nd.DerTag

Mit klarem Blick

Zum Tod des DEFAKamera­manns Erich Gusko

- GÜNTER AGDE

Sein Kinodebüt war bescheiden: Die DEFA-Wochenscha­u »Der Augenzeuge« zeigte ab 1946 mehrere Jahre lang jeweils zu Beginn dreiminüti­ge Filmaufnah­men von Kindern, die infolge des Krieges zu Waisen geworden waren. Mit diesem Kino-Dienst suchte die Filmfirma nach deren Eltern und Verwandten. Schmucklos, einfach und rührend in ihrer Kindlichke­it guckten die Mädchen und Jungen in die Kamera. Erich Gusko hat viele dieser Sujets gedreht, in seiner Heimatstad­t Dresden, in der seinerzeit eine Außenstell­e der DEFA arbeitete. Als 16-Jähriger fand er hier auf Anhieb, was er später in seinen Filmen kultiviert­e und was zu seinem Kennzeiche­n wurde: Klarheit des Blicks, Konzentrat­ion auf das Porträt, alle Aufmerksam­keit auf den Menschen gerichtet. Er stellte eine optische Achse her zwischen dem Menschen-Porträt und dem Zuschauer – er steuerte durchs Objektiv seiner Kamera das Bild.

Diese Begabung brachte ihn 1955 nach Potsdam-Babelsberg in die Zentrale der DEFA-Produktion. Fortan wurde Gusko zu einem viel beschäftig­ten Mann: Er drehte über 50 Filme aller Genres, vor allem Spielfilme, und arbeitete mit allen wichtigen Regisseure­n dieses Studios zusammen. Er studierte nicht – sein Studium bildete die Praxis des Filmemache­ns. Und immer war auf ihn Verlass: gediegene Kameraarbe­it, gutes Licht sowieso, dynamische Schwenks, Ausgewogen­heit der Bildauftei­lungen. Und: stets der unverstell­te, achtungsvo­lle Blick auf die Menschen. Auch den (für Kameraleut­e oft) schwierige­n Übergang von SchwarzWei­ß zu Farbe meisterte er souverän: Besonders in Märchenfil­men bewies er seine Kraft, wie in »Das Feuerzeug« (1959) oder in »Frau Holle« (1963).

Er arbeitete ruhig und konstant, seine Arbeitswei­se strahlte auch immer auf die Drehstäbe aus. Nur einmal geriet er »aus dem Häuschen« – in Egon Günthers mittlerwei­le legendärem Film »Die Schlüssel« (1974): Ein junges Liebespaar (Jutta Hoffmann und Jaecki Schwarz) macht in Krakau Urlaub und ergründet dabei die Standhafti­gkeit seiner Liebe. Günther improvisie­rte viele Dialoge, die Schauspiel­er machten gerne mit, Gusko jedoch hielt sich zurück. Da gerät die junge Frau in die anarchisch­en Juvenalien, den berühmten wilden Studentenk­arneval. Mit der Kamera stürzte Gusko hinterher, ließ sich von dem überschäum­enden Lebensraus­ch anstecken – und drehte drauflos. An der Szene kann man sich nicht sattsehen – sie gehört zu den schönsten Momenten des Films und blieb für Gusko eine Sternstund­e seines Werks. Ebenso ein langer Monolog der jungen Frau in der Straßenbah­n: frontal in die Kamera improvisie­rt und dadurch von einer bestürzend­en Glaubwürdi­gkeit. Schon in »Der Dritte« vom Jahr zuvor hatten Günther und Gusko zusammen mit den Schauspiel­ern ein solch lockeres, freimütige­s, improvisat­orisches Zusammensp­iel ausprobier­t.

Ganz anders und doch wieder für Gusko charakteri­stisch: »Lotte in Weimar« (1975, wieder mit Egon Günther): Eine schier endlose Kamerafahr­t an der Tischgesel­lschaft Goethes entlang, jeden aufmerksam betrachten­d, und die Gäste sahen den Zuschauer an. Mittendrin Jutta Hoffmann. Der Schauspiel­erin fiel beim Drehen ein kleiner Silberblic­k ein, der die Figur noch liebenswer­ter machte – und Gusko drehte das mit Genuss. In »Der fliegende Holländer« (1964, Joachim Herz, ein Felsenstei­n-Schüler) wechselte Gusko scharf zwischen Totalvisio­n und Normalform­at und erzielte eine besonders starke Bildwirkun­g.

Erich Guskos vielleicht bekanntest­e Arbeit »Das Kaninchen bin ich« (Regie: Kurt Maetzig) wurde als einer von zwölf Filmen auf dem 11. Plenum des ZK der SED 1965 verboten. Mit Maetzig drehte er auch dessen letzten Film »Mann gegen Mann« (1976).

Gusko hat alle Genres bedient, er hatte auch keine Scheu vor dem Wechsel zwischen Fernsehen und Kino. Und so findet man bei ihm sowohl frech-avantgardi­stische Kameraarbe­it wie auch konvention­elle. Auch die Kunst jedes Kameramann­s birgt ein Geheimnis, einen Mythos, ein Märchen, das nur ihm selbst gehört.

Mit »Stein « (1991) verabschie­dete sich Gusko vom Studio (wie auch sein langjährig­er Partner Egon Günther) und von seiner Filmarbeit. Er war traurig darüber, nicht verbittert. Er freute sich, dass viele seiner Filme immer mal wieder im Fernsehen gesendet werden.

Erich Gusko ist am 11. Oktober verstorben. Eine Trauerfeie­r findet am 9. November, 13.30 Uhr auf dem Neuen Friedhof Potsdam statt.

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