»Einheit und Gleichheit haben noch nie so hohl geklungen«
Der Direktor des Tampadida-Instituts für Politikberatung Khin Zaw Win über die Parlamentswahlen in Myanmar an diesem Sonntag
Die Corona-Pandemie trifft Myanmar hart. Was bedeutet das für die Wahlen?
Die Pandemie schränkt den Wahlkampf für andere Parteien als die National League for Democracy (NLD) ein. Damit hat die regierende Partei viele Vorteile, sie wird die Wahlen nicht verschieben.
Als die NLD von Aung San Suu Kyi vor fünf Jahren die Wahlen gewann, sah es nach einem großen Schritt in Richtung Demokratie aus. Jetzt, fünf Jahre später, erhält Aung San Suu Kyi viel Kritik. Was ist geschehen?
Sie ist bankrott – an Ideen, Konzepten und politischen Projekten. Von ihr kann vor allem in Bezug auf Frieden und Föderalismus nichts erwartet werden.
Im Unionsstaat Rakhine, wo es viele Coronafälle gibt und bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen und den Streitkräften, wurde die Abstimmung in einigen Wahlkreisen abgesagt. Ebenso in anderen Krisenregionen. Wie ist schätzen Sie das ein?
In drei von vier Wahlkreisen, die die NLD 2015 gewonnen hat, wurden die Wahlen nicht abgesagt, im Gegensatz zu sieben Wahlkreisen in Hochburgen der Arakan National Party (ANP), in denen überhaupt nicht gewählt werden wird. Die Amtszeit von 2015 bis 2020 hat gezeigt, dass nicht nur das Militär dem Föderalismus abgeneigt ist. Wir wissen, dass das Militär von Natur aus eine zentralisierte Institution ist, aber ist die Regierung der NLD anders? Die Schlagworte der Regierung von »ethnischer Einheit« und »Gleichheit« haben noch nie so hohl geklungen wie heute.
Es gibt viele Ungereimtheiten und Fragen bezüglich der Auswahl der Gebiete, in denen die Wahlen abgesagt wurden. Menschen, denen das Wahlrecht entzogen wurde, sind verständlicherweise verärgert. In einer anständigen Demokratie könnten Institutionen wie der Oberste Gerichtshof oder das Verfassungsgericht Rechtsmittel zur Verfügung stellen. Aber die Menschen in Myanmar lernen auf die harte Tour, dass die Demokratie keine unabhängigen Institutionen oder Gerechtigkeit gewährleistet.
Was bedeutete die Öffnung des Landes nach Jahrzehnten der Militärdiktatur für die Zivilgesellschaft? Was sollte sich vom Standpunkt der Zivilgesellschaft aus politisch ändern?
Während des langen Kampfes gegen eine autoritäre Militärstruktur wurden die Linien klarer gezogen und die Bedingungen des Engagements einfacher. Ein Großteil der Gesellschaft verabscheute die Junta und die von ihr verursachten Übel. Dies spiegelte sich in den Ergebnissen der Wahlen von 2015 wider. Nun, da eine gewählte zivile Regierung und zivile Partei versucht, ihre Herrschaft und ihr »System« zu konsolidieren und aufrechtzuerhalten, kommen Elemente der Verwirrung, Täuschung und Hinterhältigkeit hinzu.
Was müsste die nächste Regierung tun?
Zum einen muss sie die Entfremdung zwischen den großen Parteien und der Zivilgesellschaft überwinden – was nicht so sehr ein Problem des Staates an sich ist. Dies ist bei der gegenwärtigen Gerontokratie, in der die »Alten« die Geschicke des Staates leiten, schwierig und wird einen Generationswechsel erfordern. Zum anderen braucht es die Schaffung einer robusten Pluralität in der Legislative und der Regierung. Parteien müssen sich dann bei den nächsten Wahlen stärker anstrengen. Beides ist miteinander verflochten, und es wird Welleneffekte geben. Davon hängt die Zukunft des Landes ab.
Eines der wichtigsten Themen in Myanmar ist der Friedensprozess mit etwa 21 bewaffneten ethnischen Gruppen. Aung San Suu Kyi initiierte die Panglong-Friedenskonferenz. In vier Runden sind einige Fortschritte erzielt worden, aber die Gespräche verlaufen schwierig. Wie ist die gegenwärtige Situation im Friedensprozess?
In den vergangenen fünf Jahren ist der viel gepriesene »Friedensprozess« nirgendwo angekommen, und vielleicht ist es sogar noch schlimmer geworden. Die Kämpfe haben sich in manchen Regionen zwar abgeschwächt, aber sie können jederzeit wieder ausbrechen. Die vierte sogenannte Panglong-Friedenskonferenz war eher ein Versuch, das Gesicht zu wahren und ein letzter verzweifelter Rettungsversuch der gegenwärtigen Regierung.
Myanmar geriet im August 2017 in den Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit, als nach Angriffen in Rakhine staatliche Sicherheitskräfte bis zu 10 000 Angehörige der muslimischen Minderheit Rohingya töteten und fast 700 000 nach Bangladesch flohen. Wie ist die Lage heute?
Auf eine Politik des monoethnischen Nationalismus für die Mehrheit des Landes zu setzen, kann einer Friedensregelung mit den ethnischen Gruppen im Wege stehen – und damit das erhoffte föderale System verhindern. Es stimmt, dass sich der gegenwärtige hartnäckige Rassismus gegen die unglückseligen Rohingya und zweitens gegen Muslime im Allgemeinen richtet. Aber es ist illusorisch zu erwarten, dass dieser ungehemmte Rassismus einfach aufhören wird. Härte gegenüber den Rohingya zu zeigen, kann zwar die eigene innenpolitische Popularität fördern und die Chance bei den nächsten Wahlen erhöhen. Aber diese Ausgrenzung, Intoleranz, Gefühllosigkeit und der regelrechte Rassismus werden Myanmar auf lange Sicht nach unten ziehen.