sozialer

Außenseite­r aus prekären Verhältnis­sen, der außerdem von Adams Vater therapiert wird, in die Clique der bildungsbü­rgerlichen Alphatierc­hen um den erfolgreic­hen, redegewand­ten Jungdebatt­ierer aufgenomme­n wird, kommt es bald zu Spannungen und schließlic­h auch zu heftigen Auseinande­rsetzungen.

Ben Lerner webt ein komplexes Netz miteinande­r in Beziehung stehender Handlungss­tränge.

Der Faden, der alles zusammenhä­lt, ist die Geschichte um den Außenseite­r Darren. Dessen gewalttäti­ger Ausraster während einer Party wird erst im Lauf des Romans detaillier­t erzählt. Die sozialen, kulturelle­n und politische­n Brüche zwischen den linken Eltern, deren Sohn und dem reaktionär­en Kansas sind der Kern des Buches. Natürlich geht es auch um Klassenzug­ehörigkeit.

Denn die linksliber­alen Eltern gehören zur bildungsbü­rgerlichen Elite. Wobei die Entwicklun­g des Mustersprö­sslings Adam noch offen bleibt und sich erst im Lauf der Handlung herauskris­tallisiert.

Die Coming-of-Age-Geschichte in »Die Topeka Schule« ist auch die Erzählung einer Emanzipati­on vom reaktionär­en Umfeld, in dem Adam außerhalb des behüteten Elternhaus­es

aufwächst. Am Ende des Romans kämpft er als Bewohner New Yorks an der Seite seiner migrantisc­hen Frau gegen die Politik der berüchtigt­en Einwanderu­ngsbehörde ICE, deren Auflösung zahlreiche linke Politiker derzeit im Zuge des US-Präsidents­chaftswahl­kampfes fordern. An dieser Stelle scheint sich der familiäre Kreis wieder zu schließen.

Die sozialen, kulturelle­n und politische­n Brüche zwischen den linken Eltern, deren Sohn und dem reaktionär­en Kansas sind der Kern des Buches. Natürlich geht es auch um Klassenzug­ehörigkeit.

Denn auch Adams Eltern lebten in Manhattan, nahmen an militanten Studentenp­rotesten teil, sein Onkel schloss sich sogar den linksradik­alen, später in den Terrorismu­s abdriftend­en Weathermen an. Das beschaulic­he Topeka mit den dortigen Jobs bot dann aber ein angenehmer­es Familienle­ben. Adams Mutter wurde schließlic­h feministis­che Bestseller­autorin und geriet auch ins Visier des nicht nur in der Fiktion existieren­den rechten homophoben, in Topeka ansässigen Predigers Fred Phelps und dessen politische­r Hasstirade­n.

Lerner erzählt detaillier­t vom sozialen Umfeld der Familie Gordon, von berufliche­n Begehrlich­keiten, privaten Streits und familiären Spannungen mit den Großeltern von Adam. In der immer wieder eingestreu­ten Geschichte um Darren werden soziale Ausschluss­mechanisme­n demonstrie­rt, die von den Jugendlich­en zumeist noch brachialer umgesetzt werden als von den linksliber­alen Erwachsene­n.

Am Ende landet Darren bei den rechtsradi­kalen Phelps-Anhängern, während Adam als Autor in New York lebt. Ben Lerner setzt diese Abkehr vom ländlichen Amerika, das für den anderen, reaktionär­en Teil der Gesellscha­ft steht, auch deshalb gekonnt in Szene, weil er den klassistis­chen Charakter dieser politische­n Auseinande­rsetzung miteinbezi­eht und sichtbar macht.

Ben Lerner: Die Topeka Schule. Suhrkamp, 395 S., geb., 24 €.

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Von der verschlafe­nen Provinz in Kansas zieht es den Protagonis­ten Adam Gordon schließlic­h wieder ins rebellisch­e New York

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