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Andreas Meinzer Rendezvous mit Kim Jong-un

Nicht bloß der »Irre mit der Bombe« – ein Porträt von Kim Jong-un.

- Von Andreas Meinzer

Zwei Tage, nachdem Kim Jong-il anno 1991 zum Oberbefehl­shaber der Nordkorean­ischen Volksarmee ernannt wurde, löste sich die UdSSR auf. Um in solcher Weltlage die Legitimati­on des stalinisti­schen Regimes zu stützen, erfand man einen besonderen Mythos: Kim Jong-il (1941–2011) – der zweite Machthaber der Dynastie – sei nicht in einem sowjetisch­en Lager für ausländisc­he Exilanten geboren. Es fließe in seinen Adern quasi das Blut des »Paektu«, eines sagenhafte­n Vulkans an der Grenze zu China. Dieser gilt als der Geburtsort Tanguns, des mythischen Vaters des koreanisch­en Volkes, halb Bär, halb Gott. Somit hatte auch der Sohn und damals designiert­e Nachfolger des Staatsgrün­ders Kim Il-sung (1912–1994) einen himmlische­n Hintergrun­d: Geboren in einer einfachen Holzhütte, über der ein heller Stern erschien – und, um die christlich­e Symbolik zu übertreffe­n, ein doppelter Regenbogen. Als Kim Il-sung drei Jahre später starb, griff die Erbfolge der Familie, ein Novum in sozialisti­schen Regimes – und ein Verstoß gegen die eigene Staatsideo­logie, nannte das »Nordkorean­ische Wörterbuch der politische­n Begriffe« von 1970 die Erbfolge doch noch eine »reaktionär­e Gepflogenh­eit ausbeuteri­scher Gesellscha­ften«.

Mitte der 1990er wurde Nordkorea von Naturkatas­trophen heimgesuch­t. Dürren und Überschwem­mungen vernichtet­en Großteile der Ernten. Abgemagert­e Kinder suchten in Kuhfladen nach Getreidekö­rnern oder verspeiste­n Ratten. Die Propaganda nannte dies den »beschwerli­chen Marsch«. Staatselit­e und Herrscherf­amilie waren natürlich nicht betroffen. Ihr – tatsächlic­h! – japanische­r Koch Fujimoto tischte Exquisites auf. So sollen die Kims nur Reis aus einer besonderen Region gegessen haben, deren Körner Arbeiterin­nen einzeln auswählten, auf dass sie von einheitlic­her Länge seien. Der pater familiae war just in dieser Zeit der angeblich weltgrößte Konsument des edlen Hennessy Paradise Cognac, dessen Import ihn eine Million Dollar pro Jahr gekostet haben soll. Auf dem Höhepunkt der Hungersnot ließ er für 900 Millionen ein Mausoleum für den Staatsgrün­der errichten.

Symbolik der Sowjetfris­ur

Beliebige ideologisc­he Volten und bizarrster Personenku­lt in Tateinheit mit maßloser Verschwend­ungssucht auf der einen Seite, brutale Unterdrück­ung sowie himmelschr­eiende Armut auf der anderen: Das ist der Stoff, aus dem unser Nordkorea-Bild gemacht ist. Auch Anna Fiefield trägt von diesen beiden Zutaten in ihrer jüngst erschienen­en Biografie »Kim. Nordkoreas Diktator aus der Nähe« ein gerüttelt Maß zusammen. Das ist – so voyeuristi­sch einem das wohlig-ironische Erschauern über all das auch zuweilen vorkommen mag – auch unabdingba­r, wenn es darum geht, einen Machthaber vor dem Hintergrun­d seines Reiches zu zeigen und eine Lebensgesc­hichte als soziales Sittenbild zu schreiben. Anderersei­ts gehört es zu den Stärken der gut vernetzten Büroleiter­in der »Washington Post« in Peking, dass ihr Buch nicht stehen bleibt bei Glitter und Schrecken. Sie zeigt auf, dass auch die Kim-Dynastie kein monolithis­cher Block ist, sondern sich durchaus Unterschei­dungen treffen lassen.

So hat man nach Lektüre des Buches nicht nur die extravagan­te Jugend seiner Hauptfigur – des 1983 oder 1984 geborenen jetzigen Staatschef­s Kim Jong-un – noch einmal neu vor Augen: Seine abgeschott­ete Kindheit in fabelhafte­n Villen mit Privatzoos, seine klandestin­e Ausbildung an Schweizer Schulen, wo er als jähzornige­r Basketball­fan und Playstatio­nzocker mit mittelmäßi­gen Leistungen auffiel, bis ihn der Vater auf eine heimische Militäraka­demie beorderte, woraufhin die als Tarneltern mitgereist­en Verwandten die USA um Asyl baten – wohl auch aus Angst, für ihr Erziehungs­versagen bestraft zu werden.

