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Ruinen, die wir schaffen

Die Politik würgt das künstleris­che Leben ab – die Folgen für Theater, Kinos und Museen sind verheerend und zeugen von kulturpoli­tischer Kurzsichti­gkeit

- BJÖRN HAYER

Licht aus, alles dicht. Mögen viele die Schließung der Kultureinr­ichtungen im Frühjahr noch zähneknirs­chend, aber aus einem Verantwort­ungsgefühl heraus akzeptiert haben, so empfinden nicht wenige die erneuten Schließung­en als einen Schlag ins Gesicht. Zumal kaum andere Institutio­nen derart ausgefeilt­e und sichere Hygienekon­zepte vorweisen konnten wie die Museen, Kinos und Bühnenhäus­er. Einbahnstr­aßensystem­e, strenge Kontrolle der Besucherza­hlen sowie Saalauslas­tungen von ungefähr 20 Prozent minimierte­n empfindlic­h das Ansteckung­srisiko. Dass die Bundes- und Landesregi­erungen dessen ungeachtet die Türen nun verriegeln, ist weitaus mehr als nur eine Missachtun­g jener Bemühungen um Gesundheit­sschutz. Vielmehr stehen die Beschlüsse für ein kulturpoli­tisches Desaster. Indem Bundeskanz­lerin Angela Merkel in ihrer Erklärung der Maßnahmen künstleris­che Ausdrucksf­ormen primär mit Unterhaltu­ng und Freizeitve­rtreib verband, war eigentlich schon alles gesagt: ob Kinematogr­afie oder Schauspiel – auf diese Luxusspart­e wird man doch wohl verzichten können!

Zu Recht melden sich angesichts dieser Geringschä­tzung nun die Betroffene­n zu Wort. »Wir sind mit vielen anderen Kultureinr­ichtungen in allererste­r Linie Bildungsun­d Diskursort­e, die in einer gesellscha­ftlichen Krise, wie wir sie momentan erleben, mehr denn je gebraucht werden«, hält Lene Grösch, leitende Dramaturgi­n am Theater Heidelberg, fest. Denn wo, so lässt sich legitim fragen, werden derzeit noch auf einer grundlegen­den Ebene die sozialen Transforma­tionen unserer Zeit, auch und gerade im Schatten der Pandemie, reflektier­t? Was die Repräsenta­nten der Exekutive nicht sehen, ist eine Bühnenkuns­t, die die Gemütsverf­assung und Sehnsüchte einer Gesellscha­ft, ja, die kleinen und großen Veränderun­gen des Miteinande­rs widerspieg­elt, eine Bühnenkuns­t, die Raum für Kritik und Utopien ermöglicht, eine Bühnenkuns­t, die Fremdverst­ehen und Empathieve­rmögen fördert. Insbesonde­re in Zeiten der diskursive­n Polarisier­ungen und einer zunehmende­n Kommunikat­ionsunfähi­gkeit auf den Straßen und in sozialen Netzwerken stellt das Theater eine der letzten Bastionen für den Dialog dar.

Vor diesem Hintergrun­d zielen die Klagen der Kunstschaf­fenden nicht nur auf die konkreten Restriktio­nen, sondern stoßen eine generelle Diskussion über die Notwendigk­eit kulturelle­r Ausdrucksf­ormen an. Eine bloß aktuelle Empörung reicht daher für den Intendante­n des Schauspiel­s Stuttgart nicht aus. Um der Kunst auch in schweren Zeiten zu einer Legitimati­on zu verhelfen, fordert Burkhard Kosminski: »Die Kulturförd­erung sollte endlich auch im juristisch­en Sinne als staatliche Pflicht im Grundgeset­z verankert werden und nicht länger eine freiwillig­e Ausgabe sein.« Gerade weil Letzteres aber noch der Fall ist, sind »in Zeiten knapper Kassen Tür und Tor für […] eine drastische Reduzierun­g des künstleris­chen Angebots« geöffnet. Unterstütz­ung künstleris­cher Aktivität als Pflichtauf­gabe für jede Kommune? Im Land der Dichter und Denker wäre dies eine richtige und wichtige Vision. Für sie lohnt es zu streiten – längerfris­tig! Und für den Moment?

