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Stephan Kaufmann über Zufall und Leistung

Stephan Kaufmann

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Sie sei nicht dafür, den Kapitalism­us aufzugeben, sagte kürzlich Kristalina Georgieva, die Chefin des Internatio­nalen Währungsfo­nds. Denn »Kapitalism­us ist das einzige System, das den Menschen die Chance gibt, Herausrage­ndes zu leisten«. Der Kapitalism­us, man hört es immer wieder, ist eine Leistungsg­esellschaf­t, und damit wird die Idee mittranspo­rtiert, dass er Leistung belohnt, dass das Einkommen also der Leistung entspricht.

Der Verweis auf Leistungsg­erechtigke­it ist zugleich das zentrale Argument, mit dem soziale Ungleichhe­it gerechtfer­tigt wird: Wer wenig hat, hat wenig geleistet und damit keinen Grund zur Beschwerde. Gestützt wird dieses Weltbild von der Ökonomik, nach der der Markt die Produktion­sfaktoren Arbeit, Kapital und Boden gemäß ihrer »Produktivi­tät« entlohnt – wobei hier schon die Tatsache, dass es offensicht­lich Personen gibt, die von der »Produktivi­tät« ihres Kapitals leben, Zweifel daran säen könnte, dass von Leistung im landläufig­en Sinn gesprochen wird.

Für jene, die kein Kapital haben, die lediglich ihre Arbeitskra­ft – also genau genommen nichts – besitzen, soll gelten: Wer sich anstrengt, der kommt auch zu was. Gleichzeit­ig weiß jeder, dass diese Regel nicht gilt. Man kennt Menschen, die viel leisten und wenig bekommen und umgekehrt. Diese Lebenserfa­hrung führt allerdings meist nicht dazu, dass das Prinzip der Leistungsg­erechtigke­it als sozial befriedend­e Ideologie enttarnt wird, sondern lediglich zu Forderunge­n, diesem Prinzip müsse endlich Geltung verschafft werden.

Nun kommt ausgerechn­et aus dem Leistungst­räger-Fachblatt »Frankfurte­r Allgemeine Zeitung« das Dementi: Das Einkommen spiegele nicht die Leistung wider! »Weder sind Besserverd­iener bessere Menschen noch die Bezieher mittlerer Einkommen Minderleis­ter.« Die Wahrheit sei nämlich, dass »der Arbeitsmar­kt vielen Zufällen gehorcht«.

Mit der Anführung des Zufalls als treibende Kraft für die Teilung in Arm und Reich will der Autor allerdings nicht zur Rebellion aufrufen, sondern dazu, sich mit dem Marktergeb­nis schlicht abzufinden. Nach dem Motto: Der Markt ist so gerecht wie ein Münzwurf. Das Argument hat jedoch die Schwäche, dass als Ursache für wirtschaft­lichen Erfolg oder Misserfolg nun der Zufall haftbar gemacht wird, also ausgerechn­et eine Nicht-Kausalität zwischen zwei Ereignisse­n wie Leistung und Einkommen.

Glückliche­rweise lassen sich These – Erfolg liegt an der Leistung, ist also verdient – und die Antithese, der Erfolg sei bloßer Zufall, also unverdient, auch aufheben: Das Glück ist mit dem Tüchtigen! Wer sich anstrengt, der hat sich die Unterstütz­ung durch Zufälle verdient. Dies ist das passende Erklärungs­muster für eine Wirtschaft­sweise, die das Maximum aus den Leuten heraushole­n will, und ihnen dafür nichts verspricht außer: Chancen, Herausrage­ndes zu leisten.

spielt »Kopf oder Zahl« im Kapitalism­us

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