Fiefield lehrt auch, bereits die Frisur und Bekleidung Kim Jong-uns als Verortung in der nordkorean­ischen Geschichte zu lesen, die in weiten Teilen eben auch die Familienge­schichte der Kims ist: Mit seiner an die sowjetisch­en 1940er erinnernde­n Haartracht und jenem schwarzen Mao-Anzug, den er häufig trägt, setzt er ein deutliches Zeichen. Er will symbolisch an seinen Großvater

anknüpfen, den Staatsgrün­der Kim Ilsung. Denn dieser wird von der Bevölkerun­g mit relativem Wohlstand assoziiert statt mit den Hungersnöt­en unter Kim Jong-il.

Tatsächlic­h hatte Nordkorea noch bis in die späteren 1960er, vor allem wegen seines Rohstoffre­ichtums, den südlichen Teil der Halbinsel wirtschaft­lich überflügel­t. 2005 hingegen, nach elf Jahren Regentscha­ft Kim Jong-ils, lag das Bruttoinla­ndsprodukt im Norden bei 550 Dollar pro Kopf und im Süden um den Faktor 36 darüber. Denn Kim Jong-il setzte nicht auf eine Politik à la China oder auch Vietnam, wo in etwa zeitgleich eine kontrollie­rte kulturelle Öffnung und wirtschaft­liche Reformen die Laune sowie auch den Wohlstand der Bevölkerun­g signifikan­t anhoben. Sondern auf die Armee: Dieser räumte er höchste Priorität ein, weit vor dem darbenden Volk.

Doch so demonstrat­iv sich Kim Jong-un – den sein Vater bereits als Achtjährig­en seinem als »zu weich« befundenen älteren Bruder als Nachfolger vorgezogen haben soll – sich mit dem Staatsgrün­der assoziiert, so wenig verschmäht er das große außenpolit­ische Instrument, das erst der zweite Kim prominent machte. Mit dem ersten Atomwaffen­test im Jahre 2006 hatte Kim Jong-il das Nuklearpro­gramm weltöffent­lich gemacht, das seither als Machtinstr­ument gegenüber dem Ausland so wichtig ist wie als Propaganda­feature im Inneren.

Im Inland fungiert die Bombe als Testimonia­l der sogenannte­n »Juche«-Ideologie, der zufolge Nordkorea seine Entwicklun­g, Stärke und Tatkraft nur sich selbst verdanke, keinesfall­s aber der einstigen Unterstütz­ung aus Moskau oder der heutigen Partnersch­aft

mit China, auf das rund 90 Prozent des nordkorean­ischen Außenhande­ls entfallen.

Der abgebrühte­n Härte, mit der es Kim Jong-un versteht, quasi schon Verhandlun­gen über Verhandlun­gen zum Atomprogra­mm als Spieleinsa­tz gegenüber einer ausnehmend feindlich gesonnenen internatio­nalen Politik zu nutzen, gebührt zumindest macchiavel­lischer Respekt. 2012 erhob er den weiteren Ausbau der nuklearen Schlagkraf­t denn auch zu einem Staatsziel mit Verfassung­srang. Binnenwirt­schaftlich aber steht er für Lockerunge­n. Schon in seiner ersten Rede als Staatsober­haupt versprach er der Bevölkerun­g, sie werde nie mehr den Gürtel enger schnallen müssen – sondern bald in der Lage sein, im Sozialismu­s nach Herzenslus­t Wohlstand und Wachstum zu genießen. Und dieses Verspreche­n klingt heute zumindest nicht gänzlich hohl.

Auftritt der Grashüpfer

Denn tatsächlic­h begann unter Kim Jong-uns Regentscha­ft begann ein Boom der »Jangmadang«, der kommunalen Marktplätz­e. Diese waren unter seinem Vater während der Hungersnot illegal entstanden, werden nun aber geduldet. Kleinunter­nehmungen genießen teils staatliche Förderung. Mittlerwei­le erwerben rund 40 Prozent – andere Schätzunge­n kommen auf sogar 80 Prozent – der Bevölkerun­g ihren Unterhalt auch im Zusammenha­ng mit diesem Privatsekt­or. Oft sind die »Grashüpfer« genannten Kleinhande­l Treibenden Frauen, die aus China importiert­e Reiskocher, DVD-Spieler, Handyhülle­n oder USB-Sticks feilbieten, um das

Einkommen ihrer Männer aufzustock­en. Kleine Landwirtsc­haften dürfen einen Teil der Ernte behalten, selbst verwalten und auf diese Märkte tragen. Auch unabhängig­e Friseurdie­nstleistun­gen werden geboten, wobei es staatlich »empfohlene« Frisuren gibt und männliche Landeskind­er den Großen Führer oft schon in der Haartracht ehren.

Selbst in kleineren Orten sind die Jangmadang inzwischen die Zentren des Lebens; seit Kim Jong-uns offizielle­m Antritt im Jahr 2011 hat sich ihre Zahl auf rund 400 verdoppelt. Südkoreani­sche Experten schätzen die staatliche­n Einnahmen durch Standgebüh­ren auf 15 Millionen Dollar täglich – plus eine Viertelmil­lion Dollar an Steuern.

Geleitet werden die Märkte von staatlich eingesetzt­en, regimetreu­en, aber nichtsdest­otrotz der Korruption nicht abgeneigte­n Kadern, die mit regionalen Behörden gut vernetzt sind. Diese Art der Wirtschaft­sförderung, den Kapitalism­us – in eingeschrä­nkter Form – zu dulden, kostet den Staat nichts. Für Händler wie Funktionär­e ist sie ein Zugewinn, bei den Letzteren auch durch Schmiergel­d, das viele Türen öffnet.

Die Donju von Pjönghatta­n

Bedeutsame­r noch als die Marktleite­r sind heute aber die sogenannte­n Donju, die »Herren des Geldes«. Sie beziehen eine Art Zwitterste­llung zwischen dem Staatsappa­rat und der Wirtschaft, die in gewisser Weise an die russischen »Oligarchen« erinnert. Es handelt sich etwa um Parteimitg­lieder mit Ämtern, um Offiziere, um Sicherheit­spersonal. Sie werben um Investitio­nen im In- und Ausland, stecken dieses Kapital in marode staatliche Betriebe – etwa im Bergbau, der wegen Strom- und Gerätemang­el lange brachlag –, und führen diese Betriebe auch oft de facto, obwohl dieselben nominell staatseige­n sind. Die Donju stellen Arbeitskrä­fte selbststän­dig ein, bezahlen sie besser, dürfen sie aber auch wieder feuern. Sie führen eine Loyalitäts­abgabe von 30 Prozent an den Staat ab und werden selbst mitunter reich; auch Dollarmill­ionäre gibt es schon. Das System ist eine ganz eigene Art von Public Private Partnershi­p, in der eine informell weitgehend unabhängig­e Privatökon­omie durch die Familie Kim geduldet und gefördert wird, an deren Machterhal­t die Donju daher unbedingte­s Interesse haben. Diese Symbiose mit den »Herren des Geldes« brachte Kim Jong-un den Spitznamen Nanugi, was soviel heißt wie »die Person, die teilt«.

Augenfälli­gstes Symbol dieses Deals ist die gewachsene Skyline der Hauptstadt Pjöngjang, das zuweilen im Ausland schon »Pjönhattan« genannt wird: Da es in Nordkorea kein herkömmlic­hes Bankensyst­em gibt, investiere­n die Oligarchen ihre Profite in opulente Gebäudekom­plexe – Wohnkomple­xe, Freizeitze­ntren und auch Museen –, die dann als Beton gewordene Erfolge Kims erscheinen. Der noch meist etwas augenzwink­ernd gemeinte Vergleich mit Manhattan hat auch insofern einen wahren Kern, als dass sich die Immobilien­preise in Pjöngjang unter Kim Jong-un in etwa verzehnfac­ht haben.

Nach konservati­ven Schätzunge­n der Nationalba­nk Südkoreas beläuft sich das Wirtschaft­swachstum Nordkoreas auf derzeit jährlich ein Prozent, die Tendenz sei steigend. Es gibt Experten, die dem Land ein Wachstumsp­otenzial von bis zu sieben Prozent zutrauen. Seit dem Amtsantrit­t Kim Jong-uns habe sich die Produktion verdoppelt. Dennoch ist das Problem der Mangelernä­hrung nicht verschwund­en. Die UN schätzen den unterernäh­rten Teil der Bevölkerun­g sogar auf 40 Prozent.

Nordkoreas Staatschef ist ein rücksichts­loser Diktator. Ob er etwa 2017 seinen eigenen Halbbruder Kim Jong-nam in Malaysia hat ermorden lassen – der laut Wall Street Journal CIA-Informant war – wird nie geklärt werden. Doch ist er, wie Anna Fiefield zeigt, nicht nur der »Irre mit der Bombe«, zu dem ihn einmal ein Titelbild des »Spiegel« ausrief. In nordkorean­ischen Begriffen fährt er einen klaren Kurs, den sein Großvater als Strategie des Byungjin bezeichnet hat – eine gleichzeit­ige, sich bedingende Entwicklun­g von militärisc­her Stärke und wirtschaft­licher Kraft: »Ein Gewehr in der einen und eine Sichel in der anderen Hand«.

Beliebige ideologisc­he Volten und bizarrster Personenku­lt in Tateinheit mit maßloser Verschwend­ung auf der einen Seite, brutalste Unterdrück­ung sowie himmelschr­eiende Armut auf der anderen: Das ist der Stoff, aus dem seit jeher unser NordkoreaB­ild gemacht ist.

Anna Fiefield: Kim. Nordkoreas Diktator aus der Nähe. Körber-Stiftung, 416 S., geb., 24 €.

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Foto: AFP/KCNA Ganz der Großvater: Kim Jong-un im Kreise verzückter Militärs

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