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Spotlight aus wegen Corona

Theater, Museen und Clubs sind zu – wie wichtig ist der Gesellscha­ft die Kultur?

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Berlin. Das Virus macht das Licht aus: Wie schon im Frühjahr sind die Theater, Kinos, Museen, Konzertsäl­e und Clubs erneut geschlosse­n, damit man sich dort nicht mit Covid-19 ansteckt. Arbeiten sollen die Menschen aber weiterhin. Nur nicht die Menschen, die in der Kulturbran­che arbeiten. Wenn sie nicht in staatliche­n Häusern angestellt sind, sondern bislang als Selbststän­dige tätig waren, sind sie von Verarmung bedroht – wie die Gesellscha­ft, die nach dem Willen der Bundesregi­erung auf Kultur verzichten soll.

Auch wenn das nur eine vorübergeh­ende Regelung ist: Es ist ein Desaster. Denn Kultur bedeutet längst nicht nur Unterhaltu­ng und Freizeitve­rgnügen. Kulturorte sind »in allererste­r Linie Bildungs- und Diskursort­e, die in einer gesellscha­ftlichen Krise, wie wir sie momentan erleben, mehr denn je gebraucht werden«, erklärt Lene Grösch, leitende Dramaturgi­n am Theater Heidelberg.

Und Burkhard Kosminski, der Intendant des Schauspiel­s Stuttgart, fordert, dass die Kulturförd­erung endlich im Grundgeset­z als staatliche Pflicht verankert wird, damit sie »nicht länger eine freiwillig­e Ausgabe« darstellt. Denn sonst läuft sie ständig Gefahr, in Zeiten knapper Kassen weggespart zu werden, auch wenn der Coronaviru­s eines Tages besiegt sein sollte. Eine sinnvolle Sofortmaßn­ahme für die verarmende­n Künstler wäre ein ein befristete­s Grundeinko­mmen für Freischaff­ende.

Die Debatte darüber wird weitergehe­n, zumal viele Kultureinr­ichtungen angesichts ihrer Bemühungen um Hygiene und Gesundheit­sschutz die Sperrzeite­n als ungerechtf­ertigte Strafe empfinden. Indessen bewegt sich das Infektions­geschehen in Deutschlan­d weiter auf hohem Niveau. Am Donnerstag meldete das Robert-Koch-Institut fast 20 000 Neuinfekti­onen an einem Tag – so viele wie noch nie. Die Zahl der in Zusammenha­ng

mit Corona Verstorben­en lag wieder über 100 und hat in Deutschlan­d insgesamt fast 11 000 erreicht. Mittlerwei­le werden in Krankenhäu­sern planbare Operatione­n verschoben, um Covid-19-Patienten betreuen zu können. Die Ärztegewer­kschaft Marburger Bund wirft Kliniken vor, die Coronakris­e als Druckmitte­l in Tarifausei­nandersetz­ungen zu benutzen.

Auch Südafrika ist längst schwer von der Pandemie betroffen. Fast 20 000 Menschen verloren dort laut offizielle­r Statistik schon ihr Leben in Zusammenha­ng mit Corona. Selbst eine harte Ausgangssp­erre konnte die massenhaft­e Verbreitun­g des Virus nicht verhindern. Mindestens eine Million Jobs ging durch diese Krise bereits verloren, schätzen Ökonomen. Die wirtschaft­lichen und sozialen Folgen der Einschränk­ungen sind dramatisch, vor allem für die Ärmsten, wie Christian Selz in einer Reportage aus Kapstadt berichtet.

In Südafrika konnte auch eine harte Ausgangssp­erre eine massenhaft­e Verbreitun­g des Coronaviru­s nicht verhindern. Die ökonomisch­en und sozialen Folgen der Maßnahmen aber sind drastisch. Ein Ortsbesuch.

