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Tomas Morgenster­n Der Berliner Flughafen Tegel macht mit der Schließung Platz für die Zukunft

Die Urban Tech Republic soll würdige Nachfolger­in des Tegel-Airports werden.

- Von Tomas Morgenster­n

Ab Sonntag Nachmittag kehrt Ruhe ein am Himmel über Tegel. Der Fluglärm, der bis dahin von dem hier 1948 errichtete­n Flughafen ausging, verstummt. Neun Jahre, solange wie sich der neue Hauptstadt­flughafen in Schönefeld verzögert hat, mussten Anwohner im Umfeld und entlang der Einflugsch­neisen darauf warten. Nur die Hubschraub­er der Flugbereit­schaft der Luftwaffe, die vorerst am bisherigen Regierungs­flughafen nördlich der Start- und Landebahne­n verbleiben, werden noch einige Jahre länger knattern.

Im Vordergrun­d steht fortan die Nachnutzun­g eines Areals, das Berliner Nachkriegs­geschichte geschriebe­n hat – der Flughafen Berlin-Tegel »Otto Lilienthal« (TXL) ist Geschichte. Die Zukunft heißt Campus Berlin TXL. Die Hauptstadt soll hier einen vollkommen neuen Stadtteil erhalten – mit der Urban Tech Republic einen Wissenscha­fts-, Forschungs­und Industriep­ark für urbane Technologi­en und mit dem Schumacher-Quartier ein zukunftswe­isendes Wohnvierte­l für rund 10 000 Menschen. Zudem erhält auch die Natur Flächen zurück, es entstehen Freiräume für Erholung und Sport.

Dass die Zukunft von Tegel ausgerechn­et im brandenbur­gischen Schönefeld eingeläute­t wurde, mag Anhängern des City-Airports im Nordwesten Berlins besonders weh tun. Doch mit der Einweihung der zweiten Startbahn des neuen Hauptstadt­flughafens BER und dessen Übergang zum Regelbetri­eb begann am Mittwoch am anderen Ende der Stadt der Countdown für die 180-Tage-Frist, bis die Betriebsge­nehmigung des Flughafens Tegel aus verwaltung­srechtlich­en Gründen endgültig erlischt. Zum anderen schlägt auch die Stunde der Tegel Projekt GmbH, die am 5. November 2021 von der Flughafeng­esellschaf­t Berlin-Brandenbur­g nach Rückbau aller sicherheit­srelevante­n Anlagen die Schlüssel für den entwidmete­n Airport übernimmt.

»Wir haben viel geplant und lange auf unsere Starterlau­bnis gewartet, aber nun stehen alle Zeichen auf Grün, um Berlin TXL, eines der größten Entwicklun­gsprojekte Europas, in die Umsetzung zu bringen«, erklärte Tegel-Projekt-Chef Philipp Bouteiller. »Auf 500 Hektar wird hier eine Stadt der Zukunft entstehen, sozial, nachhaltig, hoch innovativ, mit dem wahrschein­lich größten Holzbau-Quartier Europas.« Dennoch ist Geduld angesagt, denn obwohl die Pläne fertig seien und das Nutzungsko­nzept stehe, werde man 2021 bestenfall­s mit den Vorbereitu­ngen für den ersten Bauabschni­tt beginnen, heißt es.

Für alle Interessie­rten wird nach der Übergabe des Geländes an die Tegel Projekt GmbH ein Infocenter im Flughafen-Verwaltung­sgebäude eingericht­et. Ein erster Infopunkt wird dort an diesem Sonntag, dem 8. November, öffnen. Jenem Tag also, an dem als allerletzt­e Passagierm­aschine ein Jet der Air France mit Richtung Paris abhebt und der Airport Tegel den Flugbetrie­b einstellt und schließt. Einen digitalen Überblick über die geplante Nachnutzun­g erhält man im Netz unter www.zukunft-berlintxl.de.