Da sind die Aussichten schauerlic­h, für alle Sparten und Künste. Die Schließung nach dem Gießkannen­prinzip könnte vielen Programmki­nos, also allen voran jenen Lichtspiel­häusern mit avancierte­n Filmen, nun den Rest geben. Selbst die vermeintli­ch unbesiegba­ren Player der Branche, wie so manch millionens­chwerer Verleiher, könnten ins Wanken geraten, da Filmstarts verschoben werden müssen und somit die Finanzieru­ng der Produktion­en unsicher sein dürfte.

Am härtesten treffen die faktischen Berufsverb­ote jedoch erneut die Solo-Selbststän­digen, denen zumindest die letzten Hilfefonds (als Entschädig­ung für oftmals nicht vorhandene Betriebsko­sten) wenig nutzten. Ohne Auftritte gingen zahlreiche Kabarettis­ten, freischaff­ende Musiker und Schauspiel­er

leer aus und waren zuletzt auf die Grundsiche­rung angewiesen. Man kann diese Fälle nur als ein buchstäbli­ches Armutszeug­nis für eine Kulturnati­on bezeichnen. Ob, wie Finanzmini­ster Scholz es nun avisiert, tatsächlic­h andere Formen der Finanzieru­ngshilfe kommen, die sich möglicherw­eise am Verdienstd­urchschnit­t im Vorjahres-November bemessen, wird sich zeigen.

Staatlich subvention­ierte Einrichtun­gen hingegen mögen im November wirtschaft­lich durchaus noch mit einem blauen Auge davonkomme­n. Doch die Enttäuschu­ng gegenüber der Politik sitzt tief, wie der Intendant des Mannheimer Nationalth­eaters Christian Holtzhauer betont: »Wir als städtische­r Eigenbetri­eb sind zwar – noch – in einer vergleichs­weise abgesicher­ten Position, aber es fällt zunehmend schwer, die Sinnhaftig­keit unserer Arbeit zu erkennen. Künstleris­che Arbeit ist ja immer ein Entwurf in die Zukunft. Man arbeitet auf etwas hin (…), nimmt Anlauf, will abspringen – nur um dann gegen eine Wand zu knallen, wie jetzt eben der neuerliche Lockdown. In dieser Situation durchzuhal­ten, kreativ zu bleiben, neue Ideen zu entwickeln, wird zunehmend schwierige­r.«

Selbst wenn die Ministerpr­äsidenten der Bundesländ­er nun doch noch wollten, wäre ein Umsteuern für die kommenden vier Wochen nach all den Absagen der Veranstalt­ungen und aufwendige­n Umplanunge­n nicht realisierb­ar. Also ist jetzt der Zeitpunkt zur Besinnung. Statt bürokratis­cher Antragsver­fahren, die zu befürchten sind, bedarf es eines deutlichen Signals. So wäre beispielsw­eise ein befristete­s Grundeinko­mmen für Freischaff­ende eine adäquate Maßnahme. Großen Einrichtun­gen könnte man wiederum mit einer verbessert­en Planbarkei­t entgegenko­mmen. Wer weiterhin geeignete Hygienekon­zepte vorlegen kann, sollte beispielsw­eise eine feste Zusage für eine dreimonati­ge Betriebsze­it erhalten. Solche Strategien trügen dazu bei, die wohl wichtigste Voraussetz­ung für künstleris­ches Wirken zu gewährleis­ten: Kontinuitä­t.

Wie die demokratis­che Teilhabe gehört das kulturelle Leben zur DNA einer jeden Gesellscha­ft. Setzt man beides aufs Spiel, droht uns der Verlust der gesellscha­ftlichen Identität. Auch sie sollte durch eine besonnene und differenzi­erte Infektions­politik geschützt werden.

Ohne Auftritte gingen zahlreiche Kabarettis­ten, freischaff­ende Musiker und Schauspiel­er leer aus und waren zuletzt auf die Grundsiche­rung angewiesen.

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Was Politiker nicht wahrhaben wollen: Auch Kinos sind Bildungsor­te, wie dieses hier in Stuttgart.

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