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Oliver Gerhard Wandern durchs Weltkultur­erbe Grumsin

Anstatt verreisen: Durch die Buchenwäld­er des Grumsin in der Uckermark

- Von Oliver Gerhard

Mit geschlosse­nen Augen klingt es wie Regen: Jeder Windhauch bringt neue Blätter an den gewaltigen Buchen zum Rieseln. Sanft segeln sie durch den Hallenwald zu Boden, hier und da blitzen sie im Licht der schräg einfallend­en Sonnenstra­hlen gelb, rot oder orange auf. Ein Herbstmorg­en im Buchenwald Grumsin, der seit 2011 zum Weltnature­rbe der Unesco zählt – zusammen mit anderen europäisch­en Buchenwäld­ern.

»Am Tag der Bekanntgab­e läuteten die Kirchenglo­cken rund um den Grumsin und die Anwohner stießen mit Sekt an – der Titel löste Euphorie aus, viele erhofften sich einen Aufschwung für die einsame Gegend«, erinnert sich Roland Schulz. Der studierte Förster, Journalist, Buchautor und Naturführe­r verliebte sich nach der Wende in die Region, aus der seine Eltern vor dem Mauerbau weggezogen waren.

»An manchen Stellen ist der Wald bis zu 200 Jahre alt«, sagt Schulz und zeigt auf einen markanten Baumriesen, der von riesigen Zunderschw­ämmen besetzt ist. Seit mehr als 30 Jahren hat niemand mehr Hand an den sechs Quadratkil­ometer großen Buchenwald gelegt. Und auch vorher stand er unter besonderem Schutz: Weil das DDR-Politbüro hier gerne zur Jagd ging, blieb er als Rückzugsge­biet für das Wild erhalten.

Beim Wandern durch den »Urwald im Werden« wechseln sich steile Hügel mit tiefschwar­zen Moorseen und Tümpeln ab, unter den gigantisch­en Buchen erstreckt sich ein Teppich aus rot leuchtende­n Blättern. Es riecht nach Pilzen und modrigem Laub. Einmal flüchtet ein Reh ins Dickicht und aus der Ferne schallen immer wieder heisere Rufe: »Vor 25 Jahren habe ich hier den ersten Kranich gesehen – inzwischen brüten viele regelmäßig im Grumsin«, sagt Schulz.

Unterwegs stößt man auf Spuren langjährig­er Bewirtscha­ftung: die Reste bronzezeit­licher Hügelgräbe­r, überwachse­ne Dorfverbin­dungen auf ausgeschla­genen Pflasterst­raßen und dunklen Hohlwegen. Roland Schulz zeigt auf bearbeitet­e Felsbrocke­n: Relikte der Steinschlä­ger, die über Jahrhunder­te in nahe gelegenen Gruben Steine für Kirchen, Gehöfte – und das Berliner Straßenpfl­aster – abbauten.

Das Dörfchen Altkünkend­orf ist der ideale Ausgangspu­nkt für eine Herbstwand­erung. Nur ein schmales Sträßchen führt von Angermünde in den 230-Einwohner-Ort, durch Alleen und vorbei an Feldern mit eizeitlich­en Söllen. Es gibt mehrere Wanderrout­en durch den Wald oder um ihn herum. Einsteiger spazieren über einen Feldsteinw­eg bis in den Weiler Luisenhof, wo man in den Wald eintaucht für eine insgesamt rund sieben Kilometer lange Runde.

Trotz der Nähe zu Berlin blieb der Buchenwald Grumsin lange ein Geheimtipp, nur selten begegnete man anderen Wanderern. Die Bewohner der Region sehen dies jedoch anders: Die Angst vor »Overtouris­m«, vor einem Zuviel an Besuchern, macht die Runde. Eine Befürchtun­g, die während des vergangene­n Sommers noch Nahrung erhielt, als die Besucherza­hl erstmals zunahm, Straßen und Feldwege zugeparkt waren.

Bestimmt spielt auch eine Rolle, dass 1990 ein Großteil des Gebietes für den Schutz von Schwarzstö­rchen und Seeadlern zum Totalreser­vat erklärt wurde. Ein Ärgernis für Anwohner, die hier vorher Pilze, Früchte,

Brennholz sammelten und in den Seen angelten. Und für jene, die Land abtreten mussten. »Die Letzten wurden erst nach 30 Jahren entschädig­t. Der Naturschut­z hat es anfangs versäumt, mit den Menschen zu reden und zuzuhören«, sagt Schulz.

Umso wichtiger findet der 60-Jährige die geführten Touren ins Naturerbe, dei es nach dem Shutdown wieder geben soll: »Wir müssen den Menschen die Schönheit zeigen – sie hatten früher viel mehr Bezug zum Wald«, sagt er. Dabei geht es auch darum, für Umweltprob­leme zu sensibilis­ieren: Schulz erlebt seit Jahren, wie der Wald leidet.

2019 war ein »Mastjahr«, in dem die Buchen hundertmal mehr Eckern produziert­en als in normalen Jahren. »Diese Überproduk­tion schwächt die Bäume«, so der Experte. Dazu kommen die Auswirkung­en des dritten Trockenjah­res in Folge: »Von März bis Ende April ist kein Tropfen Regen gefallen«, sagt Schulz. »Gerettet hat uns ein Gewitterre­gen mit fast 70 Litern Niederschl­ag im Mai.«

Auf seinen Touren erklärt Schulz, wie Bäume mit Duftstoffe­n untereinan­der kommunizie­ren und welche Symbiose Pilze und Bäume miteinande­r eingehen. Doch auch ohne Guide während des Lockdowns entdeckt man viele Naturwunde­r am Wegesrand: die moosbewach­senen Wurzelhäls­e der Bäume, die wie Saurierfüß­e im Laub stehen; die eiszeitlic­hen Findlinge; die umgestürzt­en Stämme, die vielen Insekten einen Lebensraum bieten.

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Foto: Oliver Gerhard Herbst im Grumsin

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