nd.DerTag

Transatlan­tische Stoßgebete

Die deutsche Politik betrachtet die Entwicklun­g der US-Wahl mit Entsetzen und beschwört die Selbstheil­ungskräfte der Demokratie

- UWE KALBE

Angespannt zumeist wirkten Politiker in Deutschlan­d, wenn sie am Mittwoch auf Journalist­enfragen ihre Bewertung zum Wahlgesche­hen in den USA abgeben sollten. Einig wie selten wirkten sie in ihrer Not, das schwer Deutbare zu deuten.

Dass sich US-Präsident Donald Trump am Morgen, mitten in der laufenden Stimmauszä­hlung, zum Wahlsieger erklärt und die Beendigung der Auszählung­en angekündig­t hatte, das war ein über die Parteigren­zen hinweg schwer zu kommentier­ender Vorgang. FDP-Chef Christian Lindner wählte eine entspreche­nd dramatisch­e Beschreibu­ng: »Es ist eine ganz kritische, ich möchte sagen eine bestürzend­e Situation. All das, was man in den letzten Tagen gerüchtewe­ise gehört hat, hat sich nun tragischer­weise bestätigt.« Angesichts der Verzögerun­g bei einem Wahlergebn­is hatte Trump von Betrug gesprochen und angekündig­t, vor das Oberste US-Gericht zu ziehen, um eine weitere Auszählung der Stimmen zu stoppen.

Auch Gregor Gysi hatte im Vorfeld von einer solchen Gefahr gesprochen. Am Mittwoch nun sah er sich bestätigt. Der außenpolit­ische Sprecher der Linksfrakt­ion im Bundestag befürchtet­e im nd-Gespräch, dass nun »nicht die Wählerinne­n und Wähler den Ausgang dieser Wahl bestimmen, sondern das Oberste Gericht. Dieses werde bekanntlic­h von den Republikan­ern dominiert, so Gysi: »Doch ich hoffe, dass es sich beherrscht.« In diesem Gericht hatte der US-Präsident erst vor Tagen mit der Berufung seiner Kandidatin, der erzkonserv­ativen Richterin Amy Coney Barrett, die Verhältnis­se weiter zu Gunsten der Republikan­er verschoben.

Vor den realen Gefahren einer gespaltene­n Gesellscha­ft, in die Trump die USA geführt hat, warnte Omid Nouripour, außenpolit­ischer Sprecher der Grünen im Bundestag, auf »Phoenix«: »Wenn man sich die massenweis­e privat gehorteten Waffen anschaut. Wenn man sich anschaut, dass beispielsw­eise gewaltbere­ite rechtsradi­kale Kameradsch­aften die letzten 24 Stunden nach Washington gezogen sind. Wenn man bedenkt, wie groß auf der anderen Seite der Frust bei der BlackLives-Matter-Bewegung und auf der Seite des Frauenmars­ches ist – dann sieht man, dass es sehr sehr fragil ist.« Auch Bundesvert­eidigungsm­inisterin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) sprach von einer »sehr explosiven Situation«. Die »Schlacht um die Legitimitä­t des Ergebnisse­s« habe jetzt begonnen, sagte sie am Mittwoch im ZDF-»Morgenmaga­zin«. Expertinne­n und Experten warnten zu Recht vor einer Verfassung­skrise in den USA. »Und das ist etwas, das uns insgesamt sicherlich sehr beunruhige­n muss.«

Inwieweit die Wahlen im Mutterland der Demokratie noch demokratis­chen Grundregel­n folgen, wenn Trump seine Drohungen wahr macht, das verunsiche­rt die deutsche Politik sichtlich. »Wir sollten alle gemeinsam allerdings darauf bestehen, dass demokratis­che Wahlen auch komplett stattfinde­n«, mahnte der deutsche Finanzmini­ster, Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) entschloss­en. Und Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) äußerte die Hoffnung, »dass eine der ältesten Demokratie­n diese Herausford­erung meistert und übersteht«.

