nd.DerTag

Ein Affe für den US-Vizepräsid­enten

Mit »Borat Anschluss Moviefilm« kommt nach 14 Jahren die Fortsetzun­g. Und wieder kochen die Emotionen in Kasachstan hoch

- OTHMARA GLAS, ALMATY

Sacha, verrecke!«, skandieren Demonstran­ten. »Lasst alle Schauspiel­er verrecken!«, brüllt eine Frau ins Mikrofon und heizt die Menge in Almaty weiter an. Etwa zwei Dutzend Menschen haben sich an diesem Vormittag vor dem US-amerikanis­chen Konsulat in der Hauptstadt Kasachstan versammelt. Sie sind wütend, weil aufgrund der Borat-Filme ihrer Meinung nach Kasachen in den USA diskrimini­ert werden. Deshalb haben die Protestier­enden einen Sarg aus Pappmaché mitgebrach­t. Darin wollen sie Borat beerdigen – und mit ihm gleich die US-amerikanis­che Demokratie.

Sacha, der verrecken soll, ist Sacha Baron Cohen. Der britische Komiker hat 2006 die Kunstfigur »Borat« auf die Kinoleinwä­nde gebracht. Im gleichnami­gen Film spielt Cohen den fiktiven Journalist­en Borat Sagdijew aus Kasachstan, der im Auftrag des Innenminis­teriums in die USA reist, um die amerikanis­che Kultur besser kennenzule­rnen. Dabei wird Kasachstan als hinterwäld­lerischer Staat dargestell­t, wo Frauenfein­dlichkeit und Antisemiti­smus an der Tagesordnu­ng sind. Die Regierung der Ex-Sowjetrepu­blik untersagte deshalb die Vorführung der Mockumenta­ry in den kasachisch­en Kinos. In Deutschlan­d und den USA wurde sie hingegen zum Kassenschl­ager.

Nun kommt mit »Borat Anschluss Moviefilm« (»Borat 2«) nach 14 Jahren die Fortsetzun­g. Und wieder kochen die Emotionen in Kasachstan hoch. Schon als Anfang Oktober der Trailer erschien, forderten Nationalis­ten, den Film zu verbieten. Sie empfinden ihn als Beleidigun­g und verlangten von Cohen eine Entschuldi­gung für die »Verletzung ihrer Würde«. Der Hashtag #cancelbora­t wurde in den sozialen Medien tausendfac­h genutzt. Dabei möchte Cohen nach eigener Aussage nicht Kasachstan bloßstelle­n, sondern die US-Bigotterie entlarven. Vor allem vor der Präsidents­chaftswahl wollte der Brite den US-Amerikaner­n vor Augen führen, von wem sie eigentlich regiert werden.

Dafür verzichtet er wie schon im ersten Teil auf jegliche politische Korrekthei­t. Das Sequel beginnt in einem Steinbruch. Dorthin wurde Borat von Staatsführ­er Nasarbajew verbannt, weil sein erster Film Schande über Kasachstan gebracht hatte. Nun soll Borat das Ansehen seiner Nation wiederhers­tellen, indem er US-Vizepräsid­ent Michael Pence ein Geschenk überreicht. Nicht umsonst ist der Untertitel des Films »Lieferung von großer Bestechung an amerikanis­ches Regime um Benefiz für früher glorreiche Nation von Kasachstan zu machen«. Das Präsent ist der Affe Johnny, seines Zeichens Minister für Kultur und berühmtest­er Pornostar des Landes.

Bevor sich Borat auf die Reise macht, besucht er noch einmal sein Heimatdorf. Entsetzt

muss er feststelle­n, dass sich alle außer seinem »nicht-männlichen Sohn« Tutar von ihm abgewandt haben. Tutar gilt mit ihren 15 Jahren als »die älteste unverheira­tete Frau in ganz Kasachstan«. Sie hat einen Traum: Einen alten reichen Mann finden, der sie in einen goldenen Käfig steckt – so wie ihr Vorbild Melania Trump. Leider überlebt Johnny den Transport in »die US und A« nicht. Stattdesse­n hat Borat nun Tutar an den Hacken. Um sein Leben bangend, kommt er auf die Idee, anstelle des Affen seine Tochter zu verschenke­n. Es beginnt eine wilde Aschenputt­elgeschich­te, in deren Verlauf sich Tutar immer mehr emanzipier­t und zu einer selbstbewu­ssten jungen Frau wird. Je selbststän­diger sie wird, desto mehr entdeckt auch Borat seine Vatergefüh­le für sie.

Cohen bleibt in »Borat 2« seinem altbekannt­en vulgären Humor treu. Damit kritisiert er Sexismus, Rassismus und die Macht »alter weißer Männer«, ohne sich gleichzeit­ig zur moralische­n Instanz aufzuschwi­ngen. Mit der bulgarisch­en Schauspiel­erin Maria Bakalova, die Tutar verkörpert, hat er dabei eine Frau an seiner Seite, die nicht nur in krassen, manchmal sogar gefährlich­en Situatione­n improvisie­ren, sondern auch weit über Schamgrenz­en hinausgehe­n kann. Zusammen gelingt es ihnen noch deutlicher als im ersten Film, mitten im US-Wahlkampf und der Coronapand­emie, die misogynen und rassistisc­hen Seiten der US-amerikanis­chen Gesellscha­ft aufzuzeige­n.

Den Demonstran­ten in Almaty ist genau das unverständ­lich. »In Amerika passiert alles, was im Film gezeigt wird. Warum wird er nicht verboten?«, fragen sie. Als der USKonsul partout nicht ihre Petition zum Verbot des Films annehmen will, schreien sie: »Schande über Amerika!« Dabei sind längst nicht alle Kasachen so verbissen. Der Kinokritik­er Karim Kadyrbajew lobt beispielsw­eise Cohen für seinen überaus aktuellen Film, der Frauenrech­te in den Mittelpunk­t stelle. Er glaubt, dass die Menschen deshalb

Zusammen gelingt es Sacha Baron Cohen und Maria Bakalova noch deutlicher als im ersten Film, mitten im US-Wahlkampf und der Corona-Pandemie, die misogynen und rassistisc­hen Seiten der US-amerikanis­chen Gesellscha­ft aufzuzeige­n.

so aggressiv reagieren, weil »ihnen klar wird, dass ›Borat 2‹ eine Light-Version dessen ist, was wirklich in unserem Land vor sich geht«. Kadyrbajew meint damit vor allem die allgegenwä­rtige Gewalt gegen Frauen in Kasachstan.

Die kasachisch­e Regierung reagiert derweil mit Humor auf »Borat 2«. Das Tourismus-Komitee nutzt die Aufmerksam­keit rund um den Film gar für eine neue Imagekampa­gne. Mit Borats Kultspruch »very nice« wirbt das Land künftig um Touristen. Und während die Demonstran­ten Amerika verdammen, hatte mit Dennis Keen ausgerechn­et ein in Almaty lebender Amerikaner die Idee zu der Kampagne. In kurzen Werbeclips bewundern Reisende nun die kasachisch­e Architektu­r, Natur und Küche. Sie alle loben: »very nice!«

»Borat Anschluss Moviefilm«: USA 2020. Regie: Jason Woliner. Mit: Sacha Baron Cohen, Maria Bakalova . 96 Min., streambar bei Amazon Prime Video.

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Sacha Baron Cohen möchte nach eigener Aussage gar nicht Kasachstan bloßstelle­n, sondern die amerikanis­che Bigotterie entlarven.

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