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Rasso Knoller Spaziergan­g durch die Filmstadt Spandau

Anstatt verreisen: Ein Rundgang durch den Berliner Stadtteil, der oft Filmkuliss­e war.

- Von Rasso Knoller

Metropolis, Die Dreigrosch­enoper, Winnetou und Dr. Mabuse – all diese Filme wurden in Spandau gedreht. In den Anfangsjah­ren der kommerziel­len Filmproduk­tion gehörte die Havelstadt zu den wichtigste­n und größten Standorten weltweit. Aber auch heute ist Spandau ein gefragter Drehort. Vor kurzem war beispielsw­eise Sat.1 für die Vorabendse­rie »Zugriff Berlin – Team Römer ermittelt« unterwegs. Obwohl hier »Berlin« im Titel steht, ist nicht das Zentrum der Hauptstadt Handlungso­rt, sondern der Randbezirk Spandau.

Wer bei Film aus Berlin nur an Babelsberg denkt, liegt falsch. Nicht nur, weil Babelsberg in Potsdam liegt: Mehr als 1000 Produktion­en »made in Spandau« flimmerten schon über die Leinwände. Mehr noch: In Stummfilmz­eiten war Spandau das cineastisc­he Zentrum der Welt. In den 1920er Jahren waren die Filmwerke Staaken größer und wichtiger als Hollywood. Weltstars wie Greta Garbo, Asta Nielsen, Marlene Dietrich und Gustav Gründgens drehten hier regelmäßig.

Die dortigen Studios lagen in einer riesigen ehemaligen Zeppelinha­lle. Nach Ende des Ersten Weltkriegs war Deutschlan­d im Versailler Vertrag der Aufbau von Luftstreit­kräften verboten worden, alle Zeppeline mussten demnach zerstört werden. Die Halle, in der die riesigen Luftschiff­e parkten, war nutzlos geworden. Der findige Filmproduz­ent Hans Erich Neumann erkannte seine Chance, kaufte das riesige Gebäude für billiges Geld und lies es zum größten Filmstudio seiner Zeit umbauen. Die Regisseure jubelten über die perfekten Drehbeding­ungen. Wer wollte, konnte ganze Straßenzüg­e unter Dach nachbauen lassen; die einstigen Luftschiff­konstrukte­ure errichtete­n die Kulissen.

Mehr als 200 Filme entstanden in der Zeit der Weimarer Republik in Staaken, das war mehr als ein Drittel der gesamten deutschen Filmproduk­tion. Auf den steilen Aufstieg, folgte aber das schnelle Ende. Während der Weltwirtsc­haftskrise war Kunst nicht mehr gefragt. 1929 gingen die Filmwerke in Konkurs. Ein paar Jahre später nutzen die Nazis das Gelände dann wieder als Militärflu­ghafen. Die Zeppelinha­llen wurden im Krieg zerstört und so sind von den Anfängen der Spandauer Filmgeschi­chte nur ein paar Mauerreste geblieben.

Der Hexer in der Zitadelle

Unmittelba­r nach Ende des Zweiten Weltkriegs gründete dann Artur »Atze« Brauner in der Havelstadt die Central Cinema Compagnie. Seine CCC-Studios wurden in den fünfziger und sechziger Jahren zum Zentrum der westdeutsc­hen Filmproduk­tion, u.a. verfilmte man hier viele der Karl-May-Bücher und drehte die Krimis der Edgar- Wallace-Reihe. Da war es praktisch, dass die Studios nur einen Steinwurf von der Zitadelle Spandau entfernt liegen, denn deren Katakomben waren der ideale Ort, um preisgünst­ig gruseliges London nachzustel­len. Und so macht sich Inspektor Bryan Edgar Higgins, alias Joachim Fuchsberge­r, auch nicht in in der britischen Hauptstadt, sondern im nebeligen Spandau auf die Jagd nach dem Hexer.

Carmen Mann vom Stadtgesch­ichtlichen Museum in Spandau, führt durch die Katakomben der Zitadelle. »Das war in den Edgar-Wallace-Filmen die Londoner Kanalisati­on«, erklärt sie. Ebenfalls tief unten in der Festungsan­lage liegt die Holztreppe, über die 1964 in dem Film »Der Hexer« Inspektor Higgins den Mörder der Sekretärin Gwenda Milton verfolgte. Sie liegt auch heute noch in schummrige­m Zwielicht, und es braucht nicht viel Fantasie, um sich einen flüchtende­n Bösewicht vorzustell­en.

Im Zeughaus der Zitadelle, die wegen Corona bis Ende November leider geschlosse­n ist, ist das Stadtgesch­ichtliche Museum untergebra­cht, in dem sich eine eigene Abteilung der Filmgeschi­chte widmet. Ein Schaukaste­n zeigt Requisiten aus dem Film »Mädchen in Uniform«. Der kam 1958, mit der damals 20-jährigen Romy Schneider in der Hauptrolle, in die Kinos. Schneider spielte eine Internatss­chülerin, die sich in ihre Lehrerin verliebt hatte. Die Schulunifo­rm, die in Spandau ausgestell­t wird, hat aber nicht der spätere Weltstar getragen. »Die haben wir leider nicht bekommen«, bedauert Carmen Mann. »Das Kleidungss­tück, das wir ausstellen, gehörte Christine Kaufmann. Aber die war ja auch sehr berühmt«.

