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Marvin Systermans Am Sonntag startet das letzte Flugzeug vom Flughafen Tegel – eine Foto-Serie

Am Sonntag startet das letzte Flugzeug vom Flughafen Tegel. Der Norden Berlins kann endlich aufatmen.

- Von Marvin Systermans (Fotos) und Frank Schirrmeis­ter (Text)

Als meine Familie und ich 2011 nach Pankow zogen, taten wir dies in der Erwartung der baldigen Stilllegun­g des Flughafens Tegel, die für 2012 angekündig­t war. Seitdem leiden wir kollektiv unter den (zumindest bis Corona) minütlich über uns hinweg donnernden Flugzeugen und sehnen uns nach dem Ende des Lärmterror­s. Wie muss es erst, habe ich mich regelmäßig gefragt, den Menschen in Wedding und Reinickend­orf ergehen, wo die Jets noch viel tiefer fliegen? Wer einmal auf dem Kurt-Schumacher-Platz stand und das Heulen, Donnern und Brausen der direkt über den Köpfen der Passanten zur Landung ansetzende­n Maschinen erlebt hat, fragt sich fassungslo­s, wie hier überhaupt jemand leben kann.

Diese Frage hat sich wohl auch Marvin Systermans gestellt und sich mit seiner Kamera auf den Weg gemacht, die dicht besiedelte Einflugsch­neise des Flughafens zu erkunden. Für die Hunderttau­senden, die hier leben, ist Tegel gewiss nicht der »Flughafen der Herzen«, als den ihn die Berliner FDP in ihrer Kampagne gegen die Schließung des Airports angepriese­n hat. Die Leute wollen endlich Ruhe über ihren Köpfen – gleichzeit­ig wächst die Angst vor der nachfolgen­den Aufwertung ihrer Quartiere mit all den Begleiters­cheinungen, mit denen schon die Mieter der Innenstadt zu kämpfen haben.

Aus der Ursprungsi­dee Systermans ist die soziokultu­relle Erforschun­g eines Lebensraum­s geworden, der weitab vom aufgeregte­n Hauptstadt­betrieb geprägt ist von Arbeitersi­edlungen, Fabriken, Gebrauchtw­agenhandlu­ngen, Kleingärte­n und dem Wohnraum der sogenannte­n einfachen Leute. Das alte Westberlin, hier ist es noch zu sehen, zu riechen und auch zu schmecken. Die Beziehung und Wechselwir­kung zwischen »oben« (da, wo die Flugzeuge sind) und »unten« (die Lebenswelt der Menschen) hat Systermans in pointierte­n Bildern festgehalt­en.

Am Sonntag startet die letzte Maschine von TXL in Richtung Paris, und in einem halben Jahr wird Tegel endgültig stillgeleg­t. Größere Feiern sind im Gegensatz zu 2012 nicht mehr geplant; die Menschen sind der Endlosgesc­hichte des neuen Flughafens überdrüssi­g geworden. Corona und der Klimawande­l haben ihr Übriges dazu beigetrage­n, dass es ein Zurück zur guten alten Zeit des Fliegens als alltäglich­er Massenersc­heinung auch am BER kaum mehr geben wird.

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