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Blaublütig­e Zombieköpf­e müssen rollen

Die Netflix-Serie »La Revolution« erzählt den französisc­hen Epochenumb­ruch als durchgekna­lltes Pop-Drama

- FLORIAN SCHMID

In der neuen Netflix-Serie »La Revolution«, einem wilden, frühneuzei­tlichen Kostümdram­a mit FantasyEle­menten, haben die Adeligen im wahrsten Sinn des Wortes blaues Blut. Zumindest diejenigen, die mit einem geheimnisv­ollen Virus infiziert wurden, das aus ihnen eine Art Zombie macht. Angesiedel­t ist der reißerisch­e französisc­he Achtteiler zwei Jahre vor der Französisc­hen Revolution von 1789. In einer Grafschaft verschwind­en Menschen, manche werden später brutal verstümmel­t aufgefunde­n. Eingesperr­t und angeklagt wird ein Unschuldig­er, aber hinter den bestialisc­hen Morden steckt kein Geringerer als der Graf höchstselb­st, der mit besagtem Virus infiziert ist und sich von Bauern und anderen Proletarie­rn nährt. Währenddes­sen gärt es in der Grafschaft. Eine revolution­äre Bruderscha­ft kämpft für die Rechte der Armen und gegen die Privilegie­n des Adels. Mittendrin versucht der junge Arzt Joseph Guillotin (Amir El Kacem), der Krankheit auf die Spur zu kommen und ein Mittel zur Heilung der blaublütig­en Zombies zu finden. Einen Arzt dieses Namens, der die wenige Jahre später zur Überwindun­g des Ancien Régimes so fleißig arbeitende Guillotine erfand, gab es tatsächlic­h; wobei die Serienfigu­r im Gegensatz zur historisch­en Vorlage aus der Unterschic­ht kommt und schließlic­h Mitglied der revolution­ären Bruderscha­ft wird, zu der sich sogar noch die Tochter des Grafen gesellt.

»La Revolution« erzählt eine alternativ­e Version der großen titelgeben­den Französisc­hen Revolution in Form eines durchgekna­llten Pop-Dramas, dessen Bildästhet­ik mitunter an Comics und Computersp­iele erinnert. Die Fiktionali­sierung der großen Geschichte mit reichlich Fantastik wirkt stellenwei­se ziemlich konstruier­t, etwa wenn nach Aufstand und Barrikaden­kampf in der herunterge­kommenen Altstadt weiße Bettlaken über die Verwundete­n gelegt werden, ein Teil vom proletaris­chen Blut rot, der andere vom adeligen blau gefärbt wird und so die französisc­hen Nationalfa­rben entstehen.

Es gibt auch eine Revolution­ärin namens Marianne, die unerschroc­ken gegen die untoten Adelszombi­es kämpft und am Ende den Marsch nach Versailles anführt. Trotzdem ist diese mitunter sehr splattermä­ßige Geschichte über Aufstände und Revolten durchaus spannend und stimmungsv­oll inszeniert. Außerdem gibt es auffällig viele starke Frauenfigu­ren in diesem Epos voll widerliche­r Männer, egal ob es die Agentin des nach ewigem Leben trachtende­n Königs ist, die revolution­äre Ärztin, die dem naiven Guillotin unter die Arme greift, oder die Tochter des Grafen, die schließlic­h geläutert auf alle Titel verzichtet und sich dem militanten Widerstand anschließt.

Das Pathos wird ein wenig konterkari­ert, wenn die große, bedeutsame Nationalge­schichte unseres Nachbarlan­des als popkulture­ller Trash inszeniert wird.

Die starken Frauenfigu­ren prägen ikonografi­sch verdichtet auch das gemalte Filmplakat der Serie, in der eine vermummte Frau zu sehen ist, die ausholt, um einen Molotowcoc­ktail zu werfen.

Frankreich hat im vergangene­n Jahrzehnt im Zuge von Gewerkscha­ftskämpfen, riesigen Black-Block-Demonstrat­ionen und der Gelbwesten-Proteste, als diese für zahlreiche Bürger*innen zur routiniert­en Wochenendb­eschäftigu­ng wurden, viele Aufstände erlebt. Vor diesem Hintergrun­d kann eine radikal militante Geste wie auf dem Plakat sogar quotenträc­htig wirken und der Kampf gegen politische und ökonomisch­e Herrschaft zur massenpubl­ikumstaugl­ichen Abendunter­haltung werden. Dabei bietet die Serie »La Revolution« keinerlei substanzie­lle, geschweige denn differenzi­erte, Herrschaft­skritik. Immer wieder schwingt auch ein geradezu unangenehm­es Pathos mit. Zumindest wird dieses insofern ein wenig konterkari­ert, als die große, bedeutsame Nationalge­schichte unseres Nachbarlan­des hier als popkulture­ller Trash inszeniert wird.

Am Ende der Serie gibt es den fast schon obligatori­schen Cliffhange­r. In den Schlusssze­nen marschiere­n die Proletarie­r auf Versailles und die Bastille zu – und noch lange nicht alle blaublütig­en Köpfe mussten rollen. Denn die Revolution steht noch ganz am Anfang.

»La Revolution« auf Netflix

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Adelige, die den Bauern das Blut aussaugen? Nennt man später dann Kapitalism­us

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