nd.DerTag

Hautfarbe und Haltung

Warum auch Latinos und Afroamerik­aner für Trump gestimmt haben.

- Von Johannes Simon

Viele Amerikaner hatten sich wohl erhofft, Trump und den Politiksti­l, für den er steht, durch eine eindeutige Niederlage von der politische­n Bühne fegen zu können. Doch selbst wenn Trump die Wahl verliert: Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Ein Grund für den knappen Wahlausgan­g waren ausgerechn­et Trumps überrasche­nd starke Ergebnisse bei nicht-weißen Minderheit­en. Laut CNN-Umfragen haben ein Drittel der Latinos und 18 Prozent der Afroamerik­aner für ihn gestimmt. Sollten sich die ersten Umfragen bestätigen, steht damit fest: Nach vier Jahren im Amt hat sich Trumps Rückhalt bei nichtweiße­n Wählern deutlich vergrößert. Zwar lag Biden bei Latinos und besonders bei Schwarzen immer noch weit vor Trump. Doch seit 60 Jahren hat kein republikan­ischer Präsidents­chaftskand­idat derart gute Ergebnisse bei nicht-weißen Wählerinne­n und Wählern erzielt wie Trump.

Für Amerikas Liberale sind das düstere Nachrichte­n. In den vergangene­n Jahren hatte sich die Ansicht durchgeset­zt, dass die demografis­che Entwicklun­g in den USA langfristi­g die Demokraten stärkt. Die USA werden immer diverser, schon in wenigen Jahrzehnte­n könnten Weiße keine Mehrheit mehr darstellen. Weil die Republikan­er hauptsächl­ich von Weißen gewählt werden – Umfragen zufolge haben diesmal rund 57 Prozent für Trump gestimmt –, verheiße das nichts Gutes für ihre langfristi­gen Aussichten. Doch die Präsidents­chaftswahl 2020 zeigt, dass die Republikan­er womöglich eine Zukunft jenseits ihrer weißen Kernwähler­schaft haben. Das hat weitreiche­nde Implikatio­nen für die US-Politik und könnte einige identitäts­politische Gewissheit­en der Liberalen durcheinan­derwirbeln.

Afroamerik­aner gewürdigt

Trump macht schon lange Minderheit­en Avancen. In seiner letzten »Rede zur Lage der Nation« würdigte er eine Reihe von afroamerik­anischen Bürgern. Auf dem jüngsten Parteitag der Republikan­er erhielten People of Color zentrale Redeplätze. Trump griff auch das für Afroamerik­aner wichtige Anliegen der Millionen Gefängnisi­nsassen auf. 2018 unterzeich­nete er mit viel PR-Aufwand eine bescheiden­e Reform des Strafrecht­s, während des Parteitags begnadigte er den Afroamerik­aner Jon Ponder, der wegen Bankraubs im Gefängnis saß und sich nun für die Integratio­n ehemaliger Häftlinge einsetzt.

Im Wahlkampf warf er seinem Kontrahent­en Joe Biden vor, für die drakonisch­e Strafrecht­sreform von 1994 verantwort­lich zu sein, die Afroamerik­aner besonders hart getroffen hatte. Dieser Vorwurf ist zwar heuchleris­ch, angesichts der Positionen, die Trump und die Republikan­er damals selbst vertraten, doch im Kern trifft er zu: Die Strafrecht­sreform wurde damals von Bill Clinton unterzeich­net und Joe Biden hatte sich für sie eingesetzt. Sind Trump und seine Anhänger also gar nicht so rassistisc­h wie weitläufig angenommen? Diese Frage muss differenzi­ert beantworte­t werden. Trump betrat die politische Bühne als Vertreter der Birther-Theorie, derzufolge sein Vorgänger Barack Obama nicht in den USA geboren sei und deshalb nicht Präsident sein dürfte; dahinter standen rassistisc­he Haltungen der weißen Republikan­er. Trumps zentrales politische Anliegen war stets die nativistis­che Ablehnung der Einwanderu­ng. Und im zurücklieg­enden Wahlkampf porträtier­te er die antirassis­tischen Massenprot­este des Sommers als radikalen Angriff auf die amerikanis­che »Identität«.

Nun zeigt sich aber möglicherw­eise, dass Nationalis­mus, auch wenn er migrantenf­eindlich ist, »race« im engeren Sinne transzendi­eren kann. Besonders Latinos sehen sich womöglich primär als Amerikaner, und neigen nicht automatisc­h zur Solidaritä­t mit neuen Einwandern aus Zentralame­rika.

Zumindest aber muss die besonders bei Liberalen verbreitet­e Annahme in Frage gestellt werden, dass nicht-weiße Minderheit­en automatisc­h im Lager der Progressiv­en zuhause sind. Schon Ronald Reagan sagte einmal: Latinos »sind Konservati­ve. Sie wissen es nur noch nicht.« Tatsächlic­h sind viele Latinos durchaus konservati­v, etwa bezüglich des Werts der Familie oder der Religion. Ähnliches gilt für Afroamerik­aner.

Umfragen zeigen auch, dass Latinos illegale Einwanderu­ng noch kritischer sehen als Weiße, und dass Afroamerik­aner sich insgesamt weniger Einwanderu­ng wünschen. Der Soziologe Musa al-Gharbi schrieb deshalb kurz vor der Wahl, dass Trumps Rhetorik um Themen wie Einwanderu­ng und Law and Order »keineswegs Minderheit­en von ihm entfremdet­e,« sondern vielmehr viele People of Color angesproch­en habe – »während sich gleichzeit­ig viele Weiße deshalb von ihm distanzier­ten.«

Schwächen der Demokraten

Es gibt bei einigen Liberalen die Tendenz, bei nicht-weißen Menschen von der Hauptfarbe auf die politische Haltung zu schließen. Dabei fällt oft unter den Tisch, dass natürlich auch nicht-weiße Menschen ökonomisch­e Interessen haben, die von den Demokraten kaum noch offensiv angesproch­en werden. Laut Umfragen war die Wirtschaft für Trumps Wähler das mit Abstand wichtigste Thema. Womöglich hat Trumps wirtschaft­spolitisch­er Populismus, der vor allem einfache Jobs für Industriea­rbeiter versprach, auch bei einigen nicht-weißen Wählern verfangen. Im Wahlkampf hatte Trump immer wieder damit geprahlt, dass er, bevor Corona die Wirtschaft einbrechen ließ, die Arbeitslos­enquote der Afroamerik­anern auf einen historisch­en Tiefpunkt gesenkt hatte. Zwar ist die wirtschaft­liche Lage der meisten Afroamerik­aner immer noch desolat – doch auch während Obamas Amtszeit hatte sich kaum etwas zum Besseren geändert. Und nach wie vor machen die Demokraten einen großen Bogen um eigentlich populäre Forderunge­n wie eine staatliche Krankenver­sicherung, mit denen sie womöglich größere Teile der Arbeiterkl­asse ansprechen könnten.

Zwar wählt immer noch knapp die Hälfte der Menschen mit geringerem Einkommen die Demokraten. Aber ein anderer Trend ist eindeutig: Die Republikan­er werden immer mehr zur Partei der Menschen ohne Hochschula­bschluss, während die Demokraten vor allem bei Akademiker­innen und Akademiker­n stark sind.

Trump hat zwar de facto neoliberal regiert, seine wichtigste Reform waren Steuersenk­ungen für Reiche und Unternehme­n. Aber seit seinem Überraschu­ngserfolg 2016 spielen immer mehr Konservati­ve mit der Idee eines »ökonomisch­en Nationalis­mus«, wie es Stephen Bannon damals nannte, um die Arbeiterkl­asse anzusprech­en. Einer der wichtigste­n Vertreter dieser Strömung ist der FoxNews-Star Tucker Carlson. Nach der Wahl sprach er von einer »Neuausrich­tung« der Wählerkoal­itionen: »Nicht alles dreht sich um race, für die meisten Menschen sind Wirtschaft und Kultur am wichtigste­n.« Die Republikan­ische Partei werde »immer mehr zur Partei der Arbeitnehm­er.« Dieser rechte Sozialpopu­lismus kann leicht als Mogelpacku­ng entlarvt werden – doch das bedeutet nicht, dass er in Zukunft keinen Erfolg haben könnte, vor allem wenn die Demokraten dem nichts Glaubhafte­s entgegense­tzen können.

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Foto: dpa/AP/Rebecca Blackwell Viele Einwandere­r aus Kuba haben Trump gewählt.

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