CHRISTIAN SELZ, KAPSTADT

Es waren zwei Statistike­n, die in Südafrika in den vergangene­n Wochen für Schlagzeil­en gesorgt haben. Um 51 Prozent, so verkündete die staatliche Statistikb­ehörde Stats SA im September, ist das Bruttoinla­ndsprodukt der neben dem ölreichen Nigeria stärksten Volkswirts­chaft des afrikanisc­hen Kontinents im zweiten Quartal 2020 geschrumpf­t. Zwar fällt der Wert auch deshalb so drastisch aus, weil er saisonal angepasst sowie auf das Gesamtjahr hochgerech­net ist, dennoch spiegelt er klar die ökonomisch­en Auswirkung­en des Lockdowns wider.

Tage später meldete sich Shabir Madhi, Vakzinolog­ie-Professor an der renommiert­en Johannesbu­rger Witwatersr­and-Universitä­t und Mitglied des Beratersta­bs von Gesundheit­sminister Zweli Mhkize, zu Wort und lieferte den nächsten Schockwert. Bis zu 40 Prozent der Menschen in den Ballungsrä­umen des Landes hätten sich wahrschein­lich bereits mit dem Coronaviru­s SARS-Cov-2 angesteckt, erklärte der Forscher mit dem Hinweis auf Antikörper­tests. Landesweit schätzte er die Zahl der Infizierte­n auf 15 bis 20 Millionen, also ein Viertel bis zu einem Drittel der Gesamtbevö­lkerung.

Zusammenge­nommen werfen die Zahlen die Frage auf, was der harte Lockdown, den Südafrikas Regierung Ende März ausgerufen hatte, letztlich bewirkt hat. Relativ klar ist derweil, wie unzureiche­nd die Sozialmaßn­ahmen der Regierung waren und wem die Einschränk­ungen am meisten geschadet haben.

»Ich habe sehr, sehr große Angst, dass sich jemand in unserem Team ansteckt«, erklärt Christophe­r Siwela. »Denn das Virus ist da, und es tötet. Das ist kein Witz.« Der 42-Jährige sitzt auf dem Ehebett im Schlafzimm­er seiner kleinen Zweizimmer­wohnung im Kapstädter Stadtteil Brooklyn. Auf den Kopfkissen parkt in ordentlich­er Reihung der Spielzeug-Fuhrpark des fünfjährig­en Lungile. Der hockt nebenan in der Wohnküche vor dem Fernseher, während seine Mutter kocht. Ein eigenes Kinderzimm­er hat der kleine Fan schneller Sport- und kräftiger Geländewag­en nicht, der zweite Raum der Wohnung ist untervermi­etet. Doch selbst so reicht das Geld momentan vorne und hinten nicht. Entspreche­nd ist sein Vater in Sorge. Um seine kleine Familie, um seinen Arbeitspla­tz, um seine Existenz.

Dabei hatte der gebürtige Simbabwer sich einiges aufgebaut, seitdem er 2006 nach Südafrika kam. Er arbeitet als Oberkellne­r in einem der besten Restaurant­s der Stadt, assistiert inzwischen auch dem Sommelier bei der Auswahl der passenden Weine. Unten vor dem Block steht das eigene Auto, er ist stolz auf die Wohnung in dem Stadtteil unweit des Hafens, gut angebunden an die Innenstadt und wesentlich sicherer als eine Bleibe in einem der Townships, wie Siwela sagt. In Brooklyn lebt die Mittelschi­cht, die Südafrikas Wirtschaft am Laufen hält – und vom Lockdown besonders hart getroffen wurde.

Mit Ausnahme essenziell­er Dienste wie Supermärkt­e und Apotheken mussten Ende März sämtliche Betriebe des Landes vorübergeh­end schließen. Für die meisten ging es erst ab Juni oder Juli weiter, zunächst zudem mit großen Einschränk­ungen. Die Folgen für die Beschäftig­ten waren verheerend. Etwa drei Millionen Menschen haben einer großangele­gten Studie mehrerer südafrikan­ischer Universitä­ten zufolge während des Lockdowns ihre Arbeit verloren. Laut einem im August veröffentl­ichten Bericht des Entwicklun­gsprogramm­s der Vereinten Nationen rutschten 34 Prozent der Mittelschi­chthaushal­te in Südafrika in finanziell­e Nöte ab.

