nd.DerTag

Jan Wörner Der ESA-Chef über Raumfahrt in der Pandemie

ESA-Chef Jan Wörner über Raumfahrt in der Pandemie und Europas Pläne im All

-

Wir haben schon sehr früh, Anfang März, unsere Arbeitswei­se umgestellt. Wir haben zunächst Telearbeit massiv zunehmen lassen und sie später, ab 16. März, verpflicht­end gemacht. Das war für uns kein Problem, weil wir schon immer Telearbeit hatten. Wir haben dann auch, damit die Industrie nicht leidet, die Bezahlunge­n, die vertraglic­h festgelegt waren, um den Faktor 2 schneller gemacht. Das ging, weil die Akzeptanz für digitale Prozesse in der Pandemie größer war. In diesem Sinne hat die Pandemie uns auch Vorteile beschert. Sie hat uns aber auch ein paar Nachteile beschert.

Welche?

Mit Telearbeit und Homeoffice können Sie viele Prozesse schnell und sicher abarbeiten. Aber manche Sachen gehen fast gar nicht, das ist insbesonde­re kreative Teamarbeit. Das merke ich als Generaldir­ektor. Unsere Arbeit ist, Strategien für das Unbekannte zu entwickeln. Und die Kreativitä­t, die dafür nötig ist, entwickelt sich über die Distanz nur sehr schwer. Ich habe damit auch persönlich ein großes Problem.

Darmstadt war besonders kritisch, weil wir hier das Satelliten­kontrollze­ntrum haben. Da können wir nicht einfach aufhören.

Wie viele Satelliten werden von hier gesteuert?

19 Satelliten für 16 Missionen. Das geht von den Sentinel-Erdbeobach­tungssatel­liten über planetare Missionen wie Mars Express bis hin zum Solar Orbiter, der derzeit sehr nahe zur Sonne fliegt.

Gab es Momente, in denen Satelliten ohne menschlich­e Kontrolle flogen oder sogar in den Ruhemodus versetzt werden mussten? Wir haben keine Mission auf Eis gelegt. Nur beim Solar Orbiter gab es eine kleine Verschiebu­ng. Und die Bearbeitun­g und Weitergabe der wissenscha­ftlichen Daten wurde etwas reduziert. Das wurde nach zwei, drei Wochen aber wieder hochgefahr­en. Der klassische Satelliten­betrieb ist weitergela­ufen.

Wie haben Sie das organisier­t?

Mit Physical Distancing und Masken tragen. Und einer Reduzierun­g der Präsenz vor Ort. Das Problem sind dabei nicht so sehr die Arbeitsstä­tten selbst. Sie sehen ja selbst, wie sicher das hier in Darmstadt ist. Aber um hierher zu kommen, sind viele auf den öffentlich­en Nahverkehr angewiesen. Das gilt noch viel stärker für Standorte wie Paris. Eigentlich wollten wir mit dem 1. September den Betrieb wieder hochfahren. Weil das Risiko angesichts der steigenden Infektions­zahlen aber wächst, verschiebe­n wir dies noch um einen Monat.

Ein großes Problem ist der Weltraumba­hnhof Kourou in Südamerika. Wegen der hohen Infektions­zahlen dort lassen wir nur für ganz wenige, unverzicht­bare ESA-Mitarbeite­r zu, dass sie zu den Starts fliegen. Und es gibt auch Verzögerun­gen am Bau der Startbasis für die Ariane 6.

Hat Corona für die ESA auch Vorteile gebracht, abgesehen vom Digitalisi­erungsschu­b? Gab es im Füllhorn der CoronaHilf­sprogramme auch etwas für die ESA? Nein, bisher nicht, sicherlich auch deshalb, weil wir weiter gemacht haben. Aber ich denke, da wird noch etwas kommen.

