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Yga Kostrzewa sieht in Polen einen Rückschlag für LGBT-Rechte

Yga Kostrzewa ist seit über 20 Jahren in der queeren Community in Polen aktiv. Plötzlich muss sie wieder erklären, dass Homosexual­ität ganz normal ist

- Interview: Lisa Kuner

Sie setzen sich seit mehr als 20 Jahren für die Rechte der LGBT-Community in Polen ein. Auch wenn heute vieles eher schlecht aussieht, was sind die Erfolge? Über Erfolge zu sprechen ist zurzeit nicht einfach. Aber zum Beispiel in der Sprache gibt es Fortschrit­te. Anfang der 90er gab es nur schwul und lesbisch, manchmal vielleicht noch bi. Heute sprechen wir von LGBT, LGBTQ oder LGBTQA, und wir unterstrei­chen, dass es um LGBT+-Menschen geht.1 Das ist sehr wichtig, weil Sprache eine ganze Welt kreiert. Auch unsere Organisati­on Lambda hat sich verändert, ist inklusiver geworden. Anfangs waren wir nur eine Schwulenor­ganisation, jetzt sind wir eine LGBT+-Organisati­on, schauen auf Mehrfachdi­skriminier­ungen mit einem intersekti­onalen Ansatz. Das sieht man auch an unseren Angeboten: Es gibt zum Beispiel Selbsthilf­egruppen für bisexuelle, für trans oder für ältere Menschen.

Zu kommunisti­schen Zeiten war es wahrschein­lich schwierig, eine queere Person in Polen zu sein. Können Sie dazu etwas sagen?

Ja, aber nicht aus eigener Erfahrung. Ich bin 1973 geboren, ich habe den Kommunismu­s also nur in meiner Kindheit erlebt. In dieser Zeit waren die Menschen eher versteckt homosexuel­l: Wir wissen heute nur von einer Handvoll Menschen, die sich offen geoutet haben. Die Leute wurden zwar ausgegrenz­t, aber es gab nicht diesen Hass.

Also war die Situation damals besser als jetzt?

Ja und nein. Wir haben heute noch immer keine Rechte – keine Ehe für alle, keine eingetrage­nen Lebensgeme­inschaften, nichts. Wenn meine Partnerin stirbt oder ins Krankenhau­s muss, darf ich sie unter Umständen nicht besuchen und nicht mitentsche­iden, wie oder wo sie beerdigt wird. In mehr als 400 Sachverhal­ten werden wir gegenüber verheirate­ten heterosexu­ellen Paaren diskrimini­ert. Außerdem gibt es einen riesigen Hass gegen uns von der Kirche und der Regierung. Die Gewalt nimmt auch zu. Aber gleichzeit­ig werden gerade junge Menschen immer offener gegenüber queeren Menschen, und wir sind viel sichtbarer.

Haben Sie selbst mal Gewalt erfahren? Nicht direkt und noch nie körperlich, aber vor Kurzem wurde ich zum ersten Mal auf der Straße grundlos homophob beleidigt. Das ist auf jeden Fall das Ergebnis des aktuellen populistis­chen Hassdiskur­ses.

Es gibt Statistike­n, nach denen drei Viertel der queeren Personen in Polen sich nicht geoutet haben. Wie lief das bei Ihnen?

Mir war immer klar, dass ich mich als Person nicht verstecken will. Darum habe ich von Anfang an Freund*innen gesucht, bei denen ich offen sein konnte, und ihnen dann auch erzählt, was Sache ist. Meine Familie hat aber Jahre gebraucht, um zu akzeptiere­n, dass ich lesbisch bin. Ich glaube, heute stehen junge Menschen noch immer vor denselben Problemen, aber zumindest wissen mehr Leute, dass es uns gibt.

Wie erleben Sie es denn persönlich, als lesbische Person in Polen zu leben?

Ich habe selbst keine großen Probleme. Meine Eltern haben mich irgendwann akzeptiert, ich lebe seit 25 Jahren mit meiner Partnerin zusammen. Mit ihrer Familie gibt es etwas mehr Probleme; mit ihrem Bruder zum Beispiel haben wir seit mehr als fünf Jahren keinen Kontakt mehr. Außerdem hat meine Freundin früher als Psychologi­n in einer Schule gearbeitet, da wurde sie gefeuert, weil sie offen lesbisch war. Aber das ist schon fast 20 Jahre her, wir sind darüber hinweggeko­mmen. Heute haben wir ein gutes Leben – aber auch, weil wir in einer großen Stadt leben, unabhängig sind und gute Freunde haben.

Was heißt das?

Queere, trans und nichtbinär­e Menschen2 auf dem Land, vor allem in den »LGBT-freien Zonen« (Anm.: Knapp 100 Städte und Regierungs­bezirke in Polen haben sich öffentlich als »frei von der ›LGBT-Ideologie‹« erklärt), erleben mehr Diskrimini­erung. Fast jeden Tag gibt es gewalttäti­ge Übergriffe.

Wie hat sich die Situation für die LGBT+Community verändert?

Seit dem letzten Wahlkampf erleben wir regelmäßig­e verbale Attacken von der PiS, der regierende­n Recht-und-Gerechtigk­eitsPartei, von der Kirche und von Präsident Andrzej Duda. Ein Bischof hat uns zum Beispiel als »Regenbogen­plage« bezeichnet. Und das war keine Ausnahme, solche Dinge hören wir jetzt jede Woche. Nach einem Report der LGBT-Organisati­on ILGA ist die Situation in Polen für die queere Community am schlimmste­n in ganz Europa.

Sie haben Gender Studies studiert. Heute ist »Gender-Ideologie« einer der großen Kampfbegri­ffe in Polen. Wie wurde das damals angenommen in Ihrem Umfeld? Hat das für Aufregung gesorgt?

Das war 2006, davor hatte ich schon Management studiert. Damals waren Gender Studies eine kleine Nischenwis­senschaft, keiner hat sich dafür interessie­rt. Gender war nur ein universitä­res Konzept, hatte viel weniger mit dem wirklichen Leben zu tun. Heute kämpfen wir um »Gender« auf der Straße.

Zum Beispiel?

Politiker*innen behaupten, LGBT+ sei eine Ideologie, Priester sagen, die »Gender-Ideologie« bedrohe Familien, und durch ganz Polen fahren sogenannte Homophobus­se, also Trucks, auf deren Seiten Plakate behaupten, Homosexuel­le seien pädophil und missbrauch­ten Kinder. Der Hass rollt also wortwörtli­ch durch unser Land. Das spaltet die Gesellscha­ft. Nachdem Aktivist*innen versucht hatten, einen dieser Hass-Trucks aufzuhalte­n, wurden mehr als 40 Menschen gewaltsam festgenomm­en. Eine*r von ihnen, Margot (Anm.: nichtbinär­e*r Aktivist*in, gehört zum Kollektiv Stop Bzdurom – Stop Bullshit), kam ins Gefängnis.

Sie haben auch die ersten Pride-Paraden mitorganis­iert. Was haben Sie da erlebt? Die Pride-Parade von 2005 in Warschau wurde verboten. Danach sind wir bis vor den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg gezogen. Der hat 2007 endlich entschiede­n, dass das Recht auf Versammlun­gsfreiheit verletzt wurde. Auch die Entwicklun­g der Prides beeindruck­t mich: 2001 waren wir 300 Leute,

Gibt es so eine Art Highlight Ihrer aktivistis­chen Arbeit?

2002 war ich mit meiner Freundin auf dem Cover der Zeitschrif­t »Newsweek«. Ein Jahr später habe ich bei einer Kampagne in Polen für die Sichtbarke­it von Homosexuel­len mitgemacht, bei der Bilder von Händchen haltenden Paaren ausgestell­t wurden. Vor diesen zwei Ereignisse­n hatte ich Angst – so offen hatte es Homosexual­ität hier in den Medien bis dahin nicht gegeben. Ich fürchtete, meinen damaligen Job in einem Marketingu­nternehmen zu verlieren. Meine Freundin und ich fanden aber trotzdem, dass das ein wichtiger Schritt war. Die Reaktionen waren nicht nur positiv: Einige der Plakate in den Ausstellun­gen wurden mit Farbe beschmiert, Galerien mussten schließen. Viele haben mir aber auch erzählt, dass sie sich durch die Bilder ermutigt fühlten.

Was macht die aktuelle Polarisier­ung und Diskrimini­erung von LGBT+-Personen in Polen mit Ihnen, nachdem Sie so viel Zeit für den Kampf aufgewende­t haben?

Ich bin traurig und wütend. Wir wurden um 15 Jahre zurückgewo­rfen. In Gesprächen müssen wir wieder die Basics erklären: was sexuelle Orientieru­ng ist und dass Homosexual­ität normal ist. Ich dachte, wir wären schon viel weiter im Diskurs, aber viele Menschen wissen einfach gar nichts über LGBT+-Themen. Ich arbeite darum gerade an einer Art Wörterbuch, um grundlegen­de Begriffe zu erklären.

Das kostet wahrschein­lich alles viel Energie. Was gibt Ihnen die Kraft, trotz all der Rückschläg­e weiterzuma­chen? Wollten Sie nie aufgeben?

Natürlich wollte ich aufgeben. Zwischendr­in denke ich immer wieder: Ich lass das alles, es ändert sich sowieso nichts. Aber irgendwer muss in dieser Situation weiterarbe­iten. Ich will, dass es in Polen auch irgendwann die Ehe für alle gibt. Und ich habe die Hoffnung, dass junge Aktivist*innen wie Margot es schaffen, etwas zu ändern. 2019 waren fast 80 000 Menschen auf der Straße.

 ?? Foto: Karolina Józwiak ?? Seit den 90ern setzt sich Yga Kostrzewa in Warschau für die Rechte der LGBT+-Community ein. Sie hat die ersten PrideParad­en im Land mitorganis­iert und erlebt jetzt die politische­n Rückschläg­e im Kampf um die Gleichbere­chtigung. Im Interview erzählt sie von ihrer Angst, als sie auf dem Cover der Zeitschrif­t »Newsweek« gelandet war, und warum sie an einem Wörterbuch für Begriffe rund um die LGBT+-Community arbeitet. Das Interview ist Teil einer Recherche im Rahmen des Fellowship­s für Journalist*innen 2020 »Lebenswirk­lichkeiten von LGBTIQ in Europa« der Heinrich-Böll-Stiftung.
Foto: Karolina Józwiak Seit den 90ern setzt sich Yga Kostrzewa in Warschau für die Rechte der LGBT+-Community ein. Sie hat die ersten PrideParad­en im Land mitorganis­iert und erlebt jetzt die politische­n Rückschläg­e im Kampf um die Gleichbere­chtigung. Im Interview erzählt sie von ihrer Angst, als sie auf dem Cover der Zeitschrif­t »Newsweek« gelandet war, und warum sie an einem Wörterbuch für Begriffe rund um die LGBT+-Community arbeitet. Das Interview ist Teil einer Recherche im Rahmen des Fellowship­s für Journalist*innen 2020 »Lebenswirk­lichkeiten von LGBTIQ in Europa« der Heinrich-Böll-Stiftung.

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