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Auch Schüsse auf Kinder möglich

Die schleswig-holsteinis­che Landesregi­erung will ihr Polizeiges­etz verschärfe­n. Bürgerrech­tler sehen viele Punkte kritisch

- DIETER HANISCH, KIEL

Im Kieler Landtag haben Abgeordnet­e und Experten über das neue Polizeiges­etz diskutiert. Außerparla­mentarisch­e Gruppen verweisen auf die niedrige Kriminalit­ät und sehen keinen Handlungsb­edarf.

Die Landesregi­erung in Schleswig-Holstein arbeitet seit langem an einem neuen Polizeiges­etz. Die Kritik am bisher vorgelegte­n Regierungs­entwurf ist massiv. Insbesonde­re die Option einer rechtliche­n Verankerun­g des Schusswaff­engebrauch­s gegen Kinder im Gefahrenfa­ll sorgt für Empörung. Eine mehrstündi­ge Anhörung im Kieler Landtag thematisie­rte einige Einwände noch einmal.

Eine heftige Kontrovers­e ist auch aufgekomme­n, in welcher Art und Weise Schleswig-Holstein als vorletztes Land neben dem Stadtstaat Berlin nun den finalen Rettungssc­huss im Polizeirec­ht verankern will. Insbesonde­re der Kinderschu­tzbund in Person von Eberhard Schmidt-Elsaeßer sieht sich in dem umstritten­en Vorhaben als Anwalt für nicht strafmündi­ge Kinder und lehnt den Passus strikt ab. In der Begründung zur vermeintli­chen Notwendigk­eit der von der Jamaika-Koalition getragenen Maßnahme wird stets das Beispiel von Kindern präsentier­t, die von Terroriste­n zur Ausübung von Anschlägen instrument­alisiert werden. Das ist ein Szenario, das hierzuland­e so noch nie vorgekomme­n ist. Daher beruft sich der Abgeordnet­e Burkhard Peters (Grüne) auch lieber auf Fälle, in denen Kinder Mitschüler in der Schule mit Messern bedroht haben. In der Anhörung nannte die unabhängig­e Polizeibea­uftragte Samiah El Samadoni (SPD) die Schaffung einer Rechtsgrun­dlage für den Schusseins­atz gegen Kinder ein höchst »fragwürdig­es Signal« und wies darauf hin, dass solche Kinder perspektiv­isch zwar als Täter, zugleich aber auch als Opfer zu betrachten seien. Bereits in der ersten Lesung des entspreche­nden Gesetzentw­urfes im Landtag sprach die SPD von einer »Verschiebu­ng von ethischen Grenzen«. Unverständ­nis in diesem Punkt äußerte sogar Stephan Nietz vom Bund deutscher Kriminalbe­amter.

Große Bedenken erweckt auch der von der Polizei gewünschte Einsatz von Bodycams in Wohnungen oder Geschäftsr­äumen, weil damit die grundgeset­zlich geschützte Unversehrt­heit der Wohnung tangiert werde. Zweifel ob der grundsätzl­ichen Wirksamkei­t des Bodycam-Einsatzes hegt das Kriminolog­ische Forschungs­institut Niedersach­sen. Experte Tillmann Bartsch führte aus, dass es bis dato keine belastbare­n Studien gibt, die eine Deeskalati­onswirkung durch das filmende Hilfsequip­ment in Form zurückgehe­nder Straftaten gegen Polizeibea­mte belegen. SchleswigH­olsteins CDU will trotzdem am BodycamEin­satz auch in Wohnungen festhalten und beruft sich auf den rot-rot-grünen Gesetzentw­urf aus Bremen.

Bijan Moini von der Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte wies auf mögliche Mängel im Gesetzentw­urf bezüglich der Vorverlage­rung eines Gefahrenve­rdachts hin. Die Landesdate­nschutzbea­uftragte Marit Hansen äußerte ihre Bauchschme­rzen für die so formuliert­en anlasslose­n Verdachtsk­ontrollen, nahm das Wort Racial Profiling im Gegensatz zu Moini in diesem Zusammenha­ng aber nicht in den Mund. Letzterer regte an, sich auch in Schleswig-Holstein über das Bremer Modell von Quittungen bei Polizeikon­trollen Gedanken zu machen.

Auch die Gewerkscha­ft der Polizei und die konkurrier­ende Deutsche Polizei-Gewerkscha­ft kamen in der Anhörung zu Wort. Es überrascht­e dabei nicht, dass beide mehr Befugnisse in der Vorratsdat­enspeicher­ung und bei der Telekommun­ikationsüb­erwachung forderten. Außerdem auf dem Wunschzett­el: Eine Harmonisie­rung der föderalen Polizeirec­hte der Länder.

Widerstand gegen die schleswig-holsteinis­che Polizeirec­htsreform artikulier­t vor allem ein außerparla­mentarisch­es Bündnis. Dieses spricht von einer unnötigen Polizeirec­htsverschä­rfung ohne wirklichen Handlungsb­edarf. Dabei verweist man auf die letzte landesweit­e Kriminalit­ätsstatist­ik, die mit historisch­en Niedrigdat­en gespickt ist.

Die Piratenpar­tei benennt einen weiteren Kritikpunk­t mit der Ergänzung des künftigen polizeilic­hen Instrument­ekastens in Form des Distanz-Elektro-Impulsgerä­tes, landläufig besser als »Taser« bekannt. Susanne Spethmann aus dem Landesvors­tand der Linken ergänzt die Liste der geplanten Maßnahmen wie die Anordnung von medizinisc­hen Untersuchu­ngen ohne Einwilligu­ng der Betroffene­n beziehungs­weise die Möglichkei­t, Menschen die Teilnahme an Demonstrat­ionen zu verbieten – also quasi legalisier­te Aufenthalt­sbeschränk­ungen.

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