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Michael Bonvalot Wien: Wie man aus Terror Kapital schlägt

Rechte Parteien wollen den Anschlag in Wien für ihre Propaganda nutzen.

- Von Michael Bonvalot

Überall brennen Kerzen. Wenige Tage nach dem Terroransc­hlag in Wien ist die Straße vor der Hauptsynag­oge in ein Meer aus Licht getaucht. Es ist eine kleine, steil ansteigend­e Gasse in einem der ältesten Teile der Innenstadt. Die Gegend ist ein beliebtes Ausgehvier­tel. Doch jetzt ist es still hier, Menschen gehen herum, trauern.

Nach dem Anschlag hat in Österreich nun die Debatte über Hintergrün­de und Verantwort­liche begonnen. Im Rampenlich­t steht vor allem das mutmaßlich­e Versagen des Inlandsgeh­eimdienste­s, des Bundesamts für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT). Slowakisch­e Behörden hatten Österreich bereits im Juli informiert, dass der spätere Attentäter K. F. versucht hatte, in der Slowakei Munition für ein Kalaschnik­ow-Gewehr zu kaufen. Doch die Informatio­n blieb im BVT hängen und wurde weder an die Staatsanwa­ltschaft noch an die Deradikali­sierungsst­elle Derad weitergege­ben, wo K. F. in Betreuung war. Der Dschihadis­t war bereits 2019 verurteilt worden, weil er versucht hatte, nach Syrien zu gelangen. Im Dezember 2019 wurde er dann mit der Auflage zur Teilnahme am Derad-Programm vorzeitig aus der Haft entlassen.

Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) verweist in diesen Tagen gerne auf seinen FPÖAmtsvor­gänger Herbert Kickl. Der FPÖ-Ideologe

saß in der schwarz-blauen Regierung zwischen Dezember 2017 und Mai 2019 auf diesem Posten. Doch das aktuelle Versagen fällt bereits in die Amtszeit Nehammers, und seine ÖVP kontrollie­rt das BVT, mit Ausnahme der kurzen Unterbrech­ung durch Kickl, bereits seit dem Jahr 2000. Auch unter der aktuellen schwarz-grünen Regierung beherrscht die ÖVP das Innenminis­terium.

Härtere Strafen, strengere Gesetze

Gleichzeit­ig versucht die Rechte, Kapital aus der Attacke zu schlagen. Da der spätere Attentäter vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, werden nun derartige Haftentlas­sungen in Frage gestellt. Nicht erwähnt wird dabei allerdings, dass K. F. bereits seit Juli in Freiheit ist. Und vorzeitige Haftentlas­sung zusammen mit Bewährungs­hilfe in der Regel die Rückfallqu­ote eindeutig senkt.

Boulevardm­edien berichten, dass die ÖVP nun die »Sicherungs­haft« für sogenannte »Gefährder« auf die Agenda setzen möchte, also Gefängnis ohne konkrete Delikte. Der Punkt ist bereits im Regierungs­programm von ÖVP und Grünen verankert, wobei Grünen-Chef Werner Kogler bei der Vorstellun­g betonte, dass eine solche Haft »verfassung­skonform« sein müsse. Das allerdings ist eine wohl kaum mögliche Quadratur des Kreises. Auch die vermehrte Aberkennun­g von

Staatsbürg­erschaften wird nun verlangt. Das wollen nicht nur die Parteien der Rechten, sondern etwa auch Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ). Allerdings wurde der Attentäter K. F. in Österreich geboren und wuchs im Großraum Wien auf. Und falls es keine Doppelstaa­tsbürgersc­haften gibt, wäre eine Aberkennun­g nur mittels ethnischem Ahnenpass möglich.

Boulevardm­edien schießen sich einstweile­n darauf ein, dass K. F. seit Juli Sozialhilf­e bezogen hatte. Hier lief allerdings offenbar alles rechtlich völlig konform ab, der österreich­ische Staatsbürg­er hatte einen legitimen Rechtsansp­ruch.

Bei einer Sondersitz­ung des Nationalra­ts am Donnerstag nahm Ex-FPÖ-Innenminis­ter Kickl ebenfalls die Sozialhilf­eleistunge­n für K. F. aufs Korn. Der FPÖ-Abgeordnet­e Reinhard Bösch machte in erwartbare­r FPÖ-Rhetorik »die unkontroll­ierte Zuwanderun­gspolitik« für das Attentat verantwort­lich.

Am Donnerstag­abend versuchte dann die neofaschis­tische »Identitäre Bewegung« einen Aufmarsch in der Wiener Innenstadt. Doch kaum 230 Rechte folgten dem Aufruf, ihre Parolen wurden am zentralen Stephanspl­atz von lautstarke­n antifaschi­stischen Sprechchör­en übertönt. Auch die geplante Route wurde von linken Aktivist*innen mit Blockaden verhindert. Schließlic­h marschiert­en die Rechten weniger als 200 Meter durch eine menschenle­ere Seitengass­e, danach mussten sie ihre Demonstrat­ion wegen weiterer Blockaden endgültig abbrechen.

Linke Initiative­n organisier­ten bereits am Mittwoch kurzfristi­g einen Schweigema­rsch mit über 700 Teilnehmer*innen zum Ort des Terroransc­hlags. Die Spitze des Zuges bildeten Aktivist*Innen aus linken türkischen und kurdischen Organisati­onen. Von mehreren Redner*innen wurden die Übereinsti­mmungen zwischen Faschismus und Dschihadis­mus betont. Dschihadis­tischer Terrorismu­s, Antisemiti­smus, Rassismus und Faschismus, so Selma Schacht, eine der Organisato­r*innen des Schweigema­rschs, seien gleicherma­ßen »Verfallser­scheinunge­n eines Kapitalism­us in permanente­r Krise«. Für kommenden Montag ist eine Großdemons­tration linker Organisati­onen angekündig­t.

Auch an der Trauerstät­te in der Wiener Seitenstet­tengasse finden sich immer wieder antifaschi­stische Bezüge. »Keinen Fußbreit den Faschisten« steht auf einem Zettel, der inmitten der Kerzen liegt. Kolleg*innen einer ermordeten Frau schreiben auf einer Tafel, dass sie eine Friedenske­rze für die Hoffnung und die Solidaritä­t anzünden. Nur wenige Meter weiter hängt ein Kranz vom »Bündnis antifaschi­stische Solidaritä­t«. Davor steht eine kleine rote Fahne. Die drei Pfeile darauf stehen für den Kampf gegen Faschismus, Kapitalism­us und reaktionär­e Politik.

Der Abgeordnet­e Reinhard Bösch macht in erwartbare­r FPÖ-Rhetorik die »unkontroll­ierte Zuwanderun­gspolitik« für das Attentat verantwort­lich.

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Foto: Michael Bonvalot Trauernde gedenken der Opfer des Anschlags in der Wiener Seitenstet­tengasse.

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