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Ungenutzte Chancen

Heinz Bierbaum zum diesjährig­en European Forum und zu linken Positionen in der Coronakris­e

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Themen wie Solidaritä­t sind mit Corona populär geworden. Vom Wertewande­l hat Europas Linke jedoch nicht profitiert.

Europa ist mit Corona beschäftig­t. Was kann die Europäisch­e Linke, was kann das am Wochenende beginnende Europäisch­e Forum von linken und anderen progressiv­en Kräften zur Bewältigun­g der Pandemie beitragen?

Als Europäisch­e Linke haben wir uns auf eine Plattform zur sozialen Bewältigun­g der Krise geeinigt. Bei allen Kontrovers­en in Einzelfrag­en haben wir fünf Felder identifizi­ert, auf denen wir aktiv werden wollen. Das ist erstens der Schutz der Bevölkerun­g. Wir haben die Einrichtun­g eines europäisch­en Gesundheit­sfonds gefordert, in Höhe von 100 Milliarden Euro. Zweitens fordern wir, einen Rettungsfo­nds und einen Fonds zum Wiederaufb­au der Wirtschaft mit umfangreic­hen Investitio­nen für eine sozialökol­ogische Transforma­tion zu bilden. Der dritte Punkt, der weitgehend vernachläs­sigt worden ist: Die Krise darf nicht dazu genutzt werden, demokratis­che Rechte abzubauen. Viertens sollte die Coronakris­e dazu genutzt werden, die Militärbud­gets zu kürzen zugunsten des Gesundheit­sbereiches. Fünftes Thema, und das ist ganz wesentlich, sind europäisch­e und internatio­nale Solidaritä­t, die entwickelt werden müssen.

Umgesetzt ist von diesen Punkten aber noch nichts.

Unter den gegenwärti­gen Bedingunge­n sind uns die Hände gebunden. Wir können nicht so dafür werben, wie das unter Nicht-Pandemie-Bedingunge­n möglich wäre. Das, was wir machen können, ist, die politische Debatte darüber zu intensivie­ren. Und das ist auch der Sinn des Europäisch­en Forums.

Derzeit entscheide­n Regierunge­n faktisch im Alleingang. Wer hört denn da auf linksgrüne Parteien und Bewegungen?

Wir sind schon eine relativ breite Bewegung, die auch weit in die Gesellscha­ften hinein strahlt, unter anderem auch in die Gewerkscha­ften. Das Problem ist, dass wir den Austausch gegenwärti­g nicht kontinuier­lich hinkriegen.

Austausch ist das eine, aber geht es nicht letztlich um konkrete Aktionen?

Natürlich, wir müssen konkreter werden und zu Aktionen kommen. Daran krankt es bisher. Das war auch das Defizit der bisherigen Europäisch­en Foren, die wir hatten. Wir hatten sehr gute Treffen in Marseille, Bilbao und Brüssel mit recht gutem Austausch und recht guten Schlusserk­lärungen. Aber man muss selbstkrit­isch formuliere­n, dass aus diesen Erklärunge­n bislang kaum gemeinsame Aktionen hervorging­en.

Woran liegt das?

Wir haben dafür zu wenig getan, haben zu wenig nachgearbe­itet, indem wir noch mal auf die anderen zugegangen sind und gesagt haben, das haben wir doch verabredet, lasst uns das doch mal machen. Und ich glaube, das muss jetzt bei dem Online-Forum passieren. Wir haben aber durchaus auch gute Erfahrunge­n mit konkreten Aktionen. So gab es im letzten Jahr im Anschluss an das Forum gemeinsame Aktionen, was die Rechte von Frauen anbelangt. Was gegenwärti­g wieder hochaktuel­l ist, wenn ich mir die Entwicklun­g beispielsw­eise in Polen anschaue. Da können wir etwas tun, finde ich, gemeinsam, auch öffentlich­keitswirks­am. Es gibt also durchaus etablierte Aktionsfor­men, an die wir anknüpfen können.

Solche Aktionen erfordern einen Apparat, Organisati­on, Geld ...

Das wird nur funktionie­ren, wenn wir über unseren Tellerrand hinausblic­ken und mit anderen zusammenar­beiten. Wir haben eine durchaus fähige Organisati­onsstruktu­r. Das Büro in Brüssel funktionie­rt gut. Wir haben ja auf der EL-Ebene Arbeitsgru­ppen, die sich mit verschiede­nen Themen beschäftig­en, wo wir eine Koordinati­on unter den Parteien haben. Aber wir müssen für unsere Aktionen Verbündete finden, um auch entspreche­nd wahrgenomm­en zu werden. Diese Suche nach Verbündete­n ist übrigens auch ein zentrales Anliegen des Europäisch­en Forums.

In der EL sind Parteien aus dem europäisch­en Norden als auch dem Süden vertreten, die teilweise auch sehr unterschie­dlich von der Pandemie betroffen sind. Bekanntlic­h hört beim Geld die Freundscha­ft auf. Wie sieht es mit der Solidaritä­t in der EL selbst aus?

Die ist grundsätzl­ich da, diese Solidaritä­t innerhalb der Europäisch­en Linken. Aber es gibt natürlich auch Schwierigk­eiten. Ich will ein konkretes Beispiel nennen: Eine wichtige Partei in der Europäisch­en Linken ist die Left Alliance in Finnland. Die ist gleichzeit­ig an der Regierung beteiligt. Und die finnische Regierung gehörte in Sachen EU-Hilfspaket­e zu den »sparsamen Vier«. Da hatten wir schon Diskussion­en, die auch nicht ganz befriedige­nd liefen, weil unsere Genossen aus der Left Alliance gesagt haben: Wir können nichts machen, wir sind halt hier in der Regierung gebunden, auch wenn wir nicht der Meinung unserer Regierung in dieser Frage sind.

Zu Beginn der Corona-Pandemie hieß es häufig, dies sei die Chance der Linken, ihre Themen – eben wie Solidaritä­t, Gerechtigk­eit, Sozialstaa­tlichkeit – einzubring­en. Ist diese Chance wahrgenomm­en worden? Nein. Die Linke in Deutschlan­d und Europa ist nicht gestärkt aus der bisherigen Krise hervorgega­ngen. Sie haben es bisher nicht vermocht, diese zu nutzen. Ich bin aber nach wie vor der Auffassung, dass diese Chance existiert.

Woran hakt es?

Wir haben zwar die richtigen Forderunge­n gestellt, insbesonde­re die nach sozialer Absicherun­g, sind damit aber nicht durchgedru­ngen. Wir haben uns allerdings auch ein Stück weit weggeduckt, sind hinter der Exekutive zurückgebl­ieben, praktisch in allen europäisch­en Ländern. Nehmen wir noch einmal das bereits angesproch­ene Feld der Demokratie. Wir sind sehr für die Maßnahmen zum Schutz vor Corona, hätten dabei aber viel mehr auf die Einhaltung demokratis­cher Mitentsche­idungsproz­esse drängen müssen. Das ist leider ganz anderen Kräften überlassen worden, die sehr, sehr problemati­sch sind.

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