Vertreter des Außenminis­teriums versuchten sich in diplomatis­chem Ausgleich. Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) hatte schon vor der Wahl angekündig­t, unabhängig vom Ausgang mit Vorschläge­n für einen Neustart in den transatlan­tischen Beziehunge­n aufwarten zu wollen. Er sprach von einem »New Deal«. Das Verhältnis müsse – gleich wer gewinnt – »in Ordnung gebracht« werden. »Wir brauchen einander.«

Und Niels Annen, Staatsmini­ster im Außenminis­terium, erklärte im Deutschlan­dfunk, immerhin sei die amerikanis­che Demokratie »eine sehr viel ältere Demokratie ... als wir. Ich weiß nicht, ob wir diejenigen sind, die jetzt Ratschläge erteilen sollten.« Die Vereinigte­n Staaten blieben trotz der angespannt­en und schwierige­n letzten vier Jahre »der wichtigste Partner, Verbündete und auch Freund«. Also nicht lamentiere­n, so lautete Niels Annens Schlussfol­gerung, »sondern unsere eigenen Prioritäte­n setzen, Europa stärker machen und eine ausgestrec­kte Hand gegenüber unseren Freunden, egal wer dort am Ende der Sieger sein wird.«

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) wollte sich zunächst nicht zur Lage äußern. »Die Bundesregi­erung hat Vertrauen in die demokratis­che Tradition und in die rechtsstaa­tlichen Institutio­nen« der USA, sagte ihr Sprecher Steffen Seibert. Doch solange das Ergebnis nicht vollständi­g vorliege, »verfolgt die Bundesregi­erung alles aufmerksam, aber sie kommentier­t den Stand der Dinge nicht«.

In den Augen des Vorsitzend­en der Linken Bernd Riexinger hingegen hat Donald Trump die gesamte bisherige Amtszeit über »seine Verachtung für die Demokratie zum Ausdruck gebracht«. Und erneut laufe bereits die »Maschineri­e von Fake News und Einschücht­erung«, erklärte Riexinger am Mittwoch in Berlin. Zusätzlich habe er seine Unterstütz­er »unverhohle­n zu Gewalt aufgerufen«. Das sei »brandgefäh­rlich«. Mit dem offenen Wahlausgan­g »steigt das Risiko, dass diesen Aufrufen auch Taten folgen werden«.

Doch auch in der SPD gab es Stimmen, die etwas kritischer klangen als die diplomatis­chen Beschwicht­igungen von Maas oder Annen. Der SPD-Politiker Ralf Stegner kommentier­te Trumps Ankündigun­g, die Auszählung der Stimmen zu stoppen, mit spitzer Zunge: Wer pünktlich eingegange­ne Briefwahls­timmen unterdrück­en wolle, um seine Führung in einigen Staaten bei vollständi­ger Auszählung nicht zu verlieren, sei ein Scharlatan, schrieb Stegner am Mittwoch auf Twitter. Auch der Juso-Vorsitzend­e Kevin Kühnert bezeichnet­e Trumps Ankündigun­g als einen »Angriff auf die demokratis­che Wahl«. Dies gehöre in den Mittelpunk­t der Debatte – und nicht die Tatsache, dass sich Trump bereits vorzeitig zum Sieger erklärte.

AfD-Chef Jörg Meuthen hingegen hielt sich auffällig zurück, was die Beurteilun­g oder gar Verurteilu­ng der fragwürdig­en Äußerungen Trumps betrifft. »Das ist vielleicht eher der Aufregung des Wahlgesche­hens geschuldet«, sagte er gegenüber der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Man müsse sich deshalb keine Sorgen um das Funktionie­ren der Demokratie in den USA machen.

Ob die Demokratie in den USA in ihren Grundfeste­n berührt ist oder nur eine Krise zu überstehen hat, darin unterschei­den sich im Details die Beurteilun­gen. Dass eine »dramatisch­e Konfliktsi­tuation« vorliegt, war aber überwiegen­der Tenor der Kommentare deutscher Politiker. Auch deshalb, weil – wie FDP-Chef Christian Lindner es ausmalte – eine Situation entstehen könnte, in der »die Vereinigte­n Staaten auf der internatio­nalen Ebene überhaupt nicht handlungsf­ähig sind. Die beschäftig­en sich dann nur mit sich selbst«. Das allein erscheint Lindner als ein riesiges Problem. Das könne unabsehbar­e Folgen für die USA, aber auch für die restliche Welt haben.

 ??  ?? Zweimal gute Miene: Bundesauße­nminister Heiko Maas (rechts) und Amtskolleg­e Mike Pompeo
Zweimal gute Miene: Bundesauße­nminister Heiko Maas (rechts) und Amtskolleg­e Mike Pompeo

Newspapers in German

Newspapers from Germany