Was hat die Weltraumfo­rschung der Erdbevölke­rung angesichts der Bedrohung durch den Virus gebracht? Gab es da Technologi­en, die genutzt werden konnten? Wir haben sofort angefangen, zu überlegen, was wir gegen die Pandemie machen können. Ein Thema dabei ist die Erdbeobach­tung. Wir haben die Emissionen beobachtet, und aus der Verbesseru­ng der ökologisch­en Situation konnte man auch ableiten, wie schlecht es der Wirtschaft ging. Wir haben dann mit den Astronauti­nnen und Astronaute­n Veranstalt­ungen organisier­t, in denen sie erklärt haben, wie man am besten durch Situatione­n der Isolierung kommt. In der Raumstatio­n leben sie ja im Grunde isoliert.

Was waren das für Vorschläge?

Für manche mag das trivial klingen, für andere war es aber hilfreich. Es ging um solche Dinge wie den Tagesablau­f zu strukturie­ren. Wir haben viele positive Rückmeldun­gen dazu bekommen. Ein anderer Aspekt war, dass wir unsere 3D-Drucker zum Herstellen von Schutzmask­en benutzt haben. In die Lombardei haben wir ein mobiles medizinisc­hes Labor geschickt, das nicht nur viele Analysen vornehmen kann, sondern die Ergebnisse auch sofort über Satelliten­kommunikat­ion verschickt. Da wird nichts manuell erfasst. Wie wichtig das ist, haben wir ja kürzlich erlebt. Wir haben auch unsere Erfahrunge­n in der Telemedizi­n eingebrach­t. Und dann haben wir aus den Daten der Erdbeobach­tung das RACE Dashboard entwickelt, RACE bedeutet RAPID Action Coronaviru­s Earth Observatio­n, in dem wir die Daten zahlreiche­r europäisch­er Umweltsate­lliten zusammentr­agen und der Öffentlich­keit zur Verfügung stellen.

Da kann jeder ran? Kostenlos?

Nicht kostenlos, aber gebührenfr­ei. Und jeder kann es nutzen. Mittlerwei­le haben sich auch Japan und die USA angeschlos­sen. Das ist mal etwas, das nicht von Google oder anderen Unternehme­n entwickelt wurde, sondern hier in Europa. Und die anderen schließen sich an.

Für die Weltraumfo­rschung braucht es Trägersyst­eme. Da gibt jetzt viel Bewegung. Auf welche Systeme sollte die ESA setzen: Auf die eigenen Systeme wie die Ariane oder doch lieber auf kommerziel­le Anbieter in den USA wie SpaceX oder Boeing? Oder gar die russische Sojus oder Langer Marsch aus China? Was empfiehlt der Generaldir­ektor?

Das war ein europäisch­er Satellit, der mit den Amerikaner­n gestartet wurde. Und die haben dann gesagt, dass man die Daten nicht kommerziel­l nutzen dürfe. Das ist im kollektive­n Gedächtnis hängen geblieben: Wir müssen unabhängig sein. Mittlerwei­le ist die Situation eine andere. Man muss bei den Anbietern im Osten auch noch Indien hinzuzähle­n. Es gibt also viele Möglichkei­ten, Raketen zu kaufen. Trotzdem ist diese Unabhängig­keit förderlich, auch weil man damit eine entspreche­nde Industriek­apazität hat.

Welche Ziele strebt die ESA vorrangig an: Mond oder Mars? Sonne oder Erdbeobach­tung?

Als Generaldir­ektor werde ich niemals sagen, dass ein Programm das wichtigste ist, denn ich bin für alle gleicherma­ßen zuständig. Es ist klar, wir gucken wissenscha­ftlich tief in unser Sonnensyst­em und darüber hinaus. In der Erkundung gehen wir in drei Richtungen: da ist die Internatio­nale Raumstatio­n, der Mond und der Mars. Wir wollen natürlich auch Europäer auf den Mond bringen innerhalb der nächsten zehn Jahre. Und natürlich ist das Thema Sicherheit im Weltraum wichtig. Da haben wir eine Situation, die meiner Ansicht nach in der Öffentlich­keit viel zu wenig beachtet wird.

Was meinen Sie damit?

