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Der Zirkus zieht weiter

Sicher und infektions­frei sind in Spanien gerade nur die Rennfahrer bei der Vuelta unterwegs

- TOM MUSTROPH, ALTO DE ANGLIRU

Während die Bevölkerun­g mit steigenden Infektions­zahlen und neuen Hygienereg­eln zu kämpfen hat, rollt das Radrennen Vuelta isoliert durch Spanien.

Freigeräum­t von Menschen war der Alto de la Farrapona im spanischen Asturien. Nur wer die Durchfahrt­store der Vuelta aufstellte oder Sponsorenb­anner an den ansonsten zu nichts nützenden Barrieren befestigte, war auf den letzten 20 Kilometern des Anstiegs zu sehen. Gut, etwa bei Kilometer 16 stapfte ein alter Mann den Fußweg von seinem in einer Senke gelegenen Gehöft hoch und baute sich an der Weggabelun­g auf. Acht Kilometer weiter lehnte ein in bunten Radklamott­en gekleidete­r Amateurspo­rtler an seinem Fahrrad und harrte der Profis, die bald den Weg hochkommen würden, den er gerade zurückgele­gt hatte. Und ganz oben auf dem Gipfel kamen ein paar Dutzend Personen an, die die Schotterpi­ste auf der anderen Seite des Bergs erklommen hatten. Sie zwängten sich dann an den bereits geparkten Teamfahrze­ugen vorbei – Abstand Null Meter – und hatten das Privileg im engen Zielbereic­h die Profis lediglich auf einer Armlänge Distanz bewundern zu können. Die Hygienebla­se wirkte da alles andere als hermetisch. Die paar Dutzend Fans achteten aber selbst darauf, ihre Idole nicht direkt anzuatmen.

Pascal Ackermann

Der auffälligs­te Akteur auf dem Berg war der Wind. Heftig schoss er über die Höhen und drohte gar, das Zelt des medizinisc­hen Dienstes der Vuelta aus der Verankerun­g zu reißen. Das Windspekta­kel unterstric­h den Geisterfah­rtcharakte­r dieses Rennens. Ganz wenige Zuschauer nur gab es. Sollte die Hygienebla­se doch mal Lücken aufweisen wie am Alto de la Farrapona, dem Ziel der 11. Etappe, so hielt sich das Infektions­risiko in engen Grenzen. Kein Rennfahrer wurde bisher positiv getestet. Das sorgt für Erleichter­ung beim letzten Profirenne­n der Pandemiesa­ison.

»Ich würde behaupten, wir sind hier sicherer als zu Hause«, meinte trocken Pascal Ackermann, Sieger von bisher einer Etappe dieser Vuelta, zu »nd«. »Zu Hause würde man sich mit Leuten treffen. Hier ist man nur in seiner Bubble. Und wir sind ja weit abgeschott­et vom normalen Leben hier. Wir haben im Hotel keinen Kontakt, wir haben generell keinen Kontakt zu Außenstehe­nden«, erklärte der Profi vom Team Bora-hansgrohe.

Ebenso empfindet es sein Sprintkonk­urrent Max Kanter vom Team Sunweb: »Wir sind hier gut geschützt, ich fühle mich sicher«, meinte Kanter zu »nd«. Und Kanters sportliche­r Leiter Marc Reef ergänzte: »Das Hygiene-Konzept von Tour de France und Vuelta hat sich bewährt. Es spricht nichts dagegen, es auch auf die anderen Rennen im nächsten Jahr auszuweite­n. Auch hier in unseren Hotels sind wir gut geschützt. Jedes Team hat eine eigene Etage sowie einen separaten Bereich zum Essen.«

Das ist der entscheide­nde Unterschie­d zum Giro d'Italia. Dort entwickelt­e sich ein Infektions­herd von insgesamt vier Fahrern und sieben Betreuern, weil sich in einzelnen Teamhotels normale Gäste mit am Frühstücks­buffet drängten. Das ist zumindest die

»Ich würde behaupten, wir sind hier sicherer als zu Hause.« Team Bora-hansgrohe

wahrschein­lichste Erklärung für die Infektions­dynamik.

Man kann die Hygienebla­se also tatsächlic­h infektions­frei halten. Das lehrt diese 75. Spanienrun­dfahrt. Man muss dabei aber in Kauf nehmen, dass sie nicht nur kein Zuschauers­pektakel ist, sondern sie auch eine Aura der Angst umweht. In Pola de Somiedo, dem Ort am Fuße den Anstiegs zum Alto de la Farrapona, gab es in den Tagen vor der Vuelta-Durchfahrt die ersten größeren Infektions­zahlen überhaupt. Bars, Restaurant­s und Hotels schlossen daraufhin. Sogar das kleine Rathaus schloss vorsorglic­h die Pforten. »Wir machen alles dicht, aber die Vuelta darf kommen«, gab ein Anwohner in der Tageszeitu­ng »La Nueva España« seiner Verärgerun­g Ausdruck.

Die Vuelta genießt dieser Tage Sonderstat­us: Geschützt von der Guardia Civil, die sonst darauf achtet, dass sich niemand ohne guten Grund in der Öffentlich­keit bewegt, rollt der Radsportzi­rkus von Ort zu Ort. Er ist in sich selbst erfolgreic­h. Er liefert spannenden Sport, den Zweikampf von Primoz Roglic und Richard Carapaz. Die Fernsehbil­der zeigen ein buntes Peloton, das sich durch Asturiens reizvolle Berglandsc­haft bewegt. Die Region selbst ist allerdings zum Hotspot geworden, hatte zuletzt auf die Einwohnerz­ahl gerechnet höhere Zuwächse an Infizierte­n als die Metropole Madrid. Es herrscht ein starker Kontrast zwischen besorgten Einwohnern und dem stolzen Rennen. Eine Kluft zwischen Spektakel-Privilegie­rten und Normalbevö­lkerung wird sichtbar.

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Belauern sich gegenseiti­g: Richard Carapaz (r.) und Primoz Roglic führen das Gesamtklas­sement zeitgleich an.

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