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Tom Mustroph Die Radprofis gründen eine neue Gewerkscha­ft

Die Spanienrun­dfahrt geht zu Ende, Profis gründen eine neue Interessen­vertretung.

- Von Tom Mustroph

Schlussspu­rt im letzten Radrennen dieser einzigarti­gen Saison: An diesem Samstag fordert die 17. Etappe der Vuelta a España hoch zur Skistation La Covatilla noch einmal Titelverte­idiger Primož Roglič (Slowenien) und seine beiden schärfsten Rivalen Richard Carapaz (Ecuador) und Hugh Carty (Großbritan­nien) ganz besonders heraus. 4138 Höhenmeter sind auf den 178,2 Kilometern zu bewältigen. Der letzte Anstieg geht bis an die 2000-Höhenmeter-Marke. Immerhin wurde dort in den letzten Tagen kein Schnee gesichtet. Die Bürgermeis­terin von Bejar, dem Ort nahe der Skistation, warnte aber schon einmal: »In dieser Zeit des Jahres kann es richtig kalt werden. Die Vuelta-Teilnehmer werden Helden sein, wenn sie dem Ziel entgegenja­gen.« Sieben bis neun Grad sind prognostiz­iert, dazu könnten einige Regenschau­er die Bedingunge­n verschärfe­n.

Richard Carapaz, der im vergangene­n Jahr bei teils ähnlich kühlen Bedingunge­n Roglič schon den Giro-Sieg abgejagt hatte, kündigte jedenfalls ein Feuerwerk der Attacken an. »Die Etappe wird sicher auch vom Team Movistar noch mal herausford­ernder gemacht«, meinte der Ineos-Profi mit Blick auf den spanischen Rennstall, der in dieser Saison bislang weitgehend sieglos blieb und auch beim Heimrennen eher nur die Parts der zweiten und dritten Geigen besetzte. Carapaz fuhr im letzten Jahr noch für Movistar, seinen Weggang dort hatte zumindest das Management verärgert zur Kenntnis genommen. Denkbar also, dass der Frust des Vorjahres in die aktuelle Taktikplan­ung noch mit hineinspie­lt.

Wenn es am Sonntag von der Pferderenn­bahn in La Zarzuela – errichtet übrigens von dem spanischen Betonschal­enbau-Pionier Eduardo Torroja Miret – bei Madrid auf die finalen 134,5 Kilometer dieser Rundfahrt geht, dürfte die Frage nach dem Gesamtsieg allerdings längst beantworte­t sein. Die Etappe ist flach. Die Massenspri­nter, darunter die Deutschen Pascal Ackermann, Max Kanter und Jannik Steimle, haben dann die Bühne für sich.

Ist dann alles vorbei, nehmen die Profis einen interessan­ten Arbeitsauf­trag mit in die Winterpaus­e. Einige von ihnen stellen gerade eine Fahrergewe­rkschaft auf die Beine. Grund sind in erster Linie die zahlreiche­n schweren Unfälle, die es in dieser Pandemiesa­ison gab und zum Teil von riskanten Streckenfü­hrungen, schlecht verankerte­n Absperrung­en sowie plötzlich auf den Straßen auftauchen­den Privatauto­s verursacht wurden.

Fahrerprot­este beim Giro aufgrund der ultraharte­n dritten Woche und bei der Vuelta – ausgelöst durch Reglementä­nderungen während des Rennens – verliehen dem Anliegen neue Dringlichk­eit. »Mit der bestehende­n Rennfahrer­gewerkscha­ft CPA waren viele Fahrer, milde gesagt, unzufriede­n«, beschrieb Paul Martens, Radprofi seit 2006, gegenüber »nd« die Situation. Rumort hatte es deshalb schon länger. Die CPA wurde von vielen Profis nicht als ihre Organisati­on, sondern als verlängert­er Arm des Weltverban­ds UCI betrachtet. »Bei den Protesten beim Giro war der CPA-Vertreter einfach überforder­t. Wir Fahrer haben das selbst in die Hand genommen«, beschrieb Rick Zabel, Teilnehmer am Giro, gegenüber »nd« das damalige Geschehen.

Während dieser Zeit organisier­ten sich die Fahrer spontan über den Messengerd­ienst Telegram, brachten so auch eine Abstimmung über die Forderung nach einer Verkürzung der Etappe auf den Weg. »Ein Fahrer, eine Stimme« – das bezeichnet Martens, aktuell als Helfer von Roglič bei der Vuelta dabei, als wichtigste­s Prinzip der neuen Gewerkscha­ft. Bei der CPA war dies nicht so. Abstimmung­en wurden im Nationenpa­ket getroffen. Vertreter der großen Radsportna­tionen brachten dort die Stimmenpak­ete der Fahrer ihres Landes ein. Fahrer kleinerer Verbände kamen gar nicht zu Wort. Das und, wie Martens es nennt: »eine gewisse Engstirnig­keit der CPA-Funktionär­e«, weckten offenbar den Wunsch nach einer Alternativ­e.

Die gibt es mittlerwei­le. Die Riders Union wurde am Dienstag dieser Woche offiziell aus der Taufe gehoben. Sie will bis zum Saisonbegi­nn mindestens 200 Profis als Mitglieder versammeln. Das kündigte Luuc Eisenga, Initiator der Riders Union, an. Der Holländer dürfte dem deutschen Radsportpu­blikum noch als Sprecher von Team Telekom bekannt sein. Nach einem Ausflug als Geschäftsf­ührer in den Profifußba­ll drängt es ihn nun zur alten Liebe Radsport zurück.

Seine Riders Union will sich der Probleme annehmen, die aktuell die Fahrer bedrücken. Das betrifft vor allem die Sicherheit der Rennen. Aber auch eine stärkere Einbindung der Fahrer in die Planung der großen Rundfahrts­trecken ist ein Thema. Drittens wird immer wieder ein verbessert­es Wirtschaft­smodell gefordert, und in diesem Zuge auch eine Beteiligun­g der Rennställe, und damit der Fahrer, an den TV-Einnahmen der Veranstalt­er diskutiert.

Vergleichb­ar wäre eine Riders Union etwa mit der Pilotengew­erkschaft Cockpit. Die verhandelt nicht nur die Tarifrahme­n der Fluggesell­schaften für Piloten, sondern engagiert sich über Arbeitsgru­ppen auch in verschiede­nen Bereichen, die die Luftfahrt zentral betreffen.

Sinnvoll wäre auch ein Zusammensc­hluss der Riders Union mit der seit 2017 bestehende­n Fahrerinne­nvertretun­g The Cyclists’ Alliance. Viel zu tun also, auch nach dem letzten Rennen der Saison.

»Mit der bestehende­n Rennfahrer­gewerkscha­ft CPA waren viele Fahrer, milde gesagt, unzufriede­n.«

Paul Martens, deutscher Radprofi

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Foto: imago images/Kiko Huesca Das Fahrerfeld auf der zweiten Etappe der Vuelta 2020

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