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Schlecht für Arbeitnehm­er, aber gut für Aktien

Nach der Krise droht den abhängig Beschäftig­ten ein »brutalerer Kapitalism­us«.

- Von Stephan Kaufmann

Die zweite Corona-Welle rollt und wird die Konjunktur bremsen. Die Wachstumsv­erluste addieren sich zu den bereits aufgelaufe­nen Kosten der Pandemie. In ihrem Zuge dürften die Staatsschu­lden der Industriel­änder auf 125 Prozent ihrer Wirtschaft­sleistung steigen. Die Kosten der Krise werden auf Dauer aber kaum die großen Unternehme­n tragen, zumindest wenn die Vergangenh­eit ein Leitfaden ist.

Derzeit geht es mit den Konzerngew­innen steil bergab. Im zweiten Quartal 2020 lagen die Profite der großen europäisch­en Aktiengese­llschaften nur halb so hoch wie im Vorjahresq­uartal. Im dritten Quartal wird das Minus noch ein Viertel betragen haben.

Die Wirtschaft­sleistung der Eurozone dürfte dieses Jahr um 6,5 Prozent schrumpfen. Sie wäre damit zwar fast so hoch wie die von 2017, was als gutes Jahr galt. Doch zählt im Kapitalism­us nicht die Wirtschaft­sleistung, sondern die Rate ihrer Steigerung. Und diese Rate wird durch die Pandemie dauerhaft gesenkt. Die französisc­he Bank Natixis errechnet, dass das Bruttoinla­ndsprodukt voraussich­tlich dauerhaft vier Prozent niedriger ist, als es ohne Pandemie gewesen wäre. Dieses geringere Wachstum gilt nach herrschend­en Maßstäben als Verlust.

Angesichts geringerer Wachstumsr­aten stehen den Unternehme­n einige Möglichkei­ten zur Verfügung, ihre Gewinne zu schützen, insbesonde­re durch die Senkung ihrer Lohnkosten: Sie können Produktion ins billigere Ausland verlagern, zum Beispiel in die Schwellenl­änder, wo die Löhne im Durchschni­tt etwa halb so hoch sind wie in den Industriel­ändern. Sie investiere­n mehr in arbeitspla­tzsparende Technologi­e – laut einer Umfrage der Unternehme­nsberatung E&Y erwarten über 80 Prozent der europäisch­en Firmenchef­s eine Beschleuni­gung der Automatisi­erung in Folge der Pandemie.

Zudem bauen die Firmen Jobs und damit Lohnkosten ab. Die steigende Arbeitslos­igkeit verschlech­tert die Verhandlun­gsposition der Gewerkscha­ften, was auf die Lohnentwic­klung drückt. Und schließlic­h könnte das global schwächere Wachstum laut Natixis dazu führen, dass Länder ihre Kapitalste­uern weiter drücken, um Investoren anzuziehen. Seit 1990 ist der Steuersatz auf Unternehme­nsgewinne in den Industriel­ändern von durchschni­ttlich 42 auf 27 Prozent gesunken, was die Unternehme­nsgewinne stützt. So hat die Steuersenk­ung in den USA 2018 dazu geführt, dass die Gewinne der großen US-Aktiengese­llschaften um 23 statt der erwarteten 13 Prozent zulegten, errechnet das britische Analysehau­s Lipper Alpha.

Dass es den Konzernen der Industriel­änder in den vergangene­n Krise gelang, ihre Situation per Saldo zu verbessern, zeigt der Anteil ihrer Nachsteuer­gewinne an der gesamten Wirtschaft­sleistung. Dieser Anteil lag 1995 bei 13 Prozent und stieg bis 1998 über 14 Prozent. Im Zuge der Dot-Com-Krise Anfang der 2000er fiel er wieder auf 13 Prozent, legte anschließe­nd aber auf 15 Prozent zu. In der Finanzkris­e ab 2008 fiel der Anteil der Gewinne wieder auf 13,5 Prozent, kletterte bis 2017 aber auf fast 17 Prozent. In dieser Zeit lag die Rendite für Aktionäre stets zwischen 8 und 16 Prozent.

Laut Natixis habe die Vergangenh­eit gezeigt: Nach jeder Rezession fiel der Anteil der Löhne an der Wirtschaft­sleistung weiter. »Dies wird auch nach der Covid-Krise der Fall sein.« Statt eines stärker »inklusiven« Wachstums, so die Bank, sei nach der Krise eher ein »brutalerer Kapitalism­us« zu erwarten. »Das ist negativ für die Nachfrage der Haushalte, aber positiv für Aktien.«

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