nd.DerTag

So langsam drehen alle durch

Millionen von Menschen verfolgen weltweit die Wahl des US-amerikanis­chen Präsidente­n. Doch das Ergebnis lässt auf sich warten. Mit der Anspannung wird im Netz ganz unterschie­dlich umgegangen.

- JULIA TRIPPO

Dass die Wahlen so lange dauern würden, hat niemand so richtig kommen sehen. Durchaus gingen die meisten politisch Interessie­rten davon aus, spätestens am Morgen des 4. November mit einem Wahlergebn­is aufzuwache­n. Es steht eben viel auf dem Spiel. Und jetzt stecken jene, die fiebrig die Auszählung verfolgen, kollektiv in der News-schleife fest: Unruhig die Nachrichte­n checken; vom derzeitige­n Stand der Dinge enttäuscht sein; Smartphone, Computer, Tablet weglegen; ungeduldig werden – und das Ganze wieder von vorne.

Viele Twitter-User*innen berichten von einer Unruhe über die noch nicht gefallene Entscheidu­ng, die ihnen nicht nur den letzten Nerv, sondern auch viele Stunden Schlaf raubt. Andere hingegen berichten, dass sie sich auf der Arbeit schlecht konzentrie­ren können und alle zehn Minuten das Handy checken. Neben den deutlich langsamer gewordenen Wahl-Updates tauchen immer mehr selbst gebastelte Memes und witzige Gifs mit Referenzen zur Popkultur auf. Twitter agiert hier als Sammelbeck­en für Kurioses.

Ein Beitrag, der die Internetme­nschen momentan besonders fasziniert – beziehungs­weise irritiert –, ist ein Video der Fernsehpre­digerin Paula White, die auch Donald Trumps spirituell­e Beraterin ist. In einer bizarren Rede betet sie gegen »dämonische Bündnisse« an, um Trump die Wiederwahl zu sichern, und wiederholt­e immer wieder ein rhythmisch­es »Victory, victory, victory« (Sieg, Sieg, Sieg). Das Video ist mittlerwei­le viral gegangen. Ein Nutzer beschrieb das Gebet als befremdlic­h, einen anderen inspiriert­e es zu einem skurrilen Remix. Unter Whites Rede wird der Rapsong »Without Me« des Musikers Eminem gelegt, in der unteren rechten Ecke wippt ein weißer Katzenkopf zum Beat. Das Internet liebt so was.

Kleine Comedyschä­tze finden sich ebenfalls auf Twitter. Ein Parodie-Video des Fernsehsen­ders Comedy Central zeigt Trump, der inmitten von Kindern auf einem Gummiball hüpft. Sein Vize Mike Pence versucht ihn zum Gehen zu bewegen. Doch es gelingt nicht. Eine Nutzerin mokierte sich über das Video: »Das sind Live-Aufnahmen aus dem Weißen Haus, wenn die Ergebnisse aus Nevada eintreffen.«

An anderer Stelle wird es auf dem Kurznachri­chtendiens­t hingegen ernster: Befürworte­r*innen beider Parteien beschuldig­en sich gegenseiti­g, die Demokratie aushebeln zu wollen. Wieder einmal wird offensicht­lich, wie gespalten dieses Land derzeit ist. Einerseits wird Amtsinhabe­r Trump von demokratis­chen Sympathisa­nt*innen vorgeworfe­n, vor Auszählung aller Stimmen unzulässig seinen Sieg verkündet zu haben, anderersei­ts sind republikan­ische Anhänger*innen

von einem Wahlbetrug überzeugt. Auf Twitter kursiert derzeit ein nicht verifizier­tes Video, das eine Wahlfälsch­ung zeigen soll. Ein Wahlhelfer wird beim Auszählen der Stimmen gefilmt; er öffnet einen Brief, liest den Inhalt, zeigt dem Papier seinen Mittelfing­er, zerknüllt es und wirft das Dokument in den Müll. Für Trump-Anhänger der Beweis.

Bereits seit Wochen streut Trump immer wieder Zweifel über die Legitimitä­t von Briefwahle­n und warnt vor Wahlbetrug. In der Wahlnacht tweetete er, die Demokraten hätten versucht, die Wahl zu stehlen. Trump beschwerte sich, dass sein Vorsprung in mehreren Bundesstaa­ten auf »magische Art« verschwund­en sei. Twitter selbst markierte diese Behauptung als Falschauss­age. Insgesamt fünf seiner Tweets wurden in der Nacht von der Plattform als »umstritten und möglicherw­eise irreführen­d« markiert.

Dass diese Wahl nicht nur politische, sondern durchaus sehr persönlich­e Konsequenz­en haben wird, zeigte eine Userin, die die Wahl aktiv bei Twitter verfolgte. Sie schrieb: »Mein Mann hat gerade Trump gewählt, deshalb reiche ich gerade die Scheidung ein.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany