Strategischer Sieg in Bergkarabach
Aserbaidschan verkündet Eroberung Schuschas /Armenien dementiert Einnahme der Bergstadt
In der umkämpften Südkaukasusregion Bergkarabach hat Aserbaidschan nach Angaben von Präsident Ilham Aliyev die strategisch wichtige Stadt Schuscha (auch Schuschi) eingenommen.
Wenn es stimmt, ist die Nachricht mit einem Sieg Aserbaidschans gleichzusetzen. Denn auch wenn die Kämpfe noch eine Weile weitergehen werden, gilt im Kampf um Bergkarabach: Wer den strategisch wie auch politisch wichtigen Gipfelort einnimmt, den die Armenier Schuschi und die Aserbaidschaner Schuscha nennen, der gewinnt den Krieg. Es war also eine höchst brisante Meldung, als am Sonntag der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev in der Hauptstadt Baku feierlich verkündete: »Schuscha ist unser!«, und weiter: »Wir haben diesen Sieg auf dem Schlachtfeld errungen, nicht am Verhandlungstisch.« Die Sprecherin des armenischen Verteidigungsministeriums konterte zwar prompt mit der Aussage, es gebe nur »äußerst heftige Gefechte« um den Ort. Doch mehrere Quellen vor Ort bestätigten dem »nd«, dass die aserbaidschanische Armee mit der Unterstützung der Türkei sowie syrischer Söldner die Kontrolle
über Schuscha gewonnen hätten. Die pro-armenischen Kräfte hätten jedoch eine Offensive zur Rückeroberung gestartet.
Schuscha, oder Schuschi, ist ein 3000-Einwohner-Städtchen und liegt auf einem Berggipfel. Von hier aus kann man direkt auf die größte Stadt Bergkarabachs, Stepanakert, sowie den Lachin-Korridor, der für die Versorgung von Truppen und Zivilisten von Armenien
aus unverzichtbar ist, blicken und den Versorgungsweg unter Beschuss nehmen. Nachdem am 27. September Aserbaidschan eine große Offensive auf die Region Bergkarabach und die dort proklamierte, aber international nicht anerkannte Republik Arzach verkündet hatte, waren die Truppen in dem bergigen Terrain vor Schuscha zum Stehen gekommen. Am Mittwochabend hatte Aserbaidschan jedoch eine Großoffensive auf den Ort gestartet – offensichtlich mit Erfolg. Nach drei gescheiterten Feuerpausen und mehreren erfolglosen Verhandlungsversuchen – meist über den russischen Präsidenten Wladimir Putin – ist die Einnahme Schuschas eine brisante Nachricht in einem Krieg, der im Schatten von CoronaPandemie und US-Wahlen in Vergessenheit zu geraten droht. Laut Angaben Putins sind bereits über 5000 Menschen gestorben und Zehntausende auf der Flucht.
Die Region Bergkarabach liegt völkerrechtlich in Aserbaidschan. Sowohl Aserbaidschan wie auch Armenien erheben seit Beginn des 20. Jahrhunderts Anspruch auf das Gebiet. Während des Zerfalls der Sowjetunion kam es von 1988 bis 1994 zu einem Krieg, im Zuge dessen über eine Million Menschen vertrieben wurden. Seitdem wird Bergkarabach von über 99 Prozent Armeniern bewohnt. So auch Schuscha, das jedoch vor dem Krieg mehrheitlich von Aserbaidschanern bewohnt war. Die Einnahme Schuschas am 9. Mai 1992 wurde wegen der symbolischen und strategischen Wichtigkeit im Nachhinein zum wahren »Tag des Sieges« erklärt und wird bis heute in Armenien gefeiert. Die Gefahr ist deshalb groß, dass es nun durch die aserbaidschanische Rückeroberung erneut zu massenhaften Vertreibungen kommen wird.
»Wir haben diesen Sieg auf dem Schlachtfeld errungen, nicht am Verhandlungstisch.« Ilham Aliyev aserbaidschanischer Präsident