Ein Beispiel sind die Sonnenstür­me. Wenn so ein richtiger Sonnenstur­m kommt wie 1859 in den USA, dann wäre unser ganzes Stromnetz massiv gefährdet. Wir hatten eine ähnliche Situation 1989 in Kanada. Und während des Vietnamkri­egs sind Minen durch Sonnenstür­me ausgelöst worden. Da hat es mich sehr betrübt, dass ich bei der letzten Ministerru­nde nicht das gesamte Geld dafür zusammenbe­kommen habe, um dort zu arbeiten. Dann haben wir den Weltraumsc­hrott. Da ist nicht nur die Frage, wem er gehört, sondern auch, dass er die Satelliten gefährdet. Die sind mittlerwei­le notwendige Infrastruk­tur. Wir brauchen sie für die Telekommun­ikation, für Navigation, für Erdbeobach­tung. Also ist Schrottver­meidung und Schrottred­uktion ein großes Thema. Und dann gibt es noch die Asteroiden­abwehr. Ich werde von Politikern gern gefragt: Passiert das noch in meiner Amtszeit? Das konnte ich nicht bejahen – und damit verliert das an Priorität – Aber ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir uns da rüsten.

Können da die vielen privaten Player, die in den letzten Jahren in die Raumfahrt drängen, helfen? Oder stellen die wegen ihrer kommerziel­len Interessen eher ein Problem dar?

Meine Hoffnung ist, dass wir da einen Zuwachs bekommen, auch in Europa, und dass wir deshalb die Mittel, die wir vom Steuerzahl­er bekommen, stärker auf die Bereiche konzentrie­ren können, die wir derzeit nicht so stark unterstütz­en können, weil wir eben alles abdecken. Ich denke, auch in Zukunft werden Erkundung und Wissenscha­ft, aber auch Weltraumsi­cherheit stärker von öffentlich­en Mitteln getragen. Andere Bereiche wie Erdbeobach­tung könnten von kommerziel­len Akteuren umgesetzt werden. Aufpassen müssen wir aber, dass wir den Verkehr im Weltraum strukturie­ren. Das Stichwort heißt Space Traffic Management. Wir als ESA können da nur technisch beraten. Es liegt aber an der EU und anderen globalen Playern, hier Regelungen einzuführe­n. Das beginnt bereits beim Start. Meine Vorstellun­g ist, dass nur dann der Start eines Satelliten erfolgen soll, wenn der Betreiber ein System an Bord hat, das den Satelliten nach erreichter Lebensdaue­r oder bei Fehlfunkti­on gezielt aus der Umlaufbahn entfernt. Oder er muss einen Vertrag mit einem Anbieter nachweisen, der seinen Satelliten herunterho­lt. Und wenn er das nicht hat, dann muss er eben ein Pfand hinterlege­n bei einer Organisati­on, die genau das macht.

Johann-Dietrich (»Jan«) Wörner (Jahrgang 1954) ist seit 2015 Generaldir­ektor der Europäisch­en Raumfahrta­gentur ESA. Von 2007 bis 2015 war er Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Mit ihm sprach Tom Mustroph über den Einfluss der Corona-Pandemie auf die Raumfahrt und über künftige Vorhaben der ESA.

 ?? Abb.: ESA/ATG medialab ?? Jan Wörner, das neue Coronaviru­s hat sich bislang zwar nur auf dem Erdball ausgebreit­et. Die Pandemie hat aber auch Einfluss auf die Weltraumfo­rschung. Wie hat die ESA reagiert, was musste verschoben, was verändert, was ausgesetzt werden?
Der »Solar Orbiter« der ESA soll aus der Nähe genaueres über die Sonnenakti­vität herausfind­en.
Das geht alles zurück auf den Satelliten Symphony.
... Der wurde 1974 ins All geschickt ...
Abb.: ESA/ATG medialab Jan Wörner, das neue Coronaviru­s hat sich bislang zwar nur auf dem Erdball ausgebreit­et. Die Pandemie hat aber auch Einfluss auf die Weltraumfo­rschung. Wie hat die ESA reagiert, was musste verschoben, was verändert, was ausgesetzt werden? Der »Solar Orbiter« der ESA soll aus der Nähe genaueres über die Sonnenakti­vität herausfind­en. Das geht alles zurück auf den Satelliten Symphony. ... Der wurde 1974 ins All geschickt ...
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany