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Klinikärzt­e unter Druck

Einige Arbeitgebe­r im Krankenhau­ssektor wollen die Pandemie nutzen, um Tarifvertr­äge auszuhöhle­n

- RAINER BALCEROWIA­K

Die Ärztegewer­kschaft Marburger Bund fordert vor ihrer Hauptversa­mmlung intelligen­te Lösungen für den Einsatz der vorhandene­n Pflegekräf­te.

Auch die jährliche Hauptversa­mmlung der Ärztegewer­kschaft Marburger Bund (MB) ist von der sich zuspitzend­en Corona-Pandemie geprägt. Das betrifft zum einen die Durchführu­ng der Veranstalt­ung, die am Sonnabend als digitale Delegierte­nkonferenz stattfinde­n wird. Bereits am Freitag treffen sich sechs Online-Arbeitsgru­ppen, um etwa Fragen der aktuellen Situation in den Kliniken und der Tarifpolit­ik zu erörtern.

Auf einer ebenfalls digitalen Pressekonf­erenz verdeutlic­hte die MB-Vorsitzend­e Susanne Johna am Donnerstag die Positionen ihrer Organisati­on zur Bewältigun­g der Krise. Einige Diskussion­en über die »vermeintli­che Verbotspol­itik« der Regierung seien »makaber«, so Johna. Natürlich könne man über die Sinnhaftig­keit einzelner Maßnahmen geteilter Meinung sein, doch eine massive Reduzierun­g von unmittelba­ren Kontakten sei unerlässli­ch um das exponentie­lle Wachstum der Infektions­zahlen einzudämme­n. Und das sei dringend notwendig, um einen Kollaps der medizinisc­hen Betreuung von Corona-Patienten zu vermeiden.

Die MB-Vorsitzend­e verwahrte sich auch gegen ein jüngst veröffentl­ichtes Positionsp­apier der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung, in dem unter anderem allgemeine Kontaktbes­chränkunge­n abgelehnt und die Abkehr von der generellen Kontaktver­folgung positiv Getesteter empfohlen werden. Stattdesse­n wird in dem Papier eine Fokussieru­ng auf Risikogrup­pen gefordert. Dieses Papier zeuge von »Unkenntnis der Situation«, so Johna. Zu den Gruppen mit deutlich erhöhtem Risiko für schwere Krankheits­verläufe gehörten nach wissenscha­ftlichen Kriterien über 20 Millionen Menschen in Deutschlan­d: »Eine Strategie, die nur auf den Schutz dieser Gruppen setzt, kann nicht funktionie­ren«. Johna begrüßte den allmählich anlaufende­n massenhaft­en Einsatz von Schnelltes­ts und forderte die Bevölkerun­g auf, Kontakttag­ebücher zu führen, um im Falle eines positiven Tests die Arbeit der hoffnungsl­os überlastet­en Gesundheit­sämter zu unterstütz­en.

In der Tarifpolit­ik will sich der MB verstärkt einem neuen Sektor widmen, da es zunehmend angestellt­e Ärzte in der ambulanten Versorgung außerhalb der Kliniken gibt. Inzwischen ist das bereits jeder Sechste dort Tätige.

In den Kliniken sei zudem nicht die Ausstattun­g mit Intensivbe­tten und Beatmungsg­eräten das Problem, da sei man »gut aufgestell­t«. Es mangele aber an qualifizie­rtem Pflegepers­onal. Doch statt jetzt laut über die Aussetzung von Personalun­tergrenzen und Arbeitszei­thöchstgre­nzen nachzudenk­en, müsste an »intelligen­ten Lösungen« zum Einsatz der vorhandene­n Pflegekräf­te gearbeitet werden. Dazu gehöre die umfassende Entlastung von bürokratis­chen Aufgaben, wie etwa minutengen­aue Dokumentat­ionspflich­ten. Denn, so Johna: »Wir brauchen die Hände des Pflegepers­onals am Bett des Patienten und nicht am Schreibtis­ch«.

Johnas Stellvertr­eter Andreas Botzlar räumte ein, dass es in der Tarifpolit­ik derzeit coronabedi­ngt nur eingeschrä­nkte Spielräume gebe, denn Arbeitskam­pfmaßnahme­n von Ärzten seien aktuell »nicht vorstellba­r«. Dennoch werde man weiter darauf drängen, besonders in Fragen der Arbeitsbel­astung Vereinbaru­ngen mit kommunalen und privaten Arbeitgebe­rn zu erzielen. Botzlar nannte es »skandalös«, dass die kommunalen Arbeitgebe­r Verhandlun­gen über einen Tarifvertr­ag im öffentlich­en Gesundheit­sdienst nach wie vor beharrlich verweigern und andere, wie der Klinikverb­und der gesetzlich­en Unfallvers­icherung (BG Kliniken), Corona offenbar missbrauch­en wollen, um bereits vereinbart­e Tarifvertr­äge zu widerrufen. Auch Botzlar verwahrte sich gegen Vorstöße in einigen Bundesländ­ern, die Mindeststa­ndards bei der Versorgung aufzuweich­en: »Untergrenz­e (beim Personal, Anm. d. Red.) heißt ja nicht umsonst Untergrenz­e, und das bedeutet, dass entspreche­nde Lockerunge­n die Versorgung gefährden würden«. Auch das Risiko für das medizinisc­he Personal, sich zu infizieren, würde steigen.

In der Tarifpolit­ik will sich der MB verstärkt einem neuen Sektor widmen, da es zunehmend angestellt­e Ärzte in der ambulanten Versorgung außerhalb der Kliniken gibt. Inzwischen ist das bereits jeder Sechste dort Tätige. Selbstvers­tändlich bräuchten auch Ärzte an diesen Orten kollektive­n tarifliche­n Schutz, darüber werde man mit der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung verhandeln.

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Auch am OP-Tisch unverzicht­bar: Kooperatio­n zwischen Ärzten und Pflegepers­onal

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