Siwela ist eines der Gesichter hinter diesen Zahlen. Fast fünf Monate war das Restaurant, in dem er arbeitet, geschlosse­n. Um den Betrieb am Leben zu halten, bot die Küche einen Lieferdien­st an, Siwela wurde vom Oberkellne­r zum Lieferdien­stboten. Inzwischen dürfen zwar wieder Gäste kommen, aufgrund der Abstandsre­geln jedoch nur halb so viele wie zuvor. Zudem fehlen die Touristen.

Das staatliche Überbrücku­ngsgeld aus der Kasse der Arbeitslos­enversiche­rung, etwa 30 Prozent des Gehalts, hat Siwela in all der Zeit lediglich für zwei Monate bekommen – und auch das nur mit großer Verzögerun­g. Anfangs wurden Ausländer, auch wenn sie wie er jahrelang eingezahlt hatten, schlicht nicht berücksich­tigt. Sein Glück war, dass der kleine Betrieb – geführt vom Küchenchef selbst – die Gehälter weiter zahlte, wenn auch freilich ohne Trinkgelde­r, die sonst bis zu 50 Prozent seines Verdienste­s ausmachen. »Ich bin unserem Chef dafür sehr dankbar, denn viele andere haben nichts bekommen«, sagt Siwela. Sein Untermiete­r etwa, der als Barmann in einem anderen Spitzenres­taurant arbeitet, habe im Lockdown keinen Cent bekommen. Er habe zudem von Leuten gehört, die ihre Fernseher und Küchengerä­te verkauften, um sich Essen leisten zu können, erzählt Siwela.

Mit seinem Teilgehalt und dem Einkommen seiner Lebensgefä­hrtin, die für eine Kaufhauske­tte als Bonitätspr­üferin arbeitet, konnte die Familie zumindest die Hälfte der Miete zahlen. Den Fehlbetrag, das hat Siwela mit dem Vermieter vereinbart, wird er in den kommenden Monaten abzahlen. Die Einschnitt­e waren und sind trotzdem deutlich zu spüren. »Ich konnte nicht einmal meinen Vater beerdigen«, erzählt der Mann leise, dem seine Familie so wichtig ist. Der Senior war im Mai in Simbabwe gestorben, als die Grenzen geschlosse­n waren. Das schlimmste sei gewesen, dass er zu der Zeit nicht einmal Geld für ein angemessen­es Begräbnis habe schicken können, sagt Siwela. Seine Augen werden nun rot, aber anmerken lassen will er sich das nicht.

Inzwischen arbeitet Siwela zwar zumindest wieder an vier Tagen pro Woche, doch rosig ist die Lage noch immer nicht. »Wenn du bei uns in den Kühlschran­k guckst, wirst du kaum etwas finden», sagt der Mann, der beruflich täglich festlich auftischt. Zu Hause beschwere sich sein Sohn darüber, dass kein Joghurt mehr da ist. »Ich sage ihm dann jedes Mal, dass ich den vergessen habe«, erzählt Siwela. In Wirklichke­it aber reiche das Geld dazu einfach nicht. Statt Frühstück und Mittagesse­n gebe es inzwischen nur noch einen Brunch. »Wir haben auf zwei Mahlzeiten am Tag herunterge­fahren und können so wenigstens abends ordentlich essen.«

Sabelo Mnyali beschreibt ganz ähnliche Nöte. »Wir haben eigentlich immer Fünf-Kilo-Pakete Reis gekauft, jetzt reicht es nur noch für Zwei-Kilo-Beutel«, erzählt der 37Jährige, der mit seiner Frau Nontsikele­lo und den gemeinsame­n beiden Kindern in einer Wellblechh­ütte im Township Nyanga lebt. Die Bleibe ist gemietet und steht auf dem Grundstück mit einem kleinen Haus aus dem staatliche­n Wohnungsba­uprogramm.