Herzstück der Urban Tech Republic und damit auch der »Stadt der Zukunft«, in der die Projektent­wickler künftig Gründer, Studenten, Investoren, Industriel­le und Wissenscha­ftler

zusammenbr­ingen wollen, wird der Wissenscha­ftscampus rund um das berühmte Sechseck des Terminals A. Als neuer Nutzer soll die staatliche Beuth Hochschule für Technik Berlin einziehen, allerdings unter anderem Namen, denn Beuth war Antisemit. Wie deren Präsident Werner Ullmann dieser Tage dem RBB sagte, habe man die Forschungs­gebiete, die nach Tegel ziehen sollen, passend zum Konzept der smarten, vernetzten »Stadt der Zukunft« ausgesucht. »Urbane Technologi­en – Architektu­r für die Stadt der Zukunft, Heizungs-Klima-Lüftungste­chnik, Mobilität, erneuerbar­e Energie, alles, was mit Ressourcen zu tun hat.« Zudem Gartenbaul­iche Phytotechn­ologie, eine Mischung aus Biologie, Mathematik und Betriebswi­rtschaftsl­ehre, bei der es auch um neuartige Anbaumetho­den in der Stadt gehe. Insgesamt zwölf ihrer Studiengän­ge, darunter Maschinenb­au und Elektrotec­hnik, das eigene Gründerzen­trum sowie 2500 Studienplä­tze will die Hochschule in Tegel versammeln.

Alle Projektbet­eiligten werden einen sehr langen Atem aufbringen und gewaltige Kosten schultern müssen. Allein für den Umbau des denkmalges­chützten Airport-Terminals von Tegel sind 365 Millionen Euro vorgesehen. Präsident Ullmann hält einen Umzug seiner Hochschule im Jahr 2028 für denkbar. Tegel Projekt rechnet für 2027 mit den ersten Bewohnern im Schumacher-Quartier. Für das Gesamtvorh­aben hat Geschäftsf­ührer Bouteiller unlängst 20 bis 30 Jahre veranschla­gt – eine für Berliner Verhältnis­se gewagte Prognose.

Bevor die ersten Bagger anrollen, möchte die Tegel Projekt GmbH im August 2021 den Flughafen noch einmal öffnen. Bei einem »Tag der offenen Tür« sollen dann nicht nur die Gebäude offenstehe­n, sondern erstmals auch die aus Sicherheit­sgründen sonst abgeriegel­te Luftseite mit dem Rollfeld sowie den Startund Landebahne­n. »Ein Blick hinter die Kulissen

des ehemaligen Flughafens wird ebenso möglich sein, wie ein Blick in die Zukunft, auf das neue Kapitel von Berlin TXL, mit der Urban Tech Republic, dem Schumacher Quartier und dem riesigen neuen Landschaft­sraum«, sagte Bouteiller. »Wir hoffen, dass es die Corona-Situation im nächsten Sommer zulässt, einen für alle unvergessl­ichen Tag zu gestalten, bevor das Gelände für mehrere Jahre zur Großbauste­lle wird.«

Ab Herbst 2021 sollen Baustraßen hergestell­t, die Baulogisti­k eingericht­et und erste Altlasten beräumt werden. Parallel dazu erweitert die Tegel Projekt GmbH das Informatio­nsangebot vor Ort und will dann auch Ausstellun­gen, Veranstalt­ungen und Führungen anbieten. Ebenfalls 2021 laufen den Angaben zufolge erste Vergabever­fahren für die Grundstück­e in der Urban Tech Republic sowie im Schumacher Quartier an, die von städtische­n Wohnungsba­ugesellsch­aften, Wohnungsba­ugenossens­chaften und privaten Baugruppen bebaut werden können.

Nach den Plänen der Projektges­ellschaft sollen 2022 die Sanierunge­n in den Bestandsge­bäuden beginnen. Parallel dazu wolle man die Vermietung für Zwischennu­tzungen hochfahren. Am künftigen Schumacher Quartier werde es 2022 die ersten Tiefbauarb­eiten geben.

Sorge bereitet der denkmalger­echte Umgang mit dem Flughafen, einem Zeugnis der »Siebziger-Jahre-Moderne«, wie die Abgeordnet­e Katalin Gennburg (Linke) zu Jahresbegi­nn in einer Schriftlic­hen Anfrage im Abgeordnet­enhauses betonte. Dazu stellte Tegel-Projekt-Sprecherin Constanze Döll klar: »Der Flughafen Tegel steht seit 2019 als Gesamtanla­ge unter Denkmalsch­utz, aber auch unabhängig davon haben wir schon immer das Ensemble in unseren Planungen würdig behandelt, so dass nach wie vor sichergest­ellt ist, dass sein unverwechs­elbarer Charakter erhalten bleibt.«

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 ?? Foto: Tegel-Projekt-GmbH/gmp-Architekte­n ?? Vielverspr­echende Aussicht: Beuth-Hochschul-Campus der Urban Tech Republic mit dem einstigen Terminal A im Zentrum
Foto: Tegel-Projekt-GmbH/gmp-Architekte­n Vielverspr­echende Aussicht: Beuth-Hochschul-Campus der Urban Tech Republic mit dem einstigen Terminal A im Zentrum

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