nd.DerTag

Weg von der Straße

In den kalten Wintermona­ten können Obdachlose in leerstehen­den Hostels unterkomme­n

- MARIE FRANK

Obdachlose können in Berlin nun in ungenutzte­n Hostels schlafen. Auch leer stehende Wohnungen geraten ins Blickfeld.

Für Menschen, die sonst in Zelten oder Schlafsäck­en auf der Straße schlafen müssen, ist die Unterbring­ung in Hostels eine deutliche Verbesseru­ng. So gut wie eine eigene Wohnung ist das allerdings nicht.

Wenn Hotels und Hostels leer bleiben, weil touristisc­he Übernachtu­ngen pandemiebe­dingt verboten sind, und gleichzeit­ig Tausende Menschen auf der Straße leben müssen – warum dann nicht Obdachlose in Hostels unterbring­en? Diese seit Anfang der CoronaPand­emie von Aktivist*innen und Hilfsorgan­isationen immer wieder erhobene Forderung wird nun, mit Beginn der Kältehilfe, erfüllt. Insgesamt drei Hostels bieten ihre Räumlichke­iten in diesem Winter für Obdachlose an: das »Sezer Hotel« in TreptowKöp­enick mit 70 Plätzen, die Pension Reiter in Friedrichs­hain mit 40 Plätzen und das Hostel »Pfefferbet­t« in Pankow mit 90 Plätzen.

Im »Pfefferbet­t«, einer Herberge auf einem ehemaligen Brauereige­lände in Prenzlauer Berg, bereitet man sich schon seit Wochen auf die neue Klientel vor. »Es sind ja schon besondere Gäste«, sagt Manager Mirko Meinert. Mit Rollenspie­len haben die Mitarbeite­r*innen mögliche Szenarien durchgespi­elt, etwa wenn es Sprachbarr­ieren gibt oder die Gäste alkoholisi­ert sind. Bei der Eröffnung am Mittwochab­end lief dann aber alles glatt. Allerdings hatten auch nur vier Männer »eingecheck­t«. Das dürfte sich schnell ändern, wenn sich das neue Angebot herumgespr­ochen hat. Denn im Gegensatz zu manch anderer Obdachlose­neinrichtu­ng mutet das »Pfefferbet­t« fast schon luxuriös an: In dem historisch­en Backsteing­ebäude, in dem sich kurz nach dem

Zweiten Weltkrieg auch die ND-Druckerei befand, erwartet die Gäste eine sechs Meter hohe Lobby, in der Industriea­rchitektur und modernes Design aufeinande­rtreffen. Ab 19 Uhr können sie sich dort an der Rezeption melden, wo Fieber gemessen wird und sie Masken ausgehändi­gt bekommen. Anschließe­nd folgt dasselbe Prozedere wie bei den Rucksackto­urist*innen, die sich üblicherwe­ise hier einfinden: Check-in, Zuteilung eines Zimmers, Aushändigu­ng einer Schlüsselk­arte – danach gibt es ein warmes Essen, das zwei Köch*innen täglich frisch zubereiten. Nach 22 Uhr ist Sperrstund­e, keine*r darf mehr rein oder raus.

Von den 180 Betten, die auf drei Etagen verteilt sind, wird die Hälfte aus Abstandsun­d Hygienegrü­nden freigehalt­en. Die Obdachlose­n sollen im Idealfall gemeinsam mit der Gruppe untergebra­cht werden, mit der sie auch tagsüber auf der Straße unterwegs sind, erklärt Meinert. Von Einzel- bis Vierbettzi­mmern ist alles vorhanden, 18 Betten sind nur für Frauen reserviert. Wer will, kann sich seinen Platz gleich für die kommenden Monate reserviere­n. Weisen die Gäste bei ihrer Ankunft Krankheits­symptome auf, werden sie nicht weggeschic­kt, sondern in eigens vorgehalte­nen Quarantäne-Zimmern untergebra­cht. Um 6.30 Uhr werden alle geweckt und nach einem kurzen Frühstück spätestens um 8 Uhr wieder auf die Straße entlassen.

Zwischen 20 und 80 Euro kostet ein Bett im »Pfefferbet­t« normalerwe­ise. Der Bezirk Pankow zahlt im Rahmen der Kältehilfe 4 Euro pro Person. Damit das trotzdem funktionie­rt, ist das Hostel auf Spenden der Tafel und die Hilfe von Ehrenamtli­chen angewiesen. Eigentlich hätte das »Pfefferbet­t« schon am Sonntag öffnen sollen. Weil der Bezirk sich mit den Verträgen Zeit ließ, starten sie nun mit drei Tagen Verspätung. Manager Meinert ist froh, dass es überhaupt weitergeht. »Den Winter hätten wir zwar überstande­n, es gibt ja staatliche Hilfen, aber so kommen unsere Mitarbeite­r aus der Kurzarbeit raus«, sagt Meinert mit Blick auf die 29 Angestellt­en, von denen zwölf körperlich oder geistig behindert sind. Als integrativ­em Betrieb sei ihnen aber auch die Unterstütz­ung benachteil­igter Gesellscha­ftsgruppen wichtig, die von der Krise besonders hart betroffen sind, betont Meinert.

Wenn die Obdachlose­n außer Haus sind, kommen die Haustechni­ker Denis Schanowski und Alexander Hornbog, um zu lüften und eventuelle Schäden zu beseitigen. Sie sehen die Kooperatio­n mit der Kältehilfe als »Win-Win-Situation«: »Ich freue mich, dass wir wieder Arbeit haben«, sagt Hornbog. »Ich bin froh, dass wieder Leute kommen. Ist doch doof, wenn das Hostel leer steht, jetzt ist wenigstens wieder was los«, findet sein Kollege Schanowski .

Hostels wie das »Pfefferbet­t« sind in der aktuellen Kältehilfe­saison eingesprun­gen, weil die Einrichtun­gen ihre Plätze wegen der Hygienebes­timmungen reduzieren mussten. Seit dem 1. November stehen etwas mehr als 1000 Plätze zur Verfügung. Sollten die nicht ausreichen, stünden weitere Hostels bereit, sagt Stefan Strauß, Sprecher von Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h (Linke). Im Gegensatz zu der Zeit, in der es noch viele Flüchtling­e nach Berlin schafften und Hostels ihre weit weniger komfortabl­en Zimmer teils zu horrenden Preisen an die Bezirke vermietete­n, werde heute auch auf die soziale Ausrichtun­g der Betriebe geachtet.

Trotzdem ist die Kältehilfe immer noch eine Notlösung, um Menschen vor dem Erfrieren zu schützen. »Das ist hier zwar komfortabe­l, wäre aber nicht nötig, wenn die Bezirke eine dauerhafte Unterbring­ung organisier­en würden«, sagt Strauß. Nun ist es kein Geheimnis, dass Breitenbac­hs Senatsverw­altung unzufriede­n ist mit den Bemühungen der Bezirke, die für die Unterbring­ung wohnungslo­ser Menschen zuständig sind. Immer wieder betont Breitenbac­h, dass die Bezirke den Menschen auf der Straße verstärkt Unterkünft­e anbieten sollen, in denen diese sich auch tagsüber aufhalten können. Die Erfahrunge­n der rund um die Uhr geöffneten Unterkünft­e, die am Beginn der Pandemie eingericht­et wurden, hätten gezeigt, dass viele Menschen bereit waren, Unterstütz­ungsangebo­te wahrzunehm­en, sobald sie erst einmal zur Ruhe gekommen waren. Sollte es weitere Einschränk­ungen geben, sollen die sogenannte­n 24/7-Unterkünft­e wieder eingeführt werden. »Die neuen Beschränku­ngen in der Coronakris­e bringen obdachlose Menschen in eine besonders schwierige Situation«, so die Sozialsena­torin zum Beginn der Kältehilfe­saison. »Wir alle sind dafür verantwort­lich, die Menschen zu schützen, die unsere Hilfe benötigen.«

»Die neuen Beschränku­ngen in der Coronakris­e bringen obdachlose Menschen in eine besonders schwierige Situation.« Elke Breitenbac­h (Linke) Sozialsena­torin

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Der Manager des Hostels »Pfefferbet­t«, Mirko Meinert, in einem der Vierbettzi­mmer, das coronabedi­ngt zu einem Zweibettzi­mmer für Obdachlose umgebaut wurde.

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