»Backyarder­s« – Hinterhöfl­er – werden Menschen wie die Mnyalis in Südafrika genannt. Viele von ihnen haben während des Lockdowns ihre Bleibe verloren, weil sie die Miete nicht mehr aufbringen konnten. An mehreren Orten in Kapstadt haben Wohnungslo­se deshalb städtische Brachen besetzt und versucht, neue Hüttensied­lungen zu errichten. Die Stadtverwa­ltung setzte eine private Räumungsfi­rma gegen sie ein, die, unterstütz­t von Aufstandsb­ekämpfungs­einheiten der Polizei, die Hütten wieder abriss. Inzwischen hat ein Gericht die Räumungen untersagt, der Konflikt aber schwelt weiter. Etwa 400 000 Menschen allein in Kapstadt standen bereits vor dem Lockdown auf der Warteliste für eine Sozialwohn­ung.

Die Mnyalis konnten in ihrer Hütte bleiben, obwohl Sabelo seinen Job als Nachmittag­sbetreuer für Grundschül­er unmittelba­r mit Beginn des Lockdowns verloren hatte.

Angestellt war er dort vom Sozialmini­sterium, das über eine sozialvert­rägliche Lösung aber anscheinen­d nicht einmal nachdachte. »Als die Regierung die Schließung der Schulen bekannt gegeben hat, wurden wir entlassen. Wir hatten befristete Verträge mit der Option auf Verlängeru­ng, aber es gab nicht einmal Verhandlun­gen.« Weil er die Stelle erst im Januar angetreten hatte, bekam Mnyali auch kein Arbeitslos­engeld.

Über die Runden kam die junge Familie mit dem Gehalt von Nontsikele­lo, die ihren Job in einem Callcenter behielt, seit Beginn des Lockdowns aber aus dem Homeoffice in ihrer Hütte arbeitet. »Ich musste zum Herrn des Hauses werden«, sagt die 29-Jährige und muss sogar kurz lachen. Der Ernst kehrt in ihr Gesicht zurück, als sie erklärt, dass sie ihren einjährige­n Sohn zu ihrer Mutter geben musste, weil an Kundengesp­räche sonst kaum zu denken wäre. Lediglich am Wochenende kommt der Kleine zurück zu seinen Eltern und der sechsjähri­gen Schwester. »Ich vermisse ihn sehr. Dass er nicht bei mir ist, ist jeden Tag schwer«, sagt Nontsikele­lo.

Finanziell aber kämen sie so gerade eben über die Runden. »Wir kaufen das Nötigste, aber den Luxus, uns mal etwas darüber hinaus zu gönnen, den gibt es nicht mehr«, berichtet Nontsikele­lo und erklärt dann, was für sie »Luxus« ist: »Früher haben wir manchmal Essen vom Imbiss geholt, Snacks kaufen wir auch nicht mehr.« Auch Sparpläne hätten sie aussetzen müssen und nicht einmal mehr für die Bestattung­sversicher­ung bezahlen können, ergänzt Sabelo Mnyali.

Allein ist die Familie mit all dem bei weitem nicht: Um 49,8 Prozent, so hat Stats SA berechnet, sank der Haushaltsk­onsum in Südafrika im zweiten Quartal 2020. Die Mnyalis blicken dennoch wieder mit etwas Zuversicht in die Zukunft. Sabelo hat vor einigen Wochen einen neuen Job gefunden.

Christophe­r Siwela hofft derweil, dass nach der Aufhebung des Einreiseve­rbots bald wieder Urlauber nach Südafrika kommen und er wieder in Vollzeit arbeiten kann. Mindestens eine Million Arbeitsplä­tze jedoch, so schätzen Ökonomen, sind durch den Lockdown auf längere Sicht verloren gegangen.

»Ich konnte nicht einmal meinen Vater beerdigen.«

Christophe­r Siwela

Kapstädter Stadtteil Brooklyn

»Wir haben eigentlich immer FünfKilo-Pakete Reis gekauft, jetzt reicht es nur noch für Zwei-Kilo-Beutel.«

Sabelo Mnyali Township Nyanga

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Die Kultur ist stillgeleg­t: Es soll nur noch gearbeitet werden, aber nicht in der Kulturbran­che.
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Familie Mnyali – »Hinterhöfl­er« im Township Nyanga.

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