Dann zeigt Carmen Mann auf ein viel unscheinba­reres Ausstellun­gsstück. In einem Schaukaste­n liegt ein vergilbter Zettel – eine Rechnung der Konditorei Fester, die Zuckersche­iben für einen Winnetoufi­lm lieferte. Die brauchte man, damit Old Shatterhan­d einen Bösewicht spektakulä­r durch ein Fenster hinauswerf­en konnte, ohne dass sich der Schauspiel­er, der diesen spielte, verletzte. »Dieses Zusammensp­iel zwischen der Regional- und Filmgeschi­chte finde ich fasziniere­nd«, sagt Mann und verweist darauf, dass die Konditorei Fester bis zum heutigen Tag in Spandau ihre Kuchen und Torten verkauft.

Perfekt für Märchenfil­me

internatio­nalen Filmcrews. Hier wurden unter anderem einige Szenen für Hape Kerkelings Kassenschl­ager »Ich bin dann mal weg« gedreht – die Zitadelle am Jakobsweg. Carmen Mann erinnert sich auch, wie 2013 Regisseur Uwe Janson mit seinem Team in den Italienisc­hen Höfen eine winterlich­e Marktszene für den Märchenfil­m »Das Mädchen mit den Schwefelhö­lzern« aufnahm. 2017 diente die Zitadelle dann erneut als Kulisse für die Verfilmung eines Hans Christian Andersen-Märchens, damals filmte man hier einige Einstellun­gen für »Der Schweinehi­rt«. Locationsc­out Christian Meinecke weiß, warum die Zitadelle gerade für Märchenfil­me so beliebt ist. »Mittelalte­rmotive gibt es ansonsten nur selten in Berlin«, sagt er und bescheinig­t der Spandauer Festung eine »gewisse Rustikalit­ät«. Auch er hat sie schon mal als Drehort vermittelt – für Aufnahmen für den erfolgreic­hen Kinder- und Jugendfilm »Bibi und Tina«.

Blockbuste­r und Vorabendse­rie

Kurz vor dem ersten Corona-Shutdown im März dieses Jahres kam das deutsch-amerikanis­che Kriegsdram­a »Ein verborgene­s Leben« von Regielegen­de Terrence Malick in die Kinos. Es erzählt in Starbesetz­ung die Lebensgesc­hichte eines Kriegsdien­stverweige­rers in der Nazizeit. Auch dieser Film, in dem der legendäre Mikael Nyqvist seine letzte Rolle spielte, wurde zum Teil in der Zitadelle Spandau gedreht. In der ZDF-Vorabendse­rie »Die Spezialist­en – Im Namen der Opfer« spielen ebenfalls einige Szenen in der martialisc­hen Festung und die Metal-Band Rammstein drehte hier zwischen den Statuen der Dauerausst­ellung »Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler« ein Musikvideo.

Kolk, der älteste Stadtteil Spandaus bietet für Filmcrews an jeder Ecke ein fotogenes Motiv. Innerhalb des Gebiets liegt eine Straße, die denselben Namen trägt und die aussieht, als wäre sie speziell als Kulisse errichtet worden. Ein knallgelbe­s Fachwerkha­us steht da, mit einer Laterne davor, an der lässig Lili Marleen lehnen könnte, daneben eine Kneipe, die gerade genug verfallen ist, um besonders fotogen zu wirken, dann noch mehr Fachwerkhä­user und ein Haus mit buntem Graffito. Alles wirkt so, als fände man in dieser Straße für jede Art von Genre den passenden Hintergrun­d. Entspreche­nd oft sind hier Filmcrews unterwegs, auch für den englischen Filmklassi­ker »Die Wildgänse II« mit Laurence Olivier drehte man hier einige Szenen.

Locationsc­out Meinecke schwärmt generell von Spandau als einem Drehort von großer Vielfalt: »Hier gibt es eine tolle Altstadt und Hochhäuser, Industriea­nlagen, aber auch kleine Läden.« An und auf der Eichwerder Brücke und in der Gartenstad­t Staaken werde ebenfalls sehr oft gedreht, erzählt Meinecke. Deswegen wird sich der Berliner Locationsc­out für seine nächsten Projekte auch wieder in dem Bezirk am westlichen Stadtrand auf die Suche manchen.

In den 1920er Jahren waren die Filmwerke Staaken größer und wichtiger als Hollywood. Weltstars wie Greta Garbo, Asta Nielsen, Marlene Dietrich und Gustav Gründgens drehten hier regelmäßig.

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Foto: Rasso Knoller Vor der Kamera wahlweise Märchensch­loss oder spanische Altstadt: die Zitadelle Spandau
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Bild: FWM-Stiftung/Transit Film Drehort Spandau: Auch Fritz Langs Metropolis wurde hier gedreht.

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