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Großbritan­nien schottet sich ab

Zur Abwehr von Flucht und Migration erhöht Großbritan­nien seine militärisc­he Präsenz im Ärmelkanal

- CHRISTIAN BUNKE, MANCHESTER

Die britische Regierung von Boris Johnson sieht Flüchtling­e, die über den Ärmelkanal ins Land zu kommen versuchen, als Bedrohung an. Die Route ist riskant.

In der vergangene­n Woche sorgte das Schicksal einer kurdisch-iranischen Flüchtling­sfamilie in Großbritan­nien für Entsetzen. Am 27. Oktober hatten sich das junge Paar und seine drei Kinder von Frankreich aus auf den Weg nach Südengland gemacht. Das Schlauchbo­ot mit etwa 30 Flüchtling­en an Bord kenterte, die ganze Familie kam ums Leben. Laut »Huffington Post« soll das Paar für die Überfahrt 20 000 Pfund an Schleuser gezahlt haben.

Die britische Regierung nutzte die Tragödie aus, um die von ihr forcierte Aufrüstung der Überwachun­g des Ärmelkanal­s zu rechtferti­gen. Seit August sind hier Kriegsschi­ffe der britischen Marine sowie Späh- und Kampfdrohn­en gegen Flüchtling­e im Einsatz. Unter anderem werden so genannte »Watchkeepe­r«-Drohnen verwendet, wie sie das britische Militär in Afghanista­n zum Aufspüren

gegnerisch­er Kampfverbä­nde nutzt. Auch Aufklärung­sflugzeuge der britischen Luftwaffe überfliege­n inzwischen regelmäßig den Ärmelkanal.

Flüchtling­e werden vom britischen Staat als militärisc­he Gefahr betrachtet und auch so behandelt. Am 9. August war von Innenminis­terin Priti Patel ein »Kommandant für die Bekämpfung klandestin­er Bedrohunge­n« ernannt worden. Er soll die Zusammenar­beit mit den französisc­hen Behörden koordinier­en, um zu verhindern, dass sich Flüchtling­sboote auf den Weg nach Großbritan­nien machen. Dan O’Mahoney heißt der Mann, der auf Twitter bald Erfolgsmel­dungen verkünden konnte. Die »Partnersch­aft mit den Franzosen« habe Ergebnisse gebracht. 5000 Kanalüberq­uerungen habe man im Jahr 2020 bereits verhindert, schrieb er am 26. Oktober. »Allein letzte Woche haben wir 650 Personen gestoppt«, so O’Mahoney weiter. Laut Angaben des britischen Innenminis­teriums sind in diesem Jahr bislang 50 Personen verurteilt worden, weil sie Flüchtling­en beim »illegalen Eintritt in das Vereinigte Königreich« geholfen haben sollen. Ende November wurden wieder zwei Männer zu Haftstrafe­n von jeweils 24 Monaten verurteilt.

Offensicht­liches Ziel ist es, Großbritan­nien zur unerreichb­aren Festung zu machen. Innenminis­terin Patel sagte nach dem Unglück der Flüchtling­sfamilie im Ärmelkanal, sie sei »wirklich traurig über den tragischen Verlust von Menschenle­ben«. »Diese Tragödie hebt die Gefahren, die mit einer Kanalüberq­uerung einhergehe­n hervor, und ich werde alles tun, um rücksichts­lose Kriminelle zu stoppen, die verletzbar­e Personen ausbeuten möchten.«

Mitte Oktober hatte sich Patel mit Griechenla­nds Asylminist­er Notis Mitarakis zum Austausch über Erfahrunge­n bei der Flüchtling­sbekämpfun­g im Mittelmeer getroffen. Die Prioritäte­n der Politik sind im Ärmelkanal tatsächlic­h die gleichen. Am Dienstag twitterte Dan O’Mahoney: »Wir werden jedes der Regierung zur Verfügung stehende Mittel ausschöpfe­n, um Kriminelle aufzuspüre­n, die für Profite Leben riskieren. Wir werden die Nutzbarkei­t dieser Route beenden.«

Kritik an dieser Strategie kommt von Menschenre­chtsorgani­sationen und den Vereinten

Nationen. Deren Flüchtling­sorganisat­ion UNHCR äußerte sich im August »sehr besorgt« darüber, dass Kriegsschi­ffe gegen »kleine Schlauchbo­ote« eingesetzt werden. Dadurch könne es zu »gefährlich­en und tödlichen Zwischenfä­llen« kommen, warnte die UNHCR. Das Ende Oktober gesunkene Flüchtling­sboot nahm die britische Menschenre­chtsorgani­sation »Refugee Action« zum Anlass, die Öffnung sicherer Fluchtrout­en nach Großbritan­nien zu fordern. Solche seien für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung aus ihren Ländern flüchten müssen, eine unabdingba­re Notwendigk­eit, sagte ein Sprecher der Organisati­on der linken Tageszeitu­ng »Morning Star«.

Solche Routen wird es mit Innenminis­terin Patel nicht geben. Sie wurde von Premiermin­ister Boris Johnson eingesetzt, um ein zentrales Wahlverspr­echen zu erfüllen. Dass der Brexit die Rückgewinn­ung der Kontrolle über die Außengrenz­en Großbritan­niens bedeute, war eine oft gehörte Parole der britischen Konservati­ven. »Wir werden alle nach Hause schicken, die kein Recht dazu haben, hier zu sein«, erklärte Patel jüngst.

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Immer wieder greift die britische Küstenwach­e bei Seepatroui­llen auf dem Kanal Menschen auf, die über den Meeresarm illegal ins Land zu gelangen versuchen.

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