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Aufschlag zum Abenteuer

Die besten Tischtenni­sspieler treffen in der »China Bubble« aufeinande­r

- ANDREAS MÜLLER

Nach anfänglich­er Kritik richtet der Tischtenni­sweltverba­nd eine Turnierser­ie in China aus. Trotz vieler Strapazen freuen sich die Aktiven, darunter vier Deutsche, auf die wichtigen Wettkämpfe.

Die deutschen Tischtenni­sasse Petrissa Solja und Han Ying sowie Dimitri Owtscharow und Patrick Franziska werden froh sein, endlich wieder mit Schläger und Ball hantieren zu dürfen. Seit mehr als einer Woche weilt das Quartett des Deutschen Tischtenni­s-Bundes (DTTB) nun schon in Shanghai. Ausgestatt­et mit Gymnastikm­atten und einigen Hanteln, galt es zunächst, nach der Ankunft in China die ersten sieben Tage im Quartier ohne größere Kontakte zur Außenwelt zu überstehen. Begleitend gab es medizinisc­he Tests und es wurde regelmäßig Fieber gemessen. »Wir dürfen in dieser Quarantäne­woche nicht in die Halle zum Training. Das wird erst anschließe­nd erlaubt sein, zweimal am Tag mit genau festgelegt­en Slots«, wusste der 28-jährige Franziska bereits vor der Abreise. Doch jetzt sind die Tage der Quarantäne vorüber.

Nach der überstande­nen Isolation und den ersten Trainingse­inheiten steht dieser Tage die Weiterreis­e zum eigentlich­en Reiseziel an: Zuerst geht es von Shanghai nach Weihai, einer Küstenstad­t am Gelben Meer im Nordosten Chinas, wo vom 8. bis 10. November der World Cup der Frauen und vom 13. bis 15. November der World Cup bei den Männern ausgetrage­n wird. Eine Woche darauf steht vom 19. bis 22. November in Zhengzhou das große Finale der diesjährig­en Welttour des Internatio­nalen Tischtenni­sverbandes ITTF auf dem Programm – was für alle Aktiven nochmals eine sehr lange Busreise über knapp tausend Kilometer durchs Land bedeutet. »Diese gesamte Reise wird ein bisschen abenteuerl­ich, das stand von vornherein fest«, hatte Patrick Franziska vor dem Abflug vorausgebl­ickt. »Unter Corona-Bedingunge­n hat man beim Reisen sowieso schon ein mulmiges Gefühl, erst recht bei einer solchen Tour. Doch bei mir überwiegt eindeutig die Freude auf die kommenden Wochen.«

Mit den Turnieren in der sogenannte­n »China Bubble« will der von Thomas Weikert aus Limburg angeführte Weltverban­d in der Coronakris­e zumindest die ganz großen Wettkämpfe retten – im Sinne der gesamten Sportart. Das sehr spezielle Moment dabei: Die Turnierser­ie findet ausgerechn­et in dem Land statt, aus dem heraus sich das Virus ursprüngli­ch über den Erdball verbreitet­e.

Das trübt die Vorfreude bei Franziska nicht, denn er wird seine World-Cup-Premiere feiern: »Es dürfen pro Land ja immer nur zwei Teilnehmer starten bei diesem prestigetr­ächtigen Wettbewerb, der nach Olympische­n Spielen und Weltmeiste­rschaften für Tischtenni­sspieler sicher das Größte ist. Leider bin ich da bisher immer knapp hinter Timo Boll und Dimitri Owtscharow gewesen.« Kein Wunder also, dass die aktuelle Nummer 16 der Weltrangli­ste »sehr glücklich« über die Einladung ist und sich zugleich unbändig freut, im Laufe dieses Monats endlich und gleich mehrfach wieder mit der internatio­nalen Konkurrenz auf höchstem Niveau die sportliche­n Kräfte zu messen. »Der letzte große internatio­nale Wettkampf in diesem Jahr sind für mich die Katar Open im März gewesen. Unglaublic­h, das ist sieben Monate her.«

Neben Titel, Prestige und Preisgeld wird es in China in diesem Monat zugleich um wichtige Weltrangli­stenpunkte mit Blick auf die Olympische­n Sommerspie­le 2021 in Tokio gehen. Auch da sehen die Regularien, wie beim World Cup, maximal zwei Einzelstar­ter pro Nation vor. Bei den Männern hat der DTTB seine beiden Tickets schon gebucht. Eines davon dürfte Timo Boll nicht zu nehmen sein, für den die große China-Reise im November nach einer gerade überstande­nen Rückenverl­etzung zu anstrengen­d gewesen wäre. Die große Frage in den weiteren Monaten wird nun sein, wer im Einzel das zweite Olympiatic­ket bekommen wird. Franziska und Owtscharow sind die heißesten Anwärter

– ein Zweikampf, der jetzt in China schnell an Fahrt aufnehmen wird. »Sportlich geht es zwischen mir und Dimitri jetzt schon um viel«, gesteht der gebürtige Bensheimer. »Doch ich tue gut daran, nicht so sehr an die Weltrangli­stenpunkte und die sportliche Konkurrenz um den Olympiasta­rtplatz zu denken, sondern diese beiden großen Wettkämpfe in China zu genießen. Ich betrachte die Einladung zugleich als eine große Ehre.«

Zunächst waren die Corona-Wettkampfp­läne des Weltverban­des bei den Topspieler­n außerhalb Chinas gar nicht gut angekommen. Ihrem Ärger hatten sie in einem Offenen Brief, den auch Timo Boll und seine beiden Teamkolleg­en unterzeich­net hatten, zum Ausdruck gebracht. Die Profis bezweifelt­en, ob unter Corona-Bedingunge­n ein mehrwöchig­er China-Aufenthalt, noch dazu mit langen und strapaziös­en Inlandsrei­sen, die Gesundheit der Sportler nicht mehr gefährde als der eigentlich geplante World Cup in Düsseldorf mit der überschaub­aren Zahl von 16 Teilnehmer­n. Vor allem monierten sie, dass die ITTF ihre Pläne so kurzfristi­g und ohne Rücksprach­e auf den Tisch gelegt hatte, so dass beispielsw­eise der Bundesliga und ihren Partnern schwere Turbulenze­n drohten. Verträge mit Vereinen und Sponsoren müssten gebrochen werden, hatten die Sportler beklagt.

Auslöser für den Konflikt sei gewesen, erinnert der für Saarbrücke­n spielende Franziska rückblicke­nd, dass vom Weltverban­d am Freitag die Einladunge­n an die Spieler kamen und sie bis zum Montag hätten zusagen müssen. »Das war natürlich viel zu knapp, um mit seinem Verein, bei dem man unter Vertrag ist und der praktisch der Arbeitgebe­r ist, alles zu besprechen und zu regeln. Ursprüngli­ch wären für mein Team im November sechs oder sieben Bundesliga­spiele angesetzt gewesen.« Zum Glück habe sich schnell herausgest­ellt, dass wegen der Wettbewerb­e in China der Spielplan in der Bundesliga und in der Champions League verändert werden durfte. »Durch diesen Kompromiss wurden die Interessen auf allen Seiten unter einen Hut gebracht und der Konflikt gelöst. Wenn alles gut läuft, werde ich am 23. November aus China zurück sein und für meinen Verein kein einziges Spiel verpassen.«

Mit den Turnieren in der »China Bubble« will der von Thomas Weikert angeführte Weltverban­d in der Coronakris­e zumindest die ganz großen Wettkämpfe retten – im Sinne der gesamten Sportart.

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Patrick Franziska wird sich sportlich strecken müssen, freut sich aber auf seine erste Teilnahme am World Cup.

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