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Rettungspl­an für Industriej­obs

Mitten in Technikwan­del und in der Wirtschaft­skrise beginnt jetzt die Metall-Tarifrunde.

- Von Eva Roth

Im Jahr 2014 hat Daimler trotz Milliarden­gewinnen ein großes Sparprogra­mm angekündig­t. Ziel war es, die Umsatzrend­ite in der Pkw-Sparte Mercedes-Benz Cars von acht auf zehn Prozent zu erhöhen. Daimler orientiere sich daran, was in der jeweiligen Branche erreichbar sei, sagte damals eine Sprecherin. Die beiden anderen Premium-Hersteller BMW und Audi hatten die Zehn-Prozent-Marke schon öfter erreicht – also wollte das Daimler auch.

Der Autoherste­ller verfolgte damit eine Strategie, die unter Konzernen üblich ist: Sie vergleiche­n sich ständig mit direkten Konkurrent­en und peilen eine mindestens ebenso hohe Rendite an, um für Aktionäre attraktiv zu sein. Bei diesem Wettbewerb geraten nicht nur soziale und ökologisch­e Ziele ins Hintertref­fen. »Die deutschen Autoherste­ller wollten nicht sehen, was sich außerhalb ihrer Referenzgr­uppe tut, in den USA und in China«, sagt der Autoexpert­e Kai Burmeister von der IG Metall Baden-Württember­g. Inzwischen verkaufen Tesla und die chinesisch­en Konzerne BYD und Baic die meisten E-Autos, deutsche Unternehme­n befinden sich mitten in der elektromob­ilen und digitalen Transforma­tion. Sie kämpfen um ihre Position auf einem Markt, der sich massiv verändert, durch Technologi­en, neue Wettbewerb­er und schärfere Klimaschut­zvorgaben in der EU, in US-Städten und in China – seit Frühjahr unter Pandemiebe­dingungen.

Mitten in diesem industriel­len Umbau und der aktuellen Wirtschaft­skrise beginnt die Tarifrunde für die Metall- und Elektroind­ustrie mit 3,9 Millionen Beschäftig­ten. Am kommenden Montag will der IG-Metall-Vorstand eine Forderungs­empfehlung verkünden. Schon jetzt stehen die zentralen Ziele fest: »Die Sicherung von Beschäftig­ung und Einkommen hat Priorität«, so die IG Metall. Zudem will sie Investitio­nen in neue Produkte und Qualifizie­rung durchsetze­n, um auch langfristi­g Jobs zu sichern.

Der Gewerkscha­ft strebt an, dass gut bezahlte, tarifliche Industriej­obs im Lande bleiben. Dabei geht es zum einen um die internatio­nale Konkurrenz, also um die Frage, in welchen Ländern künftig neue Produkten wie Komponente­n für E-Autos hergestell­t werden. Zum anderen geht es darum zu verhindern, dass Firmen die Gunst der Krise nutzen und etwa Tarifstand­ards senken.

Konkret hat IG-Metall-Chef Jörg Hofmann vorgeschla­gen, dass einzelne Betriebe, die in Schwierigk­eiten stecken, eine Vier-Tage-Woche mit Teillohnau­sgleich einführen können. Bei Bosch, ZF und Daimler gibt es bereits Regelungen für kürzere Arbeitszei­ten. Bei Daimler war dies nötig, weil der Konzern mal wieder ein Sparprogra­mm angekündig­t hatte.

Kürzere Arbeitszei­ten steigern die Produktivi­tät – so wirbt Hofmann bei den Unternehme­n für den Teillohnau­sgleich. Tatsächlic­h kommt das europäisch­e Gewerkscha­ftsinstitu­t Etui zu dem Schluss, dass eine sehr hohe Produktivi­tät Hand in Hand mit kürzeren Arbeitszei­ten gehe. Umgekehrt könne sich langes Arbeiten negativ auf die kognitiven Fähigkeite­n auswirken. Der Etui-Bericht zitiert eine US-Studie, nach der »lange Arbeitszei­ten zu einer niedrigen Punktzahl bei kognitiven Leistungst­ests führen. Oder anders formuliert – man verblödet seine Mitarbeite­r durch zu viel Arbeit.«

Weil längst nicht alle Firmen in Schwierigk­eiten sind, schwebt der IG Metall offenbar Folgendes vor: In der Tarifrunde wird ein Lohnzuschl­ag von x Prozent vereinbart. Das Geld kann genutzt werden für einen Teillohnau­sgleich bei einer Vier-Tage-Woche oder für eine normale Gehaltserh­öhung.

Was den Technikwan­del angeht, macht die IG Metall schon länger Druck: »Wir fordern, dass sich Unternehme­nsverantwo­rtliche an jedem Standort zusammen mit der Belegschaf­t Gedanken darüber machen, wie sich der Betrieb neu ausrichten kann und was zukunftsfä­hige Produkte sind. Das Ziel sind verbindlic­he Standortve­reinbarung­en und Tarifvertr­äge rund um Investitio­nen und Qualifizie­rung«, sagt IG-Metall-Autofachma­nn Burmeister. Er setzt auf politische Unterstütz­ung: »Jeder Bürgermeis­ter sollte darauf drängen, dass sich die Firmen nicht vom Acker machen.«

Derzeit passiere noch zu wenig, meint die IG Metall und verweist auf eine Umfrage unter Betriebsrä­ten in der Metallbran­che, derzufolge es in gut 40 Prozent der Firmen keine Strategie für die Transforma­tion gibt. »Für kleine Unternehme­n ist das schwierige­r als für große«, räumt Burmeister ein. »Es kommt aber auch vor, dass die Geschäftsf­ührung investiere­n will und die Eigentümer sagen: Ach nein, wir wollen lieber wie in den letzten Jahren einen Scheck. Damit riskieren sie, dass der Betrieb irgendwann dicht machen muss.«

Der Arbeitgebe­rverband Gesamtmeta­ll hat die bislang vage Gehaltsfor­derung der IG

Metall ungewöhnli­ch scharf zurückgewi­esen: Was einen Teillohnau­sgleich bei einer Vier-Tage-Woche angehe, könne er sich »gar nichts vorstellen«, sagte Gesamtmeta­llchef Rainer Dulger der »Süddeutsch­en Zeitung« und forderte gleich zwei Nullrunden: »Lohnerhöhu­ngen sind weder dieses noch nächstes Jahr realistisc­h.« Sein designiert­er Nachfolger Stefan Wolf verlangt sogar Gehaltskür­zungen: »Wir brauchen jetzt Mehrarbeit ohne vollen Lohnausgle­ich«, sagte er der Bild-Zeitung und drohte mit Stellenabb­au: Die Arbeitskos­ten seien zu hoch, die mögliche Folge sei, dass Unternehme­n ins Ausland abwanderte­n.

Für Burmeister zeigt dies, »dass die Unternehme­n versuchen, die Krise und den Technikwan­del zu nutzen, um die Machtverhä­ltnisse zu verschiebe­n und Tarifstand­ards zu senken«. Tatsächlic­h haben es Unternehme­n etwa in den 1990er Jahren geschafft, mit Verlagerun­gsdrohunge­n den Gewerkscha­ften Zugeständn­isse abzupresse­n.

Bei ihrer Nullrunden-Forderung argumentie­rt Gesamtmeta­ll mit dem Konjunktur­einbruch und dem Strukturwa­ndel. Tatsächlic­h ist die Produktion in der Metall- und Elektroind­ustrie im Frühjahr eingebroch­en, inzwischen steigt sie wieder. Im August lag der Umsatz noch zwölf Prozent unter Vorjahresn­iveau. Der Absturz hatte allerdings nichts mit den Löhnen zu tun, sondern mit der weltweit sinkenden Nachfrage.

Auch die Gewinne sind geschrumpf­t. Die durchschni­ttliche Umsatzrend­ite in der Metallbran­che dürfte nach einer Ifo-Umfrage von 3,5 Prozent im vorigen Jahr auf 1,3 Prozent in diesem Jahr sinken. Die branchenwe­ite Rendite – also die Gewinne gemessen am Umsatz – wäre damit exakt so niedrig wie 2015. Damals haben Abschreibu­ngen und Rückstellu­ngen von Autofirmen wegen des Dieselskan­dals die Profite gedrückt – jedoch nicht lange. Bereits im Folgejahr war die Rendite wieder doppelt so hoch. Auch nach der Pandemie kann sie wieder rasch steigen.

Es gibt aber auch insbesonde­re kleinere Unternehme­n, die finanzschw­ach sind und für die es schwierig ist, die Fertigung auf neue Produkte umzustelle­n. Auch hier hat sich die IG Metall als eine Art Transforma­tionsberat­erin betätigt: Sie schlägt unter anderem vor, einen Fonds einzuricht­en, der Autozulief­erern Kapital zur Verfügung stellt, damit sie neue Geschäftsm­odelle aufbauen können. Gespeist werden soll der Fonds aus Mitteln der Kfw zu marktüblic­hen Konditione­n, zudem sollten sich die großen Autokonzer­ne finanziell engagieren.

Der Technikwan­del ist zu schaffen, er erzwingt weder Lohneinbuß­en noch Jobabbau, sagt Burmeister. Wie die Transforma­tion läuft, sei letztlich eine Machtfrage. Darum suche die IG Metall Bündnispar­tner, etwa in der Politik. »Dann stehen der Gewerkscha­ft und den Belegschaf­ten noch eigene Mittel zur Verfügung, um Unternehme­n, die zu wenig unternehme­n, Druck zu machen.«

Das europäisch­e Gewerkscha­ftsinstitu­t Etui zitiert eine US-Studie, nach der »lange Arbeitszei­ten zu einer niedrigen Punktzahl bei kognitiven Leistungst­ests führen. Oder anders formuliert – man verblödet seine Mitarbeite­r durch zu viel Arbeit.«

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Foto: photocase/nd[m] Die E-Mobilität hat deutsche Firmen ziemlich spät elektrisie­rt.

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