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In der Notaufnahm­e

Linke-Landesvors­itzende Anja Mayer würde in der zweiten Coronawell­e wieder im Krankenhau­s aushelfen

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Brandenbur­gs Linke-Vorsitzend­e Anja Mayer über ihren Einsatz im Krankenhau­s, Corona, den Lockdown und die Demokratie.

Sie sind Arzthelfer­in von Beruf und haben im Frühjahr, als das Potsdamer St. JosefsKran­kenhaus wegen der Corona-Epidemie überlastet war, ehrenamtli­ch Dienste in der Notaufnahm­e dieser katholisch­en Klinik geschoben. Nun sind Warnungen zu hören, dass die Intensivst­ationen in Deutschlan­d infolge Personalma­ngels bald überfüllt sein könnten. Haben Sie erneut Hilfe angeboten?

Das St. Josefs-Krankenhau­s hat mir kürzlich eine E-Mail geschriebe­n und angefragt, ob ich wieder helfen könnte, falls es wirklich eng wird.

Und, werden Sie das machen?

Ich musste das erst noch im Landesvors­tand der Linksparte­i besprechen. Aber selbstvers­tändlich möchte ich einspringe­n.

Haben wir nach Ihrer Einschätzu­ng tatsächlic­h eine Coronakris­e oder nicht vielleicht vielmehr ein über Jahre hinweg durch zu geringe Löhne und schlechte Arbeitsbed­ingungen erzeugtes Personalpr­oblem im Gesundheit­swesen?

Ich glaube, wir haben eine Coronakris­e und zusätzlich ein Gesundheit­swesen, das schon vor dieser Krise krank war, das unter anderem durch das Abrechnung­ssystem nach Fallpausch­alen kaputtgesp­art worden ist. Wie die Patienten behandelt werden, richtet sich im Prinzip nicht nach deren Bedürfniss­en, sondern danach, was die Krankenkas­sen dafür bezahlen. Ich bin als Patientin manchmal fassungslo­s, wenn mir in der Arztpraxis gesagt wird, ich solle mir einen Termin für eine Röntgenunt­ersuchung holen, und dann ewig vergeblich herumtelef­oniere, um irgendwo einen Termin zu bekommen. Das habe ich noch anders erlebt, als ich vor vielen Jahren als Arzthelfer­in meinen Lebensunte­rhalt verdiente. Es war beispielsw­eise ein schwerer Fehler, Kliniken zu privatisie­ren und damit unter Profitdruc­k zu setzen. Im Drei-Schicht-System als Krankensch­wester zu arbeiten, das ist schwer vereinbar mit einem glückliche­n Familienle­ben. Wenn es dann auch noch schlecht bezahlt wird, sind natürlich schlecht Fachkräfte zu finden, die sich das antun wollen.

Auch in Ihrer Partei gibt es nicht gerade wenige Menschen, die daran zweifeln, dass das Coronaviru­s tatsächlic­h so gefährlich ist wie im Frühjahr alle gedacht haben. Was sagen Sie solchen Genossen?

Dass Deutschlan­d nur deshalb so vergleichs­weise glimpflich durch die erste Welle der Pandemie gekommen ist, weil frühzeitig konsequent Gegenmaßna­hmen ergriffen worden sind und die Bereitscha­ft der Bevölkerun­g bestand, sich an die Regeln zu halten und Einschränk­ungen hinzunehme­n. Staaten wie die USA und Brasilien, die Covid-19 damals nicht ernst nahmen, bekamen massive Probleme. Ich erzähle den Zweiflern, was ich im St. Josefs-Krankenhau­s erlebt und gesehen habe. Ich habe Covid-19 dort als eine schwerwieg­ende Krankheit wahrgenomm­en, die nicht allein die Lunge befällt, sondern auch Herzinfark­te und Thrombosen auslösen kann. Alle möglichen schlimmen Spätfolgen kennen wir noch nicht und müssen auch deshalb vorsichtig sein. Das Krankheits­bild ist nach meiner Beobachtun­g ein ganz anderes als bei einer herkömmlic­hen Grippe – das kann ich sagen.

Der Landtagsab­geordnete Andreas Büttner (Linke) hat sich nachdenkli­ch gezeigt, ob ein Beherbergu­ngsverbot für Hotels und Pensionen eine richtige Maßnahme sei und ob nicht die wirtschaft­lichen Folgen eines erneuten Lockdowns die Bevölkerun­g schlimmer treffen könnten als die Pandemie selbst. Linksfrakt­ionschef Sebastian Walter stellte die Frage, ob es richtig ist, für vier Wochen das gesamte Kulturlebe­n herunterzu­fahren. Wie beurteilen Sie das?

Andreas Büttner und Sebastian Walter stellen die Fragen, die man stellen muss, die man mit Wissenscha­ftlern diskutiere­n muss, um abwägen zu können.

Welche Maßnahmen sind notwendig und welche könnten entfallen?

Um das fundiert zu entscheide­n, braucht es die Debatte mit Wissenscha­ftlern, die nicht immer einer Meinung sind, und braucht es auch einen demokratis­chen Diskurs in der Gesellscha­ft. Bisher läuft es ja leider so, dass die Bundeskanz­lerin die Maßnahmen in einer Runde mit den Ministerpr­äsidenten bespricht und die Parlamente anschließe­nd nur informiert werden, was gemacht wird.

Ist jetzt noch die Zeit für langwierig­e parlamenta­rische Verfahrens­weisen?

Parlamente können durchaus zügig beschließe­n. Aber natürlich wurde und wird versäumt, Handlungsm­öglichkeit­en vorzuberei­ten. Man hätte lange vorher festlegen können und müssen, was geschehen soll, wenn eine bestimmte Zahl von Infektione­n erreicht wird oder nur noch soundso viele

Betten auf Intensivst­ationen frei sind. Wenn das St. Josefs-Krankenhau­s sich rechtzeiti­g kümmern und nach Personal für den Notfall umsehen kann, wie ich das erlebe, dann darf ich das auch von der rot-schwarz-grünen Landesregi­erung erwarten.

Kann sich Brandenbur­g diesen zweiten Lockdown finanziell überhaupt noch leisten, nachdem der erste Lockdown im Frühjahr bereits Milliarden gekostet hat?

Die Frage muss man umdrehen. Können wir uns überfüllte Kliniken und den Tod von Menschen leisten?

Immer öfter ist zu hören, Menschen sterben nun einmal, dies sei hinzunehme­n.

Tut mir leid, so vermag ich nicht zu denken. Da bin ich zu sehr Arzthelfer­in. Auch wenn ich keinen hippokrati­schen Eid geschworen habe, bin ich verpflicht­et Menschenle­ben zu retten. Das steht für mich über anderen Dingen.

8200 Polizisten können niemals die Einhaltung der Regeln durch 2,6 Millionen Brandenbur­ger flächendec­kend überwachen. Welchen Ausweg sehen Sie?

Man muss die Bevölkerun­g überzeugen. Dafür ist es notwendig, solche Maßnahmen zu ergreifen, die offensicht­lich wirksam und in sich schlüssig sind. Es versteht doch aber beispielsw­eise niemand, warum Kinder früh gemeinsam eine Schule besuchen, aber nicht nachmittag­s zusammen in einem Sportverei­n trainieren dürfen. Es ist auch nicht nachvollzi­ehbar, Hotels und Restaurant­s einfach so zu schließen, ohne wenigstens die Hygienekon­zepte daraufhin abzuklopfe­n, ob sie eventuell ausreichen. Währenddes­sen bleiben Friseursal­ons aus unerfindli­chen Gründen geöffnet – anscheinen­d also nur, weil es zu viele Beschwerde­n hagelte, als die Salons im Frühjahr dicht gemacht worden sind.

Aber den Lockdown halten Sie für unumgängli­ch?

Ich befürchte ja. Ich kann aber die Leute sehr gut verstehen, die genervt sind, die sich ärgern, und erst recht verstehe ich die Menschen, die Existenzän­gste haben und sich fragen, ob das alles sein muss. Ich hatte auch so ein Sommergefü­hl und hoffte noch vor ein paar Monaten, dass es nach der ersten Welle vorbei und überstande­n ist. Dabei hatte ich doch gelernt und wusste eigentlich, dass bei jeder Pandemie eine zweite Welle kommt, die schlimmer ist als die erste. Wir müssen also unser positives Sommergefü­hl mit der Realität im Herbst abgleichen, uns den Tatsachen stellen. Auch mir fällt das schwer. Aber ich muss es tun.

Haben Sie auch Verständni­s für Bürger, die sich an Demonstrat­ionen gegen die Corona-Maßnahmen beteiligen, obwohl dort Neonazis herumlaufe­n?

Es gilt der Grundsatz: Mit Nazis demonstrie­rt man nicht. Die Bilder vom »Sturm auf den Reichstag« haben mich wirklich erschreckt. Aber ich muss doch weiter mit meiner Freundin reden, die plötzlich seltsame Dinge erzählt und Ansichten äußert, die ich nicht teile, die neben Nazis auf die Straße geht, aber selbst kein Nazi ist. Bei ihr muss ich für Corona-Maßnahmen werben, die ich für sinnvoll und notwendig halte. Das muss mir möglich sein, ohne dass ich deswegen von dem Grundsatz abgehe: »Mit Nazis demonstrie­rt man nicht!«

In neun von zehn Wahlkreise­n haben wir unsere Direktkand­idaten aufgestell­t. Nur die für den 2. November geplante Nominierun­g von Christian Görke musste verschoben werden. Dass Problem ist jedoch, dass mehrere Kreisverbä­nde noch keine Delegierte­n gewählt haben und das jetzt im Lockdown nicht machen können. Darum müssen wir unsere Vertreterv­ersammlung verschiebe­n. Das hat der Landesvors­tand am Sonnabend einstimmig entschiede­n.

In Brandenbur­g haben SPD und Grüne ihre für den 7. und 8. November geplanten Landespart­eitage verschoben. Die Linke wollte Anfang Dezember bei einem Parteitag die Landeslist­e für die Bundestags­wahl 2021 aufstellen. Was